Karl Veitschegger

 

Fromme Gedanken über den Wein

Eine Weinpredigt


 

500 x in der Bibel

„Gepriesen bist du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstockes und der menschlichen Arbeit…“ Mit diesen Worten dankt der katholische Priester bei jeder Messe, wenn er den Kelch für die Eucharistie bereitet, im Namen aller Mitfeiernden Gott für die Gabe des Weines. Über 500mal ist in der Heiligen Schrift von Wein, Weinberg, Weinstock, Winzer, Reben und Trauben die Rede. Allein dieser Befund ist beeindruckend und zeigt, welch große Bedeutung die Bibel dem Wein beimisst. Im sonnigen und trockenen Heiligen Land wird seit Jahrtausenden erfolgreich Weinbau betrieben. Und obwohl einige ihrer Sprüche und Erzählungen eindrucksvoll vor missbräuchlichem Weingenuss warnen, sieht die Heilige Schrift in der Frucht des Weinstockes doch primär eine gute Gabe Gottes. So findet sich im Buch der Psalmen der oft und gern zitierte Vers: „Der Wein erfreut des Menschen Herz.“ (Psalm 104,15)

Zum Gewächs des Weinstockes gehören die Wurzeln, der Stock und die Rebzweige mit den Trauben, aus denen schließlich der begehrte Trank gewonnen wird. Das hat Menschen immer wieder angeregt, darüber zu meditieren und darin auch eine Gleichnisbotschaft für ihr Leben zu finden:

 

Tiefe Wurzeln

Wie ein Weinstock Wurzeln hat, die oft viele Meter tief in die Erde reichen, so bedarf auch jeder Mensch, wenn sein Leben dauerhaft gelingen soll, einer Verankerung in der Tiefe. Das Wort „Spiritualität“ ist in den letzten Jahren wieder in Mode gekommen. Recht verstanden meint es die Haltung eines Menschen, nicht an der Oberfläche zu bleiben, sondern in die Tiefe zu gehen und aus der Tiefe zu leben. Und die tiefste Tiefe unseres Lebens ist niemand anderer als Gott: Gott, der uns in Jesus Christus sein menschliches Antlitz gezeigt hat. Im Kolosserbrief des Neuen Testamentes werden die Christen eindringlich an diese Tiefendimension erinnert: „Ihr habt Christus Jesus als Herrn angenommen […], bleibt in ihm verwurzelt!“ (Kolosser 2,7)

 

„Ich bin der Weinstock ...“

Aus den Wurzeln erhebt sich der Rebstock. Er kann mitunter so dick wie ein Baumstamm werden und besteht aus sehr hartem Holz. Deshalb gilt der Rebstock in der Bibel auch als Baum. Ein Baum ist fest und doch lebendig. Er strahlt Ruhe aus und ändert sich doch. Beides ist auch in unserem Leben wichtig: Festigkeit und Wachstum, Ruhe und Veränderung. Das englische Wort für Baum – „tree“ – hat dieselbe Wurzel wie das deutsche Wort „Treue“. Treu sein heißt, fest sein, fest in Gott stehen, fest zu sich selbst und zu den Mitmenschen stehen, aber daran zu wachsen, sich zu entfalten. Im Johannesevangelium vergleicht sich Christus selbst beim letzen Zusammensein mit seinen Jüngern vor seinem Tod mit einem Weinstock (vgl. Johannes 15). Wer sich an ihn hält, ist gehalten. Nicht gefangen, nicht gefesselt! Aber gehalten und geborgen, um lebendig, produktiv und kreativ sein zu können – biblisch gesprochen: um Frucht zu bringen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ (Johannes 15, 5)

 

Reiche Frucht

Das Ziel des Weinstockes ist die Frucht, sind die Trauben, aus denen der Wein gekeltert wird. Der Weinstock lehrt uns: Ein Leben, das nur sich selbst gehören will, verfehlt sein Ziel. Es bleibt ein trostloses Gewächs. Christus sagt: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“. Und er hat als Mensch sein Leben so gelebt, dass andere durch ihn auf den Geschmack des wahren Lebens gekommen sind. Einsame Leben, verfahrene Leben, kranke Leben, zerstörte Leben haben in seiner Nähe Freundschaft, Vergebung, Heilung und Erfüllung gefunden. Wer, wenn nicht er, kann mit vollem Recht von sich sagen: „Ich bin das Leben!“ (Johannes 11,25)

 

Lebenskraft

Wer so lebendig ist, den kann auch der Tod nicht niederhalten. Wer so lebendig ist, dessen Sterben wird wieder zur Quelle neuen Lebens. Hingerichtet am Kreuz, ausgepresst wie eine Traube, wird Christus zum österlichen „Urheber des Lebens“ (Apostelgeschichte 3,15). In jeder Eucharistiefeier will er uns Anteil geben an der Fülle seines Lebens, indem er an uns sein Blut verschenkt, seine Lebenskraft, sich selbst – und zwar in der Gestalt des Weines. Dies ist die größte Botschaft, die uns der Wein, der auch in vielen nichtchristlichen Kulturen zum Sinnbild des Lebens geworden ist, geben kann.

Mit den Worten der katholischen Liturgie will ich schließen: „Gepriesen bist du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstockes und der menschlichen Arbeit. Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht, damit er uns der Kelch des Heils werde. – Gepriesen bist du in Ewigkeit, Herr, unser Gott.“

 

Karl Veitschegger

 

 

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