Karl Veitschegger (2022) Ja, das kann man so sagen. Als Kind jüdischer Eltern wird er am
achten Tag nach seiner Geburt beschnitten (vgl. Lk 2,21) und erhält den
hebräischen Namen Jeschua bzw. Jeschu
(griechisch Jesus), eine beliebte Kurzform von Jehoschua
(„Gott rettet“). Einiges spricht dafür, dass die Familie Jesu überzeugt
ist, von König David (um 1000 v. Chr.) abzustammen (vgl. Röm 1,3; Mt 1,1; Lk
1,32). David gilt im Volk Israel als Vorfahre des Messias und ihm werden
viele Gebete und Lieder zugeschrieben, die man als Psalmen in der Bibel
findet. Jesus lernt in seiner Familie und in der Synagoge die Psalmen, die
Tora und die Schriften der Propheten kennen. Mit Überzeugung rezitiert er das
„Schma Jisrael“, einen der wichtigsten Texte des Judentums: „Höre, Israel!
JHWH, unser Gott, JHWH ist einzig. Darum sollst du JHWH, deinen Gott, lieben
mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ (Dtn 6,4–9, vgl.
Mk 12,29f). Diesen Gott, dessen Vierbuchstaben-Name im Judentum aus Ehrfurcht
nicht ausgesprochen wird, nennt er vertrauensvoll seinen Vater oder besonders
zärtlich „Abba“ (Papa). Eins mit seinem Abba Aus dieser innigen Liebe heraus
interpretiert er die Tora, die für alle Gläubigen im Volk Israel Ausdruck des
Willens Gottes ist. Schriftgelehrte haben die Aufgabe, die Tora zu studieren
und für die Menschen lebensnah auszulegen, wobei es verschiedene Auslegungen
nebeneinander geben darf. Auch Jesus wird als „Rabbi“ (Lehrer) angesprochen.
Er schätzt die Tora, will sie keineswegs abschaffen, sondern – wie er sich
ausdrückt – „erfüllen“ (vgl. Mt 5,17). Rabbi Er will aufzeigen, worauf alle Gebote
letztlich hinauswollen: ungeheuchelte radikale Liebe, Barmherzigkeit,
Großzügigkeit, Versöhnungsbereitschaft bis zur Feindesliebe … Er trägt seine
Auslegung mit großem Selbstbewusstsein vor. Das erregt Erstaunen, aber auch
Widerspruch. Wenn er z. B. traditionelle Sabbatregeln missachtet, kultische
Normen verletzt und Sündern die Vergebung Gottes zusagt, geht das vielen zu
weit. Maßt er sich damit nicht göttliche Autorität an? Prophet? Messias? Andere verehren ihn, halten ihn für
einen Propheten oder den Messias. Es gibt zur Zeit Jesu noch nicht das
Judentum, sondern verschiedene jüdische Richtungen und Parteien. Wenn in den
Evangelien „die Juden“ kritisiert werden, ist das innerjüdische Kritik an der
Obrigkeit oder an bestimmten Gruppen. Jesus hat vor seinem eigenen Auftreten
den kritischen Predigten Johannes des Täufers zugehört. Dass er dessen Aufruf
zur Taufe folgt, ist ein Zeichen radikaler Entscheidung für Gott. Jesus
versteht sich als „geliebten Sohn Gottes“ (vgl. Mk 1,11) und geht seinen ganz
besonderen Weg, aber immer als Jude. Er besucht Sabbat für Sabbat die
Synagoge (vgl. Lk 4,16), bezahlt die Tempelsteuer (vgl. Mt 17,24-27), feiert
die Feste Israels und pilgert nach Jerusalem, um im Tempel zu beten. Der Konflikt mit der Tempelhierarchie Dort kommt es allerdings zum Eklat.
Markus erzählt: „Jesus ging in den Tempel und begann, die Händler und Käufer
aus dem Tempel hinauszutreiben; er stieß die Tische der Geldwechsler und die
Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch
den Tempelbezirk trug.“ Er tut dies nicht als Gegner des Tempels, sondern
erklärt sein Verhalten so: „Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein
Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden? Ihr aber habt daraus eine
Räuberhöhle gemacht.“ (Mk 11,17, vgl. Jes 56,7). Freilich bringt er damit die
oberste Priesterschaft gegen sich auf. Sie wird ihn dem römischen Statthalter
Pilatus als Unruhestifter ausliefern. Rom duldet keinen Aufruhr in Palästina.
Rebellen werden hingerichtet. So kommt es nach einem nicht mehr ganz
durchschaubaren Prozess zur Kreuzigung Jesu unter dem Spotttitel „König der
Juden“. Ende und doch ein Anfang Jesus, der als frommer, aber
selbstbewusster Jude gelebt hat, stirbt auch als Jude – mit jüdischen Psalm-Worten
auf seinen Lippen (vgl. Mk 15,34 par. und Ps 22; Lk 23,46 und Ps 31,6).
Damals ahnt noch niemand, dass die Botschaft dieses Juden aus Nazaret schon
bald unzählige Menschen in vielen Völkern und Kulturen erreichen und
inspirieren wird. Bis heute. Karl Veitschegger Einführung ins Judentum aus kath. Sicht Das Alte Testament ist nicht veraltet Zurück
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