Karl Veitschegger

 

Judentum

Kurze Einführung in die jüdische Religion aus der Sicht eines katholischen Christen

 


 

Orthodoxe Juden in Jerusalem (Foto: Martin Bretterklieber)1. Geschichte – im Licht des Glaubens gedeutet

 

1.1. Von Abraham bis Mose

Das jüdische Volk und seine Religion können auf eine mehrtausendjährige Geschichte zurückblicken. Um 1800 v. Chr. – so erzählt die Bibel – folgt ein bestimmter Abraham aus Ur in Chaldäa (heute: Irak) voll Vertrauen dem Ruf seines Gottes und bricht mit seiner Frau Sara und einigen Verwandten in das Land Kanaan (heute: Palästina/Israel) auf. Der Gott, dem Abraham vertraut – so erzählt die Bibel – verspricht ihm:

„Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. ... Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen." (Genesis 12,2-39)

Wider alle menschliche Hoffnung erhält das Ehepaar einen Sohn, den es Isaak – „Er lacht“ – nennt. Der Segen Abrahams lebt weiter in Isaak, in dessen Sohn Jakob, der auch Israel genannt wird, und in dessen zwölf Söhnen und ihren Familien.

Eine Hungersnot zwingt die Kinder Israels, in das fruchtbare Ägypten auszuwandern, wo sie zu einem Volk – Hebräer genannt – heranwachsen. Nach Jahrhunderten des Friedens kommt es zur Unterdrückung, ja zur Versklavung durch die Ägypter. Die Bibel erzählt, dass In dieser Krisensituation Gott erneut eingreift und Mose zum Befreier seines Volkes beruft, indem er ihn aus einem brennenden Dornbusch anspricht:

„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen, und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen ... Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!" (Exodus 3,7-10)

Auf die Frage Moses, wer der Geheimnisvolle sei, der ihn sende, bekommt er zur Antwort:

„Ich bin, der ich bin ... JHWH, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs ... Das ist mein Name für immer, und so wird man mich nennen in allen Generationen.“ (Exodus 3,14-15)

Mose führt das Volk – trotz langer Unnachgiebigkeit der Ägypter – schließlich in die Freiheit. Viele Legenden umranken diese Befreiung aus dem „Sklavenhaus Ägypten", die historisch vielleicht im 13. Jahrhundert v. Chr. unter Pharao Ramses II. oder seinem Nachfolger stattgefunden hat. Mose ist für Juden und Jüdinnen auch der Überbringer der Tora, des göttlichen Gesetzes, das Gott dem Volk Israel nach der Verkündigung der Zehn Gebote am Berg Sinai gegeben hat, um das Leben des Volkes zu regeln. Israel soll besonderes Eigentum Gottes, eben „sein Volk" sein, erwählt aus reiner Liebe.

 

1.2. Im Lande Kanaan

Das Land Kanaan wird, so erzählt die Bibel, von den zwölf Stämmen Israels in Besitz genommen, David gründet um 1000 v. Chr. das Königreich Israel, sein Sohn Salomo baut den ersten Tempel in Jerusalem. Nach Salomo zerfällt das Reich in das Nordreich Israel und das Südreich Juda. In beiden Reichen treten Propheten und Prophetinnen auf und ermahnen – oft vergeblich – König und Volk zur Treue zu JHWH-Gott und zu sozialer Gerechtigkeit. Das Nordreich wird 722 v. Chr. von den Assyrern zerstört, die zehn dort ansässigen Stämme verschwinden aus dem Blick der Geschichte. Das Südreich Juda wird 586 v. Chr. ein Opfer der Babylonier, der Tempel in Jerusalem zerstört, Teile des Volkes nach Babylonien ins Exil deportiert. Von Propheten und vielen anderen wird die Katastrophe als Folge der Treulosigkeit gegenüber Gott (Kult fremder Götter, Missachtung der Gebote Gottes) gedeutet.

 

1.3. Vom Exil bis zur Römerzeit

Diese Katastrophe ist aber Beginn einer religiösen Erneuerung. Da es im Exil keinen eigenen König, keinen Tempel, keine Schlachtopfer, keinen Priesterdienst mehr gibt, werden andere Dinge wichtig: das Königtum JHWHs, der niemand anderer ist, als der eine und einzige Gott, die Gebote Gottes, die Speisevorschriften, die Beschneidung und der Sabbat als Zeichen des bleibenden Bundes. Die Juden – so nennt man nun den verbliebenen Rest des Volkes Israel – treffen sich in den Synagogen zum Wortgottesdienst und geben vielen religiösen Traditionen ihres Volkes eine schriftliche Form. Das Judentum wird zu einer Religion der Synagoge und der Heiligen Schrift. Das ändert sich auch nicht, als unter dem Perserkönig Kyrus ab 538 v. Chr. Juden und Jüdinnen die Erlaubnis erhalten, in das Land der Väter zurückzukehren und den Tempel in Jerusalem wiederaufzubauen. Die Treue zu Gott, dem Einen und Einzigen, den man nicht bildlich darstellen darf und dessen Namen man aus Ehrfurcht nicht mehr ausspricht, zeigt sich in der möglichst genauen Befolgung der Tora.

Als der Hellenismus die jüdischen Menschen zu heidnischer Lebensart zwingen will, sterben viele den Märtyrertod. Trost spendet der Glaube, dass Gott die Toten wieder auferwecken wird zu ewigem Leben. Viele sehnen auch ein rasches Ende dieser ungerechten Welt herbei (Apokalyptik). Der nicht besonders beliebte Herodes kann mit Hilfe Roms noch einmal für kurze Zeit König im jüdischen Land sein und erweitert den Tempel zu einem prachtvollen Bau. Aber schon bald ist der römische Kaiser alleiniger Herr über Jerusalem. Die Sehnsucht nach einem Messias, der Israel (politisch) befreit und eine neue Zeit des Heils heraufführen soll, wächst und ist zu jener Zeit besonders groß, als ein gewisser Zimmermann Jeschua (Jesus) von Nazaret sein „Evangelium vom Reich Gottes“ verkündet. Eine Schar von Juden und Jüdinnen schließt sich ihm an, bekennt ihn – trotz seiner schmachvollen Hinrichtung am Kreuz durch die Römer – als Messias (Christus) und bildet so den Grundstock für die zweite „abrahamitische" Weltreligion: das Christentum.

 

1.4. Zerstörung des Herodianischen Tempels und rabbinisches Judentum

40 Jahre nach dem Tod Jesu, im Jahre 70 n. Chr., trifft das jüdische Volk eine neue Katastrophe. Die Römer zerstören Jerusalem und den Tempel, der seither nicht wiederaufgebaut worden ist. Der Siebenarmige Leuchter (die Menora), heute Symbol des Staates Israel, wurde damals aus dem Tempel geraubt (dokumentiert durch Relief am Titusbogen in Rom). Der militärische Widerstand der jüdischen Kämpfer wird im 2. Jh. ganz gebrochen. Jüdische Menschen dürfen Jerusalem nicht mehr betreten. Sie haben kein eigenes Land mehr. Umso stärker klammern sie sich an die um 100 n. Chr. kanonisierte hebräische Bibel (bestehend aus Tora, Propheten und Schriften) – von Christen Altes Testament genannt – und an die Auslegung der Tora durch Rabbiner (Schriftgelehrte, besonders aus der Bewegung der Pharisäer). Für das Judentum beginnt die Rabbinische Zeit. Kostbarste schriftliche Frucht rabbinischer Weisheit und Diskussion ist der Talmud (Jerusalemer und Babylonischer Talmud), bestehend aus Mischna (Sammlung der mündlichen Lehre) und deren Kommentar, der Gemarra. Er ist die Grundlage für das, was wir bis heute unter jüdischer Religion verstehen. Vom Sieg des Christentums, dem es nach 300 Jahren gelang das Römerreich unter das Zeichen des Kreuzes zu stellen, profitieren Juden und Jüdinnen nicht. Im Gegenteil, Vorurteile gegen jüdische Lebensweise und die Beschuldigung, die Hinrichtung Jesu erwirkt zu haben, führen zu gesellschaftlicher Ächtung, bald auch zu Zwangstaufen, grausamen Verfolgungen und Vertreibungen. Im später entstandenen Islam geht es den Juden und Jüdinnen oft besser als unter der Herrschaft jener christlichen Fürsten, die zwar den Juden Jesus als ihren „Herrn und Gott“ verehren, aber den Mitgliedern seines Volkes die christliche Liebe verweigern. Dass dieser Antijudaismus auch eine Quelle des neuheidnischen und mörderischen NS-Rassenwahns geworden ist, gehört zu den großen Skandalen des christlichen Abendlandes. Die Schoa, die gezielte Vernichtung von sechs Millionen Menschen, ist die größte Katastrophe des jüdischen Volkes, wohl auch die größte Anfechtung für seinen Glauben an einen guten und treuen Gott. Dass Juden und Jüdinnen dennoch bis heute Gott die Treue halten, ist ein ungemein starkes Zeugnis des Glaubens – auch für Christenmenschen. Es ist bitter, dass der 1948 gegründete Staat Israel nicht zum Friedensort für das jüdische Volk geworden ist, sondern neues Unrecht – nämlich den arabischen Palästinensern gegenüber – produziert und so Zündstoff für viele neue Konflikte ist. Eine tragische Situation, aus der wohl nur Gott einen Ausweg kennt.

„Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich liebt, (Jerusalem) sei in dir geborgen. Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit." (Psalm 122)

 

 

2. Was glauben Juden und Jüdinnen (heute)?

Es gibt im Judentum keine Instanz, die Dogmen verkünden könnte. Die praktische Erfüllung der Gebote (mizwot) war ihm immer viel wichtiger als die Formulierung der Glaubensinhalte. Der zentrale Satz des Judentums – Glaubensbekenntnis und Kerngebet in einem! – ist das aus der Bibel (Deuteronomium 6) zitierte „Sch´ma Jisrael“. Es wird in den täglichen Gebeten, beim Gottesdienst in der Synagoge und auch in der Todesstunde gesprochen:

Sch’ma Jis’rael: Adonaj Elohejnu, Adonaj Echad!"

„Höre Israel: Der EWIGE (JHWH) ist unser Gott, der EWIGE (JHWH) ist der Einzige!"

Wie wichtig diese Worte sind, lehrt die Bibel selbst:

„Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben.“ (Deuteronomium 6,5 –9)

Die Mesusa (Kapsel mit dem Sch´ma) am Türstock und die Tefillin (Gebetsriemen mit Sch´ma-Kapsel) an Arm und Stirn des Betenden zeigen, wie wortwörtlich orthodoxe Juden und Jüdinnen diese Sätze nehmen.

Der berühmte jüdische Gelehrte Rabbi Mosche Ben Maiman (Maimonides, RaMBaM; 1135–1204) hat als Entfaltung des Sch´ma  „Dreizehn Grundsätze“ (schloscha-asar ikarim) des Glaubens formuliert, die bis heute für das orthodoxe Judentum maßgeblich sind:

 

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, jegliche Kreatur schafft und lenkt und dass er allein der Urheber alles dessen ist, was geschah, geschieht und geschehen wird.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, einzig ist und dass es keine Einheit seinesgleichen gibt, in keinerlei Hinsicht, und dass er allein unser Gott war, ist und sein wird.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, unkörperlich ist und frei von jeder Möglichkeit, materiell vorgestellt zu werden; und dass ihm auch keine Gestalt beigelegt werden kann.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, Anfang und Ende ist.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, allein es ist, dem Anbetung gebührt, und dass es ungebührlich ist, außer ihm ein Wesen anzubeten.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass die Worte der Propheten alle wahrhaftig sind.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass die Kündung unseres Lehrers Moses, Friede ihm, die Wahrheit und dass er von allen Propheten, früheren wie späteren, der Vater war.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass diese Tora, wie wir sie jetzt besitzen, die gleiche ist, die unserem Lehrer Moses übergeben wurde.

Ich glaube in ganzem Glauben, dass diese Tora unverwechselbar ist und dass es nie eine andere Lehre vom Schöpfer her, gelobt sei sein Name, geben wird.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, alles Tun und jegliches Trachten der Menschen kennt, wie es heißt: Er, der ihre Herzen ganz und gar gebildet, Er weiß auch all ihr Tun.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, wohl vergilt all denen, die seine Gebote erfüllen, und übel tut denen, die seine Gebote brechen.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass der Messias kommt, und ungeachtet seines langen Ausbleibens erwarte ich täglich seine Ankunft.

Ich glaube mit ganzem Glauben, dass einst zu seiner Zeit, wenn es dem Schöpfer, gelobt sei sein Name und erhoben sein Gedenken immer und ewig, wohl gefällt, die Toten auferstehen werden.

(Quellen: Hirsch, Leo - Jüdische Glaubenswelt – Victor Goldschmidt Verlag, Basel, 1978. Sidur S'fath Emeth – Victor Goldschmidt Verlag, Basel, 1972)

 

Über das Jenseits und das Leben der „zukünftigen Welt“ (Paradies für die Gerechten, Läuterung, Verdammnis der Ungerechten) gibt es im Judentum keine verbindlichen Aussagen. Manche halten eine Wiedergeburt für möglich, aber nicht für erstrebenswert. Eine Wiedergeburt wird dabei Menschen zugedacht, die ein wesentliches Ziel auf Erden nicht erreicht haben.

 

 

3. Heiligung des Alltags

3.1. Gebete

Für fromme Jüdinnen und Juden ist das ganze Leben Gottesdienst. Eine große Rolle spielen auch die Berachot, die Segenssprüche bei allen möglichen Ereignissen (z. B. beim Schneiden des Brotes: „Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du das Brot aus der Erde hervorbringst!"). Neben Lobgebeten, gibt es auch Bittgebete. Die offiziellen Gebete, wie sie im Siddur (Gebetbuch) fixiert sind, werden in Hebräisch und Aramäisch gesprochen. In der Synagoge einer orthodoxen Gemeinde darf nur ein Mann vorbeten, zu Hause haben auch Frauen gottesdienstliche Pflichten (z.B. das Entzünden der Sabbatkerzen am Freitagabend). Vor dem Gebet ist das Waschen der Hände und für Männer das Bedecken des Kopfes, Anlegen des Gebetsmantels (Tallit) und der Gebetsriemen (Tefillin) vorgeschrieben. Der Tag beginnt mit dem Morgengebet (Schacharit), das Nachmittags- und Abendgebet werden meist zusammen verrichtet. Der wichtigste Gebetstext ist bei Gemeindegottesdiensten immer das so genannte Achtzehnbittengebet, das Sch´mone Esre. Eines der häufigsten Gebete ist das Kaddisch. Es soll zehnmal am Tag rezitiert werden und wird auch zum Totengedenken gesprochen.

 

3.2. Speisevorschriften (Kaschrut)

Der Heiligung des Lebens dienen auch die zahlreichen Speisevorschriften, die in drei Gruppen gegliedert werden können:

Reine und unreine Tiere: Koscher („rein“, d.h. religiös zulässig) ist das Fleisch von Wiederkäuern, deren Hufe gespalten sind (Schweinefleisch ist also verboten!). Geflügel ist erlaubt, Raubvögel sind verboten. Erlaubt sind Wassertiere, die Flossen und Schuppen haben, verboten sind Aale, Muschel, Insekten etc. Tiere, die andere Tiere fressen, und Tiere, die von anderen gerissen worden oder von selbst verendet sind, dürfen nicht gegessen werden.

Schächtung (Schechita): rituelle Schlachtung, damit das Fleisch voll ausbluten kann. Denn Genuss von Blut (außer von Fischen) ist ganz streng verboten. Es müssen auch bestimmte Teile entfernt werden (Hüftsehne etc.)

Kochvorschriften: Fleisch darf nicht mit Milch oder Milchprodukten zusammen gekocht oder gegessen werden. Ein koscherer Haushalt hat deshalb auch getrenntes Geschirr (Fleischgeschirr, Milchgeschirr) und getrennte Abwasch (oder spezielle Geschirrspüler).

Orthodoxe Juden und Jüdinnen essen nur Speisen, deren Zusammensetzung sie genau kennen, oder deren koscherer Inhalt von einem Rabbiner bestätigt wird.

 

 

4. Feste und Feiern

4.1. Synagoge

Die Synagoge spielt als Ort des Versammelns, des Hörens, des Lernens und des Gebetes eine zentrale Rolle im jüdischen Leben. An der Ostwand in einer Nische steht der Toraschrein mit handgeschriebenen (!) Torarollen. Er gibt auch die Gebetsrichtung (Jerusalem) an. Vor dem Toraschrein brennt ein ewiges Licht (Ner Tamid). Im Raum befindet sich ein Podest für den Chasan (Vorbeter und Kantor) und ein Podest mit dem Lesepult (Bima, Almemor), von wo der Vorleser den jeweiligen Tora-Abschnitt vorträgt. Männer und Frauen nehmen in orthodoxen Synagogen getrennt Platz, Frauen auf einer Galerie oder hinter einem Gitter. (Frauen sind nicht zur aktiven Teilnahme am Gottesdienst verpflichtet.) Damit ein Gottesdienst gefeiert werden darf, muss mindestens ein Minjan, das sind zehn religionsmündige Männer, versammelt sein.

 

4.2. Sabbat

Der größte Feiertag im Judentum ist der wöchentliche Sabbat (vom Freitagabend bis Samstagabend). Gott selbst hat – nach dem Schöpfungshymnus der Bibel – am siebenten Tag der Schöpfung geruht und den siebenten Tag gesegnet und geheiligt (Genesis 2,3). Detaillierte Gebote und Verbote sorgen dafür, dass er als heiliger Ruhetag hervorragt. „Strenggläubige“ Juden und Jüdinnen bedienen am Sabbat keinen Lichtschalter, fahren nicht mit dem Auto, telefonieren nicht etc.

Am Sabbat sind 39 Arten von „Arbeit" verboten:

1.Säen 2.Pflügen 3.Mähen 4.Garbenbinden 5.Dreschen 6.Getreide schwingen 7.Reinigen der Ernte 8.Mahlen 9.Sieben 10.Kneten 11.Backen 12.Scheren 13.Waschen 14.Klopfen von Wolle 15.Färben von Wolle 16.Spinnen 17.Weben 18.zwei Schleifen machen 19.zwei Fäden flechten 20.zwei Fäden voneinander trennen 21.einen Knoten binden 22.einen Knoten lösen 23.zwei Stiche nähen 24.Auftrennen, um zwei Stiche zu nähen 25.Jagen einer Gazelle oder eines ähnlichen Tieres 26.Schlachten 27.die Haut eines Tieres abziehen 28.die Haut eines Tieres salzen 29.das Fell eines Tieres trocknen 30.ein Fell schaben 31.ein Fell aufschneiden 32.zwei Buchstaben schreiben 33.etwas ausradieren, um zwei Buchstaben zu schreiben 34.Bauen 35.Niederreißen 36.ein Feuer löschen 37.ein Feuer entfachen 38.mit einem Hammer schlagen 39.irgendetwas von einem Ort zu einem anderen tragen, z.B. aus einem privaten in einen öffentlichen Bereich und umgekehrt. (Talmud, Mischna Schabbat 7:2)

Trotz dieser und vieler anderer Einschränkungen wird der Sabbat von frommen jüdischen Familien als Tag der Freude (Gottesdienste in der Synagoge, Zeit für Familie, Besinnung) verstanden. Die Kritik Jesu richtet sich nicht gegen den Sabbat an sich, sondern gegen einen Legalismus, der z. B. sogar das Heilen eines Menschen am Sabbat verbieten will. Vom Judentum haben viele Gesellschaften, auch Christentum und Islam, den Wochenrhythmus übernommen.

 

4.3. Wichtige Feste im Jahreskreis

Das jüdische Jahr wird nach Mondphasen berechnet und hat daher nur 354 Tage. Durch Schaltmonate wird es aber dem Sonnenjahr angepasst. Die Zeitrechnung richtet sich „nach der Erschaffung der Welt“. Im Herbst des christlichen Jahres 2000 beginnt das jüdische Jahr 5761

Rosch Ha-Schana im Herbst (1./2. Tischri): Neujahrsfest.

Jom Kippur im Herbst (10.Tischri): Versöhnungstag – höchster Feiertag, Fast- und Bußtag, Sühne für alle Sünden (Levitikus 23,27-32)

Sukkot , eine Woche im Herbst (15 –23. Tischri): Laubhüttenfest : In Erinnerung an die Wüstenwanderung Israels werden Laubhütten aufgestellt. Am letzten Tag ist das Fest der Torafreude (Simchat Tora)

Chanukka im Winter (25. Kislew bis 2. Tewet): Lichterfest (Chanukkaleuchter) als Erinnerung an die Neuweinweihung des Tempels in der Makkabäerzeit (165 v. Chr.).

Purim (14. Adar): Fest in Erinnerung an die Errettung der Juden und Jüdinnen durch Ester im Perserreich, von Kindern faschingsähnlich begangen

Pessach, das Osterfest im Frühling (15.–21.Nisan): Fest des Auszuges aus Ägypten (Levitikus 23,5–149), Fest der Ungesäuerten Brote (Mazzot), Mahl in der Familie, Vorbild für christliche Eucharistiefeier (Brotsegen, Weinsegen)

Schawuot, 50 Tage nach Pessach (6./7. Siwan): Wochenfest, Dank für Kornernte (biblische Zeit), Fest der Offenbarung Gottes am Sinai

 

4.4. Feste und Feiern im Laufe des Lebens

Beschneidung (Brit Mila): Jedes Kind einer jüdischen Mutter ist – unabhängig vom Vater – Jude oder Jüdin. Äußeres Zeichen der Zugehörigkeit zum Judentum, „Zeichen des Bundes" (Brit), ist für Buben die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt (in der Synagoge oder zu Hause, meist durch den Mohel, den Beschneider, vorgenommen), wobei auch der Vorname des Kindes verkündet wird. Bei Mädchen wird der Vorname in einer eigenen Zeremonie in der Synagoge verkündet.

Bar Mizwa: Mit 13 Jahren gilt der Knabe als religionsmündig. Bei der Feier der Bar Mizwa (bedeutet „Sohn der Pflicht“) in der Synagoge darf der junge Mann erstmals aus der Tora vorlesen. Mädchen werden schon mit 12 Jahren religionsmündig. Nur in Reformgemeinden werden für sie Bat Mizwa-Feiern gehalten.

Eheschließung (Kidduschin): Die von einem Rabbiner geleitete Feier findet im Freien oder in der Synagoge, immer aber unter der Chuppa (Baldachin) statt. Die Trauung vollzieht der Bräutigam allein – „er nimmt sich eine Frau(ein gegenseitiges Versprechen gibt es nicht) – durch Ringübergabe, dann wird die von zwei Zeugen unterschrieben Ketubba (Ehevertrag) verlesen und der Rabbiner spricht den Segen.

Sterbebegleitung und Begräbnis: Mit dem Sterbenden sollen bestimmte Gebete gesprochen werden, vor allem das Sch´ma. Der Verstorbene soll noch am selben Tag nach rituellen Waschungen in einfachem Totengewand (Männer mit Tallit) beerdigt werden. Im schlichten Sarg soll etwas Erde aus Israel sein. Das Totengebet am Grab, den Kaddisch, spricht der Sohn oder der nächste männliche Verwandte. Beim Grabbesuch legt man einen Stein auf das Grab. Blumenschmuck gibt es nicht. Feuerbestattung ist verboten.

 

 

5. Ethik

Jüdische Ethik ist wie die christliche geprägt von Gottes- und Nächstenliebe. Die beiden Gebote, die das Christentum zusammenfassend als „Hauptgebot der Liebe" bezeichnet, hat Jesus der Tora entnommen und sie zum Kern der Tora und der Prophetenbotschaft erklärt. Eine wesentliche Rolle spielen natürlich die biblischen Zehn Gebote, die Judentum und Christentum gemeinsam sind. Ehe und Familie sind als Zentrum des religiösen Lebens sehr wichtig. Ehescheidung ist möglich, wobei aber die Frau nicht gleichberechtigt ist (der Mann muss den Scheidebrief ausstellen). Der Jude Dr. Michael Rosenkranz hat in einem Vortrag für Kinder jüdische Ethik so zusammengefasst:

„Ganz am Anfang der Heiligen Schrift steht, dass Gott den Menschen in Seinem Ebenbild erschaffen hat. Das aber bedeutet, dass jeder Mensch, dem wir begegnen, uns das Antlitz Gottes zeigt, und wir in jedem Menschen etwas von Gott erkennen können. Wenn wir aber Gott im anderen Menschen erkennen, wird dieser uns nicht mehr fremd sein. Wir werden ihn achten und lieben können so wie uns selbst. Denn auch wir tragen das Antlitz dieses Gottes, des Einzigen." (aus dem Internet)

 

 

6. Strömungen im Judentum

Schon im christlichen Neuen Testament lesen wir von verschiedenen religiösen Richtungen im Judentum (Sadduzäer, Pharisäer) zur Zeit Jesu. Jesus ist in vielen Punkten den Pharisäern nahe, auch wenn er manches hart kritisiert. Heute gibt es neben den kulturellen Unterschieden zwischen „europäischen Juden" und „orientalischen Juden" vor allem drei Gruppen, die für die Religion von grundsätzlicher Bedeutung sind:

Die Orthodoxen: Dazu zählen sich alle, für die Tora und Talmud abgeschlossene und unabänderliche göttliche Offenbarung sind (daher keine Rabbinerinnen, ganz strenge Sabbatgesetze etc.). Sie halten sich streng an alle überkommenen Gesetze, glauben an das Kommen des Messias und die körperliche Auferstehung der Toten am Ende der Welt. Besondere Spielarten: die Ultraorthodoxen und der Chassidismus (aus Osteuropa).

Liberales Judentum, auch Reformjudentum genannt (mit eigenen Reformgemeinden): Tora und Talmud müssen stets neu, der Zeit angepasst, interpretiert werden. Frauen dürfen neben den Männern in der Synagoge sitzen, Rabbinerinnen werden etc.

Die Konservativen: stehen zwischen Orthodoxen und Liberalen, treten für die Gleichberechtigung der Frau ein und lassen Rabbinerinnen zu.

 

 

7. Juden/Jüdinnen und Christen/Christinnen – Geschwister im Glauben?

Alle verbindet der Glaube an den einen Gott, der in Abraham alle Geschlechter der Erde segnen will. Dieser Gott wird bezeugt in der hebräischen Bibel, die für Judentum und Christentum Heilige Schrift ist (aus christlicher Sicht Erstes oder Altes Testament genannt).

Das Christentum hat seinen Ursprung im Judentum: Jesus von Nazaret, von der Jüdin Maria geboren, die Apostel und die ganze Urgemeinde in Jerusalem waren gläubige Juden und Jüdinnen. „Das Heil kommt von den Juden" (Johannes 4,22), bezeugt auch das Neue Testament.

Da viele im jüdischen Volk Jesus von Nazaret nicht als Messias anerkennen konnten, weil sie eine andere Vorstellung vom Messias hatten, hingegen griechische, römische und andere Heiden bereit waren, ohne zuerst Juden oder Jüdinnen zu werden, Jesus als ihren „Herrn" und „Sohn Gottes" anzunehmen, kam es schon früh zur Trennung zwischen Judentum und Christentum.

Dennoch: Das jüdische Volk bleibt – auch aus christlicher Sicht – Träger der Verheißung Gottes und des Abraham-Segens. Es ist nicht von Gott verstoßen, sondern weiterhin von Gott geliebt. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965; Erklärung Nostra aetate) und Papst Johannes Paul II., der als erster Papst offiziell in einer Synagoge betete und Juden und Jüdinnen als „bevorzugte Geschwister" der Christen und Christinnen bezeichnete, haben viel zu einem besseren Verständnis des Judentums innerhalb der katholischen Kirche beigetragen.

Auch Juden und Jüdinnen können heute die Rolle des Christentums und die Gestalt Jesu neu bewerten. Manche anerkennen, dass durch die weltweite Verbreitung der Botschaft des Juden Jesus durch die Kirche unzählige Menschen den einen Gott kennen gelernt und so Anteil an dem Segen Abrahams erhalten haben.

Gemeinsam ist jüdischen und christlichen Gläubigen auch die Hoffnung auf das Kommen des Messias. Während die Kirche Jesus als den Wiederkommenden erwarten, kennen gläubige Juden und Jüdinnen den Namen des kommenden Messias noch nicht.

Auch wenn in dieser Zeit die Einstellung zur Person Jesu zwischen Judentum und Christentum noch kontrovers ist, sprechen sie einander das ewige Heil nicht ab, sondern hoffen miteinander und füreinander auf die Auferstehung und das ewige Leben in Gott.

„Erhoben und geheiligt ist Sein großer Name in der Welt, die Er erneuern wird. Er belebt die Toten und führt sie empor zu ewigem Leben ..."

Beginn des Kaddisch

 

„Es hat mich oft

Geärgert, hat mir Tränen gnug gekostet,

Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,

Daß unser Herr ja selbst ein Jude war.“

Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781),

Quelle: Nathan der Weise, 1779; uraufgeführt 1783. 4. Akt, 7. Auftritt, Klosterbruder

 

„Es könnte sein, dass er, der am Ende der Tage kommen wird – er, der die Hoffnung der Synagoge und der Kirche ist – das gleiche Antlitz trägt."

Hans-Joachim Schoeps, jüd. Religionswissenschaftler,1909–1980,

 zit. nach: Franz v. Hammerstein, Das Messiasproblem bei Martin Buber, Stuttgart 1958 (StDel 1), 102 Anm. 42)

 

 

 

Karl Veitschegger am 25. Oktober 2000 / 26. Tischri 5761

 

 

Joseph Ratzinger – Benedikt XVI über christliche „Judenmission“

„Der Mensch hat ein Recht, Gott kennenzulernen, weil nur, wer Gott kennt, das Menschsein recht leben kann. Deswegen ist der Missionsauftrag universal – mit einer Ausnahme: Eine Mission der Juden war einfach deshalb nicht vorgesehen und nicht nötig, weil sie allein unter allen Völkern den „unbekannten Gott“ kannten. Für Israel galt und gilt daher nicht Mission, sondern der Dialog darüber, ob Jesus von Nazareth „der Sohn Gottes, der Logos“ ist, auf den gemäß den an sein Volk ergangenen Verheißungen Israel und, ohne es zu wissen, die Menschheit wartet. Diesen Dialog neu aufzunehmen, ist der Auftrag, den uns diese Stunde stellt.“ (HERDER KORRESPONDENZ 12/2018, 13f)

 

 

Interessante Links:

 

Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel
(Päpstl. Bibelkommission, Rom 2002)

Video: Johannes Paul II. und das Judentum

Ansprache Johannes Paul II. beim Besuch der Großen Synagoge in Rom

Dabru emet – eine jüdische Stellungnahme zum Christentum

KCJ: www.christenundjuden.org

Nie mehr Shoah! (Video mit Benedikt XVI.)

www.shoa.de

Kurzeinführung in den Islam

Judentum - Christentum - Islam (Übersicht)

Österreichisches Jüdisches Museum (Eisenstadt)

Israelitische Kultusgemeinde Graz

 

Zurück zur Startseite von Karl Veitschegger

Zurück zum Menü „Meine Artikel, Referate, Skizzen ...“


Karl Veitschegger © 2000 / 5761