Karl Veitschegger 2002

 

Wie ist das mit den Heiligen?

Heiligenverehrung aus der Sicht eines katholischen Christen


Die Katholischen ...

„Die Katholischen beten die Heiligen an!" Dieser alte protestantische Vorwurf hält sich hartnäckig und findet sich sogar noch auf modernen Internetseiten. Begründet wird er meist so: Katholische Christen verehren die Heiligen, stellen in ihren Kirchen Bilder auf und verrichten Gebete davor. Diese Praxis ähnle der heidnischen Vielgötterei und sei eine Missachtung der Einzigkeit Gottes. Ein ziemlich starker Vorwurf, der aus katholischer Sicht auf argen Missverständnissen beruht.

S. Maria in Trastevere, Rom  (Apsismosaik)
Christus mit Maria und anderen Heiligen: „Wer siegt, der darf mit mir auf meinem Thron sitzen.“ (Offb 3,21)

Was ist Anbetung?

Was ist Verehrung?

Für mich als katholischen Christen besteht ein himmelhoher Unterschied zwischen Anbetung (adoratio) und Verehrung (veneratio). Anbetung gebührt nur Gott! Denn jemanden anbeten heißt, ihn als Gott anerkennen! Aber Ehrfurcht und Verehrung bringe ich auch Menschen entgegen. So verehre ich z. B. Familienmitglieder und Freunde und halte Fotos von ihnen in Ehren. Ich bitte sie, wenn sie gläubig sind, auch um ihr Gebet, also um ihre Fürbitte in verschiedenen Anliegen, aber niemals würde ich sie anbeten! Sie hindern mich auch nicht daran, Gott zu vertrauen, sie ermuntern mich vielmehr dazu und unterstützen meinen Glaubensweg

 

Das Evangelium ist nicht nur Papier

Ich weiß mich von vielen lieben Menschen unterstützt, die mich geistig begleiten und die ich verehre. Darunter sind auch manche, die ihr irdisches Leben bereits vollendet haben und die man traditionell „Heilige" nennt: die Mutter Jesu, Maria Magdalena, Elisabeth v. Thüringen, Thomas Morus, Filippo Neri, Johannes XXIII. usw. Diese Menschen verstellen mir den Weg zu Gott nicht, sondern ich höre den Rat der Heiligen Schrift: „Schaut auf das Ende ihres Lebens, und ahmt ihren Glauben nach!" (Hebräer 13,7). Bilder und Statuen von Heiligen in unseren Kirchen wollen den Gläubigen vor Augen führen, dass die christliche Botschaft nicht nur gehört und schön zelebriert, sondern vor allem gelebt werden muss. Und die Heiligen sind der schönste Beweis dafür, wie fruchtbar das Evangelium sein kann, wenn es im Glauben angenommen wird.

 

Mit den Heiligen kommunizieren?

„Nun gut", werden manche Evangelische sagen, „Heilige mögen ehrenwerte Vorbilder sein, aber darf man sie um Hilfe anrufen? Das geht doch zu weit!" Um das zu klären, fängt man am besten schlicht bei der Bibel an. Klar bezeugt sie, dass ein gläubiger Mensch seine Glaubensgeschwister um ihr Gebet bitten darf. So schreibt Paulus an die Christen von Rom: „Ich bitte euch, meine Brüder, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn, und bei der Liebe des Geistes: Steht mir bei, und betet für mich zu Gott ...!" (Römer 15,30). Umgekehrt betet Paulus oft für seine Gemeinden. Beistand und Fürbitte gehören zum Wesen christlicher Liebe. Sie sind auch nicht an die körperliche Anwesenheit gebunden. „Auch wenn ich fern von euch weile, bin ich im Geist bei euch", hören wir Paulus im Kolosserbrief sagen (Kolosser 2,5). Wir dürfen daraus schließen, dass letztlich auch der Tod dieses Für-andere-da-Sein nicht zerstören kann. Denn: „Die Liebe hört niemals auf!" (1 Korinther 13,8). Die in die Ewigkeit Vorausgegangenen bleiben auch nach ihrem Tod wirklich Liebende, die weiterhin für ihre bedrängten Brüder und Schwestern auf Erden da sein können - nicht in irdischer Weise, auch nicht aus eigener Kraft, aber fürbittend.

Zur großen Gemeinschaft, in die Gott uns beruft, gehören nicht nur die Gläubigen, die noch auf Erden leben, sondern - wie der Hebräerbrief es etwas ungewohnt ausdrückt - auch „die Geister der schon vollendeten Gerechten" (Hebräer 12,23). Und da eine Gemeinschaft ohne Kommunikation keine Gemeinschaft wäre, muss zwischen uns und diesen „vollendeten Gerechten" im Himmel auch Kommunikation möglich sein.

 

Graffito um 250 n. Chr. in S. Sebastiano, Rom

Verschiedensprachige Graffiti in Rom (S. Sebastiano) beweisen, dass um 250 n. Chr. Christen aus Ost und West die Apostel um Fürsprache bitten.

Im Bild eine vulgärlateinische Kritzelei: "Paule ed Petre petite pro Victore" - "Paulus und Petrus, bittet für Viktor!"

 

Schon früh

In manchen Gebeten der Bibel werden die Engel direkt angeredet (z.B. in Psalm 29,1f). Wenn das möglich ist, warum soll man dann nicht auch die Heiligen im Himmel direkt anreden? (Vgl. Jesus Sirach 48,4-11!) Es liegt doch nahe, dass man an einen Menschen, den man zu Lebzeiten immer wieder um sein Gebet ersucht hat, auch nach dessen Tod in Liebe denkt und dass aus dem Gedanken eine Bitte wird: „Wenn du jetzt bei Gott bist, bete weiter für mich, wie du es schon hier auf Erden getan hast!" Jedenfalls bezeugen alte mehrsprachige Graffiti in Roms Katakomben (San Sebastiano, um 250 n. Chr.), dass Christen aus Ost und West schon sehr früh mit großer Selbstverständlichkeit die Apostel und Märtyrer um ihre Fürbitte anrufen: „Petrus und Paulus, denkt an Sozomenos!“, „Petrus und Paulus, betet für Viktor!“ Und sie sind gewiss, dass die Angerufenen ihnen nahe sind, sie hören und verstehen können, weil Gottes Geist dies möglich macht (vgl. Kolosser2,5: Was dem Apostel auf Erden möglich ist, wird ihm erst recht im Himmel möglich sein!).

 

Konkurrenz für Christus?

„Wird da die zentrale Stellung Christi nicht geschmälert? Er ist doch der einzige Mittler zu Gott!", fragt der Protestant vielleicht besorgt weiter. Katholische Christen und Christinnen sehen darin meist kein wirkliches Problem. Für sie ist klar: Christus allein ist der wahre Weinstock, die Gläubigen auf Erden und die Heiligen im Himmel sind allesamt nur Reben an diesem Weinstock. Ein wunderbares Miteinander und Füreinander in Christus! Alles, was wir Menschen in Liebe füreinander tun und erbitten können, geschieht immer mit Christus, in Christus und durch Christus. Niemals neben oder außer ihm! „Denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun." (Johannes 15,5) In diesem Sinn schmälert die Hinwendung zu den Heiligen die einzigartige Mittlerschaft Christi (das reformatorische Solus Christus) keineswegs, sondern sie bezeugt, wie lebendig und fruchtbar der Christus-Weinstock in seinen vielen Rebzweigen ist.

 

Nicht verpflichtend

Die katholische Kirche verpflichtet ihre Gläubigen nicht zur Heiligenverehrung. Sie weiß auch um bedenkliche Auswüchse und warnt vor Missbräuchen. Aber ein alter Grundsatz lautet: Der Missbrauch einer Sache hebt deren rechten Gebrauch nicht auf. (Man wird ja auch die Bibel nicht abschaffen, nur weil sie oft und oft schrecklich missbraucht worden ist.) So hat die katholische Kirche auf dem Konzil von Trient (1545-1563) trotz massiver protestantischer Kritik, die in vielem auch heilsam war, an der altchristlichen Praxis festgehalten und erklärt, dass es „gut und nützlich" sei, die Heiligen „anzurufen, um von Gott Wohltaten zu erlangen durch seinen Sohn Jesus Christus, unsern Herrn, der allein unser Erlöser und Heiland ist."  (H. Denzinger, Enchiridion symbolorum, Nr.1821)

 

Karl Veitschegger

 

 

Zum Weiterdenken

Gott selbst ehrt die Heiligen: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.“

(Johannes 12,26)

 

„In den Heiligen schenkst du der Kirche leuchtende Zeichen deiner Liebe. Durch das Zeugnis ihres Glaubens verleihst du uns immer neu die Kraft, nach der Fülle des Heiles zu streben. Durch ihre Fürsprache und ihr heiliges Leben gibst du uns Hoffnung und Zuversicht..."

(Aus der katholischen Liturgie, Heiligen-Präfation II)

 

„[...] damit es so mit Furcht und Demut zugehe und wir nicht uns dieses Werk zuschreiben, sondern Gott die Ehre lassen. Dazu soll der Mensch alle heiligen Engel, besonders seinen Schutzengel, die Mutter Gottes, alle Apostel und lieben Heiligen anrufen, besonders diejenigen, zu welchem ihm Gott besondere Andacht gegeben hat. Er soll aber so bitten, dass er nicht zweifle, sein Gebet werde erhört.“

(Martin Luther, Sermon von der Bereitung zum Sterben, 1519, hier noch ganz auf dem Boden der alten Kirche)

 

„Nicht Stein noch Bild noch Säule hier, sondern Kind und Mutter ehren wir!“

(Inschrift auf einer Marienstatue in Heidelberg gegen den Vorwurf der Bilderanbetung)

 

„Es hilft nichts, wenn du die Heiligen verehrst und ihre Reliquien berührst, aber dich nicht um das Beste kümmerst, das sie hinterlassen haben: das Beispiel ihres Lebens.“

(Erasmus von Rotterdam)

 

„Also halte ich viel von der Mutter Gottes, der ewig reinen, unbefleckten Magd Maria; viel von allen denen, die je um Gottes Ehre und Willen gestorben sind; ob sie aber Gott für mich bitten, das wollen wir hernach sehen.“

(Ulrich Zwingli, CRZw. 2, 189)

 

 

Wichtige Ergänzungen zu diesem Artikel: Apropos Heiligenverehrung

Zum Artikel Heilige und "Heiligsprechung"

Zum Artikel Darf man Maria "Retterin" nennen?

Das ökumenische Heiligenlexikon

 

 

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