Karl Veitschegger

 

Kurzeinführung in den Islam aus der Sicht eines katholischen Christen


 


1. Von Abraham bis Muhammad

 

Auf Abraham, den leiblichen und geistlichen Stammvater des Judentums, berufen sich auch die Gläubigen des Islams: die Muslime. Sie sehen in dem Abrahamssohn Ismael (vgl. Genesis 16,16 und 17,20), den Ahnherrn der arabischen Stämme, aus denen der große Prophet des Islams, Muhammad (570 – 632 n. Chr.; im Westen oft Mohammed ausgesprochen), stammt. In der arabischen Handelsstadt Mekka geboren, als Waisenkind von Verwandten großgezogen, glücklich verheiratet mit der wohlhabenden und um 15 Jahre älteren Kauffrau Kadidscha, weiß sich Muhammad um das Jahr 610 zum Propheten und Gesandten Gottes berufen: Er soll – wie vor ihm schon Abraham, Ismael, Mose und viele andere Propheten – den Menschen wieder den Glauben an den einen und einzigen Gott (arabisch: Allah) verkünden. Die Vielgötterei, die damals in Mekka üblich ist, soll ein Ende haben. Die Kaaba, nach arabischer Überlieferung von Adam als erstes Gotteshaus der Welt erbaut und nach der Zerstörung durch die Sintflut von Abraham wiedererrichtet, soll von Götzenbildern und heidnischen Bräuchen gereinigt werden. Immer wieder in unregelmäßigen Abständen erfährt Muhammad bis zu seinem Tod im Jahre 632 „Offenbarungen“ (übermittelt durch den Engel Gabriel, arab. Dschibril), die im Koran (arab. Quran, wörtlich: Lesung) aufgezeichnet worden sind. Kadidscha – sie bleibt zu ihren Lebzeiten Muhammads einzige Frau – und einige Leute aus Mekka glauben an ihn, andere lehnen seine Predigt vom Gericht Gottes und von der Auferweckung der Toten am Jüngsten Tag als Betrug ab.

 

 

2. Muhammad hat Erfolg

 

Angefeindet und enttäuscht verlässt der „Gesandte Allahs“ mit seinen treuen Gefährten 622 Mekka und zieht nach Jathrib (später Medina, Stadt des Propheten, genannt), wo man ihn willkommen heißt und seine religiöse, soziale, politische und militärische Begabung zu schätzen weiß. Diese Auswanderung (Hidschra) ist der Beginn der islamischen Zeitrechnung. In Medina wird Muhammad zum erfolgreichen Begründer, Führer und Feldherrn einer wachsenden muslimischen Gesellschaft, geordnet nach den Anweisungen „Allahs und seines Gesandten“. Immer deutlicher setzt sich die Umma, die Gemeinschaft der Muslime, jetzt von Judentum und Christentum ab, deren Angehörige zwar wie die Muslime an den einen Gott glauben, aber nicht in der vom Koran vorgeschriebenen Weise. Nach einigen kriegerischen Auseinandersetzungen – berühmt ist die Schlacht von Badr – gelingt es Muhammad, in Mekka einzuziehen und die Kaaba von der Vielgötterei – neben dem Schöpfergott Allah werden dort z. B. noch drei „Töchter Allahs“ angebetet – zu reinigen. Obwohl Muhammad nach dem Tod Kadidschas (619) mehr als ein Dutzend Frauen (darunter auch eine koptische Christin) heiratet und viele Kinder zeugt, überlebt ihn kein Sohn, so dass die Frage nach der legitimen Nachfolge in der Führung der Umma bis heute unter Muslimen umstritten ist (Sunniten, Schiiten).

 

 

3. Der Koran (Quran)

 

Der Koran, in 114 Suren (Kapitel) unterteilt, ist für Muslime Höhepunkt und Schlusspunkt aller Offenbarungen Gottes. Zwar wird anerkannt, Gott habe dem Mose die Tora und dem Messias Jesus (arabisch Isa) das Evangelium (arabisch: Al-Indschil) herabgesandt, aber sofort hinzugefügt, das Ahl al-Kitab, d.h. das „Volk der Schrift“ (= christliche und jüdische Gläubige) habe diese Schriften verfälscht, weshalb auf die Bibel kein Verlass mehr sei. Beim Koran ist das nach muslimischer Überzeugung ganz anders: Hier ist jeder Vers wortwörtlich von Gott in arabischer Sprache dem „Gesandten“ diktiert und seither getreu überliefert. Der Koran ist unbegreiflich schön und wunderbar, kein Mensch könnte solche Verse erdichten! Mit dem Tod Muhammads, dem „Siegel der Propheten“, ist die Kette der Propheten Gottes, zu denen Adam, Noah, Abraham, Mose, Jesus und viele andere gehören, zu Ende. Gott hat im arabischen Koran sein letztes, schönstes und unüberbietbares Wort gesagt, und zwar für die ganze Menschheit (und auch für die Dschin, unsichtbare aus Feuer geschaffene Wesen). Was erwartet Gott von seinen Geschöpfen? – Islam! Dieses arabische Wort bedeutet Unterwerfung und Ergebung. Und wer sich Allah unterwirft, ist ein Muslim, ein Ergebener, oder eine Muslima, eine Ergebene. Die erste Sure – „die Eröffnende" (Al-Fatiha) – ist auch die meist zitierte:

 

Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen!

Lob sei Allah, dem Herrn der Welten,

dem Erbarmer, dem Barmherzigen,

dem Herrscher am Tag des Gerichtes!

Dir dienen wir und zu Dir rufen wir um Hilfe.

Leite uns auf den rechten Weg,

den Weg derer, denen Du gnädig bist,

nicht derer, denen Du zürnst, und der Irrenden.

 

 

4. Die sechs Glaubensartikel

 

Im Zentrum des Islams steht der Glaube an die Einzigkeit und Erhabenheit Gottes. Jede bildliche Darstellung von Gott ist verboten. Irgendjemanden oder irgendetwas an die Seite Gottes zu stellen, wird Schirk („Beigesellung“) genannt und gilt als das größte Verbrechen. Auch der christliche Glaube an eine Differenzierung in Gott (Dreifaltigkeit) und an die Menschwerdung Gottes in Jesus wird als gotteslästerlich zurückgewiesen. Gott, der Schöpfer und Herr der Welt, ist viel zu groß und erhaben, um Mensch zu werden. Schon gar nicht kann ein Gekreuzigter Gott sein. Es ist Gnade genug, dass Gott zu den Propheten, die allesamt nur Menschen sind, sein Wort „herab“-gesandt hat.

„O ihr Gläubigen, glaubet an Allah und Seinen Gesandten und an das Buch, das Er Seinem Gesandten herabgesandt hat, und an die Schrift, die Er zuvor herabsandte. Und wer nicht an Allah und Seine Engel und Seine Bücher und Seine Gesandten und an den Jüngsten Tag glaubt, der ist wahrlich weit irregegangen." (Koran, Sure 4,136)

Zu den in diesem Koranvers genannten fünf Glaubensinhalten kommt als sechster noch Kadr, die Vorherbestimmung von Gut und Böse, dazu. Muslime wollen dies aber nicht als Fatalismus verstanden wissen. Der Mensch hat auch einen freien Willen, aber der alles bestimmende Gott hat in seiner Allwissenheit die Freiheit des Menschen schon von vornherein „miteinkalkuliert“. (Ähnliche Positionen werden auch im Christentum vertreten.) Fundamental ist der Glaube an die leibliche Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag und an das Gericht Gottes, vor dem jeder Mensch Rechenschaft ablegen muss. Die Guten werden mit dem Paradies belohnt, die Bösen mit der Hölle (ewig oder wenigstens eine Zeit lang) bestraft. Wer Muslim bleibt, wird gerettet, auch wenn er wegen seiner Sünden vorübergehend in das Feuer gehen muss. Denn – so heißt es immer wieder im Koran – „Allah ist verzeihend“.

 

 

5. Die fünf Säulen (Pflichten) des Islam

 

§  Schahada: Bezeugung. Muslim ist, wer den Glauben bezeugt: „Ich bezeuge, es ist kein Gott außer Allah, und Muhammad ist der Gesandte Gottes.“

§  Salat: rituelles Gebet. Es ist Pflicht für Mann und Frau (ab 7. Lebensjahr), fünfmal während des Tages in Richtung Mekka (Gebetsrichtung = Kibla) bestimmte Gebete zu verrichten, nämlich vor Sonnenaufgang, zur Mittagszeit, am Nachmittag, nach Sonnenuntergang und zu Beginn der Nacht. Es soll womöglich in Gemeinschaft gebetet werden. In islamischen Ländern ruft der Muezzin vom Minarett (Turm neben dem der Moschee, dem Haus für den Gottesdienst) zum Gebet. Bei jedem rituellen Gebet wird die Sure 1 (s. o!) rezitiert. Am Freitag, dem heiligen Tag des Islams, ist das Mittagsgebet als Gemeinschaftsgebet vorgeschrieben (Predigt und Gebetsgottesdienst in der Moschee). Frauen dürfen daran teilnehmen. Muslime beten mit dem ganzen Körper (Stehen, Verbeugung, Berührung des Bodens mit der Stirn, Sitzen). Der Imam (Vorbeter) macht die einzelnen Gesten vor. Er ist Laie, kein Priester. Der Islam ist stolz darauf, keine Priesterschaft, keine Sakramente, ja auch keinen Erlöser oder Mittler zwischen Gott und den Menschen zu benötigen.

§  Zakat: die „Armensteuer“. Muslime sind verpflichtet, einmal jährlich für karitative und missionarische Einrichtungen des Islams eine Abgabe zu entrichten (etwa 2,5 % der Nettoeinkünfte, 10 % der Ernte).

§  Saum: das Fasten. Alle Gesunden (ab der Geschlechtsreife) müssen im Ramadan, im neunten Monat des islamischen Kalenders (Mondjahr) vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang fasten, d. h. sie dürfen nichts essen und trinken, nicht rauchen und müssen sexuell enthaltsam sein. Das Fasten lehrt Selbstdisziplin und stärkt das Denken an Gott.

§  Hadsch: die Pilgerfahrt. Sofern es ihnen finanziell möglich ist, müssen Muslime einmal im Leben nach Mekka zur Kaaba pilgern und dort (und in der Umgebung) bestimmte Riten vollziehen. Hier erleben Muslime besonders stark die alle Nationen, Rassen, Hautfarben und Sprachen verbindende Kraft des Islam. Alle Männer müssen die gleiche weiße Pilgerkleidung (ungesäumte Leinentücher) tragen.

 

 

6. Die Sunna

 

Zusätzlich zum Koran, der nicht nur religiöse und moralische Anweisungen, sondern auch rechtliche und politische enthält, ist auch die Sunna (= Gewohnheit), die Lebensgewohnheit Muhammads, Maßstab für muslimisches Glauben und Leben. Denn: „Wer dem Gesandten gehorcht, gehorcht Gott.“ (Sure 4,80) Hadith heißt die Überlieferung über etwas, was der sündenfreie und unfehlbare Prophet gesagt, getan oder schweigend geduldet hat. Es gibt umfangreiche Hadith-Sammlungen. Je seriöser ein Hadith, desto mehr Autorität kommt ihm zu. Hier zwei Beispiele für Aussprüche Muhammads:

„Keiner von euch ist gläubig, bis er für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.“

(aus An-Nawawi: Vierzig Hadithe)

(Der Gesandte zu Frauen:) „Gebt Almosen, denn die meisten von euch sind Brennstoff für das Feuer der Hölle!“ Darauf stand eine dunkelwangige Frau auf und sagte: „Warum ist das so, o Gesandter Allahs?“ Er antwortete: „Weil ihr Frauen sooft unzufrieden seid und euch undankbar gegenüber euren Ehemännern zeigt.“

(aus Sahih Muslim, Bd. II A, S. 22, Hadith 885 R1.)

 

 

7. Umfassende Ordnung

 

Die Universalordnung des Islams, die Scharia („Weg zum Wasser“), will alle Bereiche der Religion, des Rechts, der Ethik und der Politik regeln und fußt außer auf Koran und Sunna auch auf dem Konsens der Gelehrten (Idschma) und der Methode des Analogieschlusses (Kiyas).

 

Jede menschliche Handlung wird (religiös-ethisch) klassifiziert. Sie kann sein

·        geboten (fard): Wer sie tut, wird belohnt; wer sie unterlässt, bestraft.

·        empfohlen (mandub): Wer sie tut, wird belohnt; wer sie unterlässt, wird nicht bestraft.

·        erlaubt, indifferent (mubah): Sie ziehen weder Lohn noch Strafe nach sich.

·        missbilligt (makruh): Wer sie meidet, wird belohnt, wer sie tut, aber nicht bestraft.

·        verboten (haram): Wer sie meidet, wird belohnt; wer sie tut, wird bestraft.

 

In konkreten Rechtsfällen entscheidet der Kadi (ein an einer islamischen Hochschule ausgebildeter Richter), Grundsatzurteile (Fatwa) fällt der Mufti (staatl. anerkannter Rechtsexperte). Es wird innerhalb des Islams diskutiert, ob und wie eine Anpassung der Scharia an moderne zivile Rechtsordnungen und an „westliche Lebensart“ möglich ist. Muslime haben die Pflicht, sich weltweit für die Errichtung einer islamischen Gesellschaft einzusetzen, wobei der Einsatz dafür, der Dschihad (wörtlich: Anstrengung, fälschlich mit „heiliger Krieg“ wiedergegeben), heute nicht primär als kriegerischer Einsatz verstanden wird. Politik und Religion sind für Muslime nicht trennbar. Den Anhängern von Christentum und Judentum ist auf islamischen Hoheitsgebiet Lebensrecht und beschränktes Recht auf Religionsausübung zu gewähren. Oft wurde und wird dieses islamische Prinzip sehr großzügig, manchmal aber auch sehr restriktiv gehandhabt. Da Juden und Christen „Kopfsteuer“ leisten mussten und so eine wichtige Einnahmequelle für islamische Herrscher darstellten, war man an ihrem Übertritt zum Islam nicht immer sehr interessiert.

 

 

8. Rituelle Reinheit und Speisevorschriften

 

Das Gebet – so lehrt der Islam – ist nur dann gültig und wird von Gott nur dann angenommen, wenn Betende im Zustand der rituellen „Reinheit“ sind. Körper, Kleidung und Gebetsort müssen „rein“ sein. Bei kleinerer Unreinheit (z.B. nach Stuhlgang) ist vor dem Gebet eine Teilwaschung (Wudu) vorgeschrieben, bei größerer Unreinheit (nach Samenerguss, Menstruation, Beischlaf, Entbindung) eine Waschung des ganzen Körpers (Ghusl). Wie die meisten Handlungen beginnt der Muslim auch die Waschungen mit dem Bismallah, den Anfangsworten fast aller Suren des Koran:

Bism illah ir-rahman ir-rahim! – Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen!

Der Islam kennt auch Speisevorschriften: Verboten sind Blut, Schweinefleisch und das Fleisch von Tieren, die verendet oder nicht ordnungsgemäß geschlachtet worden sind. Verboten sind auch berauschende Getränke. Erst in den ewigen Gärten des Paradieses werden die Gläubigen Wein trinken können, soviel sie wollen.

 

 

9. Kalender, Feste, Feiern

 

Im christlichen Jahr 2000 begann für Muslime das Jahr 1421 nach der Hidschra (s. o!). Der islamische Kalender ist ein Mondkalender, die Mondsichel (Hilal, fälschlich oft als „Halbmond“ bezeichnet) wohl auch deshalb ein wichtiges Symbol des Islams. Die Feste können in sehr verschiedene Jahreszeiten des Sonnenjahres fallen.

Von größter Bedeutung ist der Fastenmonat Ramadan, weil am 27. dieses Monats in der „Nacht der Bestimmung“ (Laylat al-Kadr) die erste Koran-Offenbarung an Muhammad erfolgt sein soll. Den Abschluss des Ramadans bildet das Fest des Fastenbrechens (arabisch Id al-Fitr, türkisch Scheker Bayram). Das zweite große Fest des Islams, das Opferfest (arabisch Id al-Adhan, türkisch Kurban Bayrami ), zeitlich am Ende der Riten der Pilgerfahrt nach Mekka platziert, gilt dem Gedenken an Abraham, der aus Gottergebenheit sogar bereit gewesen wäre, seinen Sohn zu opfern (vgl. Koran Sure 37,100–111 und Genesis 22,1–9). Familien schlachten ein Lamm oder eine Ziege. An beiden Festen ist das Gemeinschaftsgebet für Männer verpflichtend. Frauen dürfen daran teilnehmen.

In manchen islamischen Ländern werden auch die Geburt des Propheten (Maulid an-Nabi), wobei es am Festtag Geschenke für die Kinder gibt, und seine nächtliche Himmelsreise (arab. Isra), die er einst von Mekka nach Jerusalem und von dort in den Himmel gemacht haben soll – der Felsendom erinnert daran –, gefeiert. Das Aschura-Fest erinnert die Sunniten an die Rettung Noahs (Nuh) in der Arche, die Schiiten vor allem an den Märtyrertod des Muhammad-Enkels Hussain 680 n. Chr. bei der Schlacht von Kerbela.

Festlich begangen werden im Kreis der Angehörigen die Beschneidung der Knaben. und die Hochzeit, wobei die Familien der Brautleute den Abschluss des Ehevertrages feiern.

Vor dem Begräbnis müssen Verstorbene rituell gewaschen werden. Sie sollen innerhalb von 24 Stunden (traditionell ohne Sarg) in einem Grab, das gegen Mekka gerichtet ist, beigesetzt werden.

 

 

10. Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Achtung vor Leben und Gut

 

Im Koran steht: „Allah will eure Bürde erleichtern, denn der Mensch ist schwach erschaffen worden.“ (Sure 4,28) Der Islam versteht sich selbst als Erleichterung gegenüber seinen Vorgängerreligionen Judentum und Christentum. Die oberste Maxime islamischer Moral ist Gerechtigkeit. Gott ist ein gerechter Richter und Vergelter, aber auch barmherzig und verzeihend. Schlechte Handlungen sind durch gute zu kompensieren. Leben, Ruf und Gut des Nächsten müssen geachtet, die Eltern geehrt werden. Lügen sind zu meiden. Vor Gericht zählt das Zeugnis einer Frau weniger als das eines Mannes. Zinsen nehmen wird als Wucher verurteilt, Gewalttat, Raub und Diebstahl schwer bestraft (Sure 5,38: „Hackt dem Dieb oder der Diebin die Hände ab ...“). Alkoholgenuss und Glückspiel sind untersagt. Feindesliebe ist nicht geboten, Rache nicht verboten, aber sie soll maßvoll sein. Statt Blutrache zu üben wird empfohlen, Sühnegeld zu nehmen. Erben und Vererben ist nur unter Muslimen möglich. Töchter bekommen einen geringeren Teil des Erbes, weil sie nicht für die Familie sorgen müssen.

 

 

11. Sexualität, Ehe, Familie

 

Keuschheit ist wichtig, allerdings wird der Zölibat nicht als Ideal geachtet. Muslime sollen heiraten. Ein Muslim darf auch eine Christin oder Jüdin (aber keine Frau, die an viele Götter glaubt) heiraten, eine Muslima hingegen darf nur einen Muslim heiraten. Geschlechtsverkehr ist nur Eheleuten gestattet (außer dem Mann mit seinen Sklavinnen). Sexuelle Vergehen (z.B. Ehebruch, homosexuelle Praxis) sind schwer strafbar. Der Ehevertrag gibt der Frau wirtschaftliche Sicherheit. Der Ehemann muss für den Lebensunterhalt der Familie sorgen und darf von seiner Frau, die primär Hausfrau und Mutter sein soll, Gehorsam verlangen, ja sie „notfalls“ sogar schlagen (vgl. Sure 4,34). Einem Muslim ist es vom Koran gestattet, bis zu vier Ehefrauen gleichzeitig zu haben, wenn er sie gerecht behandeln kann. Nur Muhammad hatte laut Koran die Erlaubnis für eine unbegrenzte Zahl von Ehefrauen: „Ein besonderes Privileg für dich vor den Gläubigen!“ (Sure. 33,50) Scheidung nach einer vorgeschriebenen Prozedur ist möglich, auch von Seiten der Frau (schwieriger!). Jede Frau ist ab der Pubertät verpflichtet, in der Öffentlichkeit Hidschab (Schleier, Bedeckung von Kopf bis Fuß) zu tragen (vgl. Sure 33,59). Die in manchen islamischen Ländern (Ägypten, Sudan Schwarzafrika) praktizierte Klitoris-Beschneidung der Mädchen ist im Koran nicht vorgeschrieben (wurde aber von Muhammad gebilligt) und wird von vielen Muslimen heute als barbarische Sitte verurteilt. Aus historischer Sicht muss gesagt werden, dass der Islam zur Zeit Muhammads für die arabische Frau eine Besserstellung brachte.

 

 

12. Spaltungen, Rechtsschulen, „Farben“

 

Nach dem Tod Muhammads spaltete sich die Gemeinde, weil sie sich über die Nachfolge Muhammads nicht einigen konnte. Die Sunniten, die heute 90 Prozent der Muslime ausmachen, traten für eine Art Wahl des Leiters der Gemeinde, Kalif (Stellvertreter) genannt, aus dem Stamm der Kuraischiter ein, die Schiiten vertraten die Ansicht, der Leiter der Gemeinde, Imam genannt, müsse aus der Familie des Propheten stammen. Als besonders maßgeblich gelten den Sunniten die vier ersten Kalifen: Abu Bakr (632-634), Umar (634-644), der Jerusalem und damit die heiligen Stätten der Juden und Christen eroberte, Uthman (644-656), der den Korantext vereinheitlichte und fixierte (653), und Ali (656-661), der Ehemann der Muhammad-Tochter Fatima (der von den Schiiten als erster Imam verehrt wird). Während es heute keine sunnitischen Kalifen mehr gibt, legen die Schiiten Wert darauf, dass der letzte in der Kette der Imame – sie stammten alle von Ali, dem Schwiegersohn Muhammads ab – noch heute im Verborgenen die Gemeinde unfehlbar leitet und eines Tages als Mahdi (der Rechtgeleitete), eine Art Messias, auf die Erde zurückkehren und eine gerechte Gesellschaft gründen wird. Der Ausdruck Schiiten kommt von Schia, was Partei (des Ali) bedeutet. Die Schia ist in Jemen, Iran, Indien, Syrien und Afrika verbreitet. Die größte Gruppe unter den Schiiten ist die Zwölfer-Schia. Sie hält den 12. Imam für den seit 940 n. Chr. verborgenen Imam. Es gibt viele Parteien, Abspaltungen und Sonderbildungen des Islams (Karidschiten, Zayditen, Ismaeliten, Alawiten, Drusen etc.).

 

Unter den Sunniten bildeten sich im Lauf der Geschichte vier Rechtsschulen heraus, die auf je besondere Weise Koran und Sunna im Detail interpretieren: die Malikiten (in Nordafrika), die Hanbaliten (in Saudiarabien),die Hanifiten (Türkei, Indien, Ägypten) und die Schafiiten (in Palästina). Sie betrachten sich als ebenbürtig. In fundamentalen Fragen besteht kein Zwiespalt.

 

Wenn man von den fünf „Farben“ des Islams spricht, meint man die fünf großen kulturellen und sprachlichen Zusammengehörigkeiten: die arabische (Nordafrika, Vorderer Orient), die türkische (Türkei, Zentralasien, China), die irano-indische (Iran, Afghanistan, Pakistan, Bangladesch, Indien), die malaiische (Indonesien, Malaysia, Philippinen) und die schwarze (Schwarzafrika, Schwarze in den USA). Vermutlich werden auch die Muslime in West- und Nordeuropa über kurz oder lang eine eigene „Farbe“ des Islams darstellen.

 

 

13. Jesus im Islam

 

Der Koran spricht von Jesus (Isa) und seiner Mutter Maria (Maryam) mit großer Hochachtung. Maria ist die einzige Frau, die der Koran mit Namen nennt. Jesus gilt als einer der ganz großen Gesandten Gottes. Er wurde von Maria jungfräulich empfangen und legte schon in der Wiege für Gott Zeugnis ab. Allah gab ihm Wunderkraft. Er konnte Vögel aus Ton erschaffen, Kranke heilen, ja sogar Tote erwecken. Doch er darf nicht „Sohn Gottes“ oder „Gott“ genannt werden. Die Christgläubigen werden ausdrücklich gewarnt:

„O Volk der Schrift, übertreibt nicht in eurem Glauben und sprecht von Allah nur die Wahrheit. Der Messias Jesus, der Sohn der Maria, ist der Gesandte Allahs und sein Wort, das er in Maria legte, und Geist von Ihm. Glaubt also an Allah und seinen Gesandten, und sprecht nicht: «Drei.» Lasst ab davon – es ist besser für euch! Allah ist nur ein Einiger Gott. Preis Ihm! Undenkbar, dass Er einen Sohn haben sollte!“ (Sure 4,171)

Für Christenmenschen ist das Wort Gottes (das zum Wesen Gottes gehört) nicht nur „hörbar" durch die Propheten und „lesbar“ in den heiligen Schriften, sondern – und das macht die Pointe des Christentums aus! – in Jesus von Nazaret „Fleisch“ geworden. Sie bekennen: Der einfache Mensch Jesus ist, so wie er ist, zugleich Gottes Wort, von Gottes Art und Wesen. Deshalb darf man diesen Zimmermann aus Nazaret mit Recht „Sohn Gottes“ nennen. Der eine und einzige Gott ist voll an-wesend in seinem Sohn Jesus und im Heiligen Geist. Die Bibel spricht von Vater, Sohn, Heiligem Geist ... Christliche Theologie nennt das „Dreieinigkeit“. Für Muslime ist so etwas nicht nachvollziehbar. Niemals würde der Ewige ein schwacher Mensch werden. Sollte Gott sich bis zur Kreuzigung erniedrigen, wie die Christen und Christinnen behaupten? Ein Muslim schreibt:

„Schon allein der Gedanke an die Kreuzigung ist absurd. [...] Was die Christen nicht bedenken, ist die Tatsache, dass die Gekreuzigten nackt ans Kreuz geschlagen wurden. [..]. Die Vorstellung der Christen, dass sich Gott so tief erniedrige, dass er sich von seinen Feinden, vom gemeinsten Pöbel verhöhnen, verspotten und misshandeln lasse und dass ER schließlich zwischen zwei richtigen Verbrechern den schandvollsten und qualvollsten Tod erleidet, ist für den gläubigen Muslim eine Herabwürdigung seines Gottesbegriffes, welchen er seit seiner Kindheit in seinem Herzen trägt.“

(Halid B. in http://www.fatih-moschee.de/Religioses/Jesus/jesus.html, im Oktober 2000)

Nach dem Koran hat Jesus nicht den Kreuzestod erlitten (Sure 4,157), sondern Allah hat ihn davor bewahrt und ihn in den Himmel erhoben. Ein ihm äußerlich Ähnlicher wurde statt ihm gekreuzigt.

Am Ende der Zeit – so eine muslimische Tradition – wird Jesus wieder auf die Erde kommen, heiraten, alle Schweine töten, Kreuze, Kirchen und Synagogen zerstören und sich für die Befolgung des Islams einsetzen. Nach seinem Tod wird er neben Muhammad in Medina beigesetzt werden und die Auferstehung erwarten.

 

 

14. Christen und Muslime

 

Weltweit leben heute rund 1 Milliarde Muslime und 2 Milliarden Angehörige christlicher Kirchen, davon 1 Milliarde katholischer Christen. Im Laufe der Geschichte war das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen sehr wechselhaft. Unter islamischer Herrschaft durften christliche und jüdische Bürgerinnen und Bürger als „Schutzbefohlene“ (Dhimmi) , d. h. schlechter gestellt als Muslime, aber besser als Heiden und Ungläubige, leben, ja sie konnten mitunter hohe Ämter erreichen. Die Christen und Christinnen in Europa hatten aber stets Angst vor den Eroberungszügen des Islams. Mit Gewalt versuchten sie, die vom Islam eroberten Gebiete und vor allem die Heiligen Stätten in Palästina zurückzugewinnen. Es floss viel Blut. Christgläubige bedauern heute den Einsatz von Gewalt „im Namen Christi“, aber auch Muslime geben zu, dass islamische Herrscher ungerechte Angriffskriege geführt haben. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil bemüht sich die katholische Kirche, eine neue respektvolle Beziehung zum Islam aufzubauen. Andere Kirchen versuchen Ähnliches. Als katholischer Christ möchte ich festhalten:

·        Angehörige des Islams und des Christentums glauben an den einen Gott, den Barmherzigen, den Schöpfer der Welt, der alle Verstorbenen zum Leben auferweckt.

·        Sie beten den einen Gott an, bitten um seine Gnade und glauben, dass Sie vor Gott, dem gerechten und barmherzigen Richter, für ihr Leben Rechenschaft ablegen müssen.

·        Christen und Christinnen können in Muhammad einen aufrichtigen Künder der Einzigkeit Gottes sehen, der in Wort, Tat und Lebensführung starke Ähnlichkeiten mit Propheten der Bibel aufweist.

·        Sie können aber aus historischen Gründen die Leugnung des Kreuzestodes Jesu nicht akzeptieren. Sie fragen die Muslime, ob der entsprechende Koranvers (Sure 4,157) nicht auch anders als traditionell interpretiert werden darf.

·        Christen und Christinnen bewundern die Ehrfurcht frommer Muslime vor der Größe des einen Gottes. Sie glauben aber nicht, dass es der unendlichen Größe Gottes widerspricht, wenn Gott sich in Jesus von Nazaret freiwillig klein macht und erniedrigt, um den Menschen in ihrer Kleinheit, Niedrigkeit, Sündhaftigkeit und Verlorenheit ganz nahe zu sein – liebend und rettend (Menschwerdung, Inkarnation). Sie bezeugen seit 2000 Jahren: „Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave ...“ (Philipper 2,7) Und: „Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen.“ (2 Korinther 8,9)

·        Christen und Christinnen glauben, dass die theologische Rede von der „Dreieinigkeit" Gottes ein stammelnder, aber legitimer Versuch ist, das unbeschreibliche Geheimnis des Lebens in Gott in Worte zu fassen. Sie wollen damit bezeugen, dass Gott nicht zu trennen ist von seinem ewigen Wort, dass er in die Welt sandte, und von seinem ewigen Geist, mit dem er überall in der Schöpfung wirksam ist. Wer es mit dem Wort Gottes zu tun hat, hat es mit Gott selbst zu tun, und wer es mit dem Geist Gottes zu tun hat, hat es mit Gott selbst zu tun. Es ist nur ein einziger Gott! Christen und Christinnen bemerken mit Interesse, dass auch im Koran der eine und einzige Gott sowohl als „lch“ als auch als „Wir“ spricht.

·        Christen und Christinnen sind dankbar für die große Freiheit, zu der Christus sie befreit hat (vgl. Galater 5,1), und fragen Muslime, ob nicht manche Vorschriften des Koran zeitgebunden sind und heute anders gelebt werden können, ohne dass deren ursprünglicher Sinn – Anbetung des einen Gottes und gerechtes Verhalten zum Mitmenschen – verloren geht.

·        Wir hoffen, dass Muslime und Christen eines Tages in allen Ländern der Welt gleichberechtigt miteinander in Frieden und in gegenseitiger Hilfsbereitschaft leben können. Denn "unser Gott und euer Gott ist Einer, und Ihm sind wir ergeben" (Sure 29,46).

 

Karl Veitschegger am 4. November 2000 / 6. Schaaban 1421

 

 

Homepage der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich: www.derislam.at

Die gemeinsame Erklärung zur Geschwisterlichkeit aller Menschen (von Papst Franziskus und dem Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb, 2019)

Ramadan-Gebet im Kölner Dom 1965

Beachtenswertes für Christen im Umgang mit Muslimen (Folder 2005)

Kurzeinführung in das Judentum

Judentum – Christentum – Islam (Gegenüberstellung)

 

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