Karl Veitschegger (1999)

 

Reinkarnation?


 

Verlegenheit

„Ich möchte wieder in die Kirche eintreten, aber ich glaube an die Reinkarnation. Geht das?“ Mit dieser Frage brachte mich vor einigen Jahren eine Frau in ziemlich große Verlegenheit. Ratlos fragte ich sie, warum sie an Reinkarnation glaube. „Sie wissen ja selbst“, antwortete sie, „Gauner leben oft 80 Jahre und länger, während ganz gute Menschen mit 30 an Krebs sterben. Hätten wir Menschen nur ein einziges Leben, gäbe es keinen Ausgleich. Nur wenn jeder Mensch mehrere Wiedergeburten und Leben auf dieser Welt hat, bekommt jeder die gleichen Chancen und - je nach seinen Taten - auch gerechten Lohn oder gerechte Strafe. Für mich ist das eine Frage der Gerechtigkeit.“ Ich gab zu bedenken, dass ich überhaupt nicht glauben kann, dass z.B. das behinderte Kind meiner Nachbarin selbst schuld sei an seiner Behinderung (als „Strafe" für schlechte Taten in einem früheren Leben), oder dass die Millionen Juden, die im Holocaust umkamen, ihr Schicksal selbst verursacht hätten.

 

Verschiedene Lebenserfahrungen

Wir sprachen lange miteinander. Da wir beide keine Experten für östliche Reinkarnationslehre waren, blieb uns nichts anders übrig, als über unsere persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Ich merkte bald, dass meine Gesprächspartnerin auf Grund ihrer Lebensgeschichte eher das Gefühl hatte, ihr sei im Leben „nichts geschenkt“ worden. Sie war auch einmal unerwünscht schwanger, hatte abtreiben lassen, musste schwere Krankheiten mit komplizierten Operationen durchmachen usw. Ich wiederum musste zugeben, dass vieles in meinem Leben oft wider Erwarten eine positive Wendung nahm, dass mir sehr viel Schönes und Wertvolles im Leben geschenkt worden ist und noch immer wird. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich das je verdienen könnte. Ich lebe gerne, aber ich wünsche mir kein weiteres Leben auf Erden, sondern nach meinem Tod das Geschenk des ewigen Lebens.

 

Gerechtigkeit und Liebe

Wir haben einander nicht überzeugt. Aber mir wurde wieder einmal klar: Christlicher Glaube bietet keine philosophische Welterklärung, aber er hat unendlich viel mit Geschenk und Liebe zu tun: Gott schenkt mir mein einmaliges Leben, er will, dass ich es in Liebe und Verantwortung mit anderen lebe, und wenn ich sterbe, wird er selbst aus meinem gelebten Leben das Beste machen, indem er meine Wunden und Vergehen heilt, mich durch seine Liebe zurecht- und aufrichtet („Gericht"), reinigt („Fegefeuer"), und vollendet („Himmel"). Dafür hat Jesus Christus gelebt und dafür ist er gestorben: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, und zwar in Fülle" (Johannes 10,10). Die Logik von Verdienst und Lohn allein kann nicht erfassen, was Gerechtigkeit Gottes heißt. Gottes Gerechtigkeit ist größer, anders, untrennbar von seiner Liebe. Der Apostel Paulus kommt zur Erkenntnis: „Ohne es verdient zu haben, werden sie zu Gerechten gemacht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus" (Römer 3,24). Liebe kann sich niemand verdienen, wir können und sollen „nur" offen für sie sein. Gottes liebende Gerechtigkeit wird - so sagt christliche Hoffnung - letztlich jedem Menschen das anbieten, was er wirklich braucht, um ewig glücklich zu sein. Und niemand wird zu kurz kommen.

 

Beitrag für „kirche:konkret" 11/1999

 

Karl Veitschegger (1999)

 

 

Zitate zum Weiterdenken

„Wer Leid erlebt, hat sich also die Ursachen dafür in der Vergangenheit selbst geschaffen." 

(Buddhistischer Grundsatz, aus: https://buddhismus.org/ufaqs/was-ist-karma – Zugriff 26.01.2019)

 

„Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt."

(Christlicher Grundsatz, Römer 8,28)

 

„Ihre Lehre von der Seelenwanderung ist durch die Tatsache widerlegt, dass sich keine Seele mehr an das erinnern kann, was vordem gewesen ist. Und doch, wenn die Seelen dazu herum gesandt würden, um sich durch Erfahren und Erleiden zu läutern, dann müssten sie sich auch an das Vergangene erinnern können, um das Fehlende nachzuholen und um nicht elend immer wieder dasselbe zu erleiden... [denn ohne Erinnerung gibt es auch keine Läuterung]... die Seele müsste also wissen, wo sie so lange Zeiten verbracht hat, während all der verflossenen Leben — da sie sich sogar der flüchtigen Augenblicke zu erinnern vermag, in denen sie während eines Traumes den Körper verließ..."

(Irenäus v. Lyon, Theologe, gest. 202, in seiner Schrift „Gegen die Häretiker", II., 32, 1)

 

 

Zum Artikel: Was erwartet uns nach dem Tod? - Ein katholischer Antwortversuch

Vortrag: Warum ich nicht an Reinkarnation glaube (Werner Thiede, evang. Theologe)

Infos zum Thema Reinkarnation auch hier.

 

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