Karl Veitschegger (2018) „Was
ich von Luther lernen kann – ein katholischer Theologe packt aus“ Referat
in Pöllau am 2. März 2018 in Verbindung mit dem „Reformationskabarett“
Martin
Luther soll am 31. Oktober 1517 an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg
seine 95 Thesen angeschlagen haben. Sie waren eine heftige Kritik an der
damals geübten Ablasspraxis, in der gegen Geld der Nachlass von Sündenstrafen
angeboten wurde. Sie waren zugleich eine Kritik an jenen Kirchenfürsten, die
diese Praxis nicht nur duldeten, sondern förderten.Ob
die Thesen nun tatsächlich an die Schlosskirchentür (siehe Bild!) genagelt
oder auf andere Weise verbreitet wurden: Ein Hammer war Luthers
Auftreten auf alle Fälle! Für
die einen war es ein befreiender
Schlag gegen eine verlotterte Papst-Kirche, gegen einen perversen Haufen von
Macht, Geldgier, Heuchelei und Aberglauben, ein Signal zur überfälligen
Erneuerung der Christenheit! Für
die anderen war es ein schrecklicher
Anschlag gegen die christliche Einheit, der das Abendland religiös spaltete -
in eine katholische und eine evangelische Hälfte; das Reißen einer tiefen
Wunde, die bis heute nicht ganz verheilt ist; der Beginn blutiger Aufstände
und grausamer Religionskriege mit unzähligen Opfern. Es gab
Mörder und Märtyrer auf beiden Seiten, Missverständnis und Streit bis in die
jüngste Vergangenheit. Lange
Zeit konnten und wollten Evangelische und Katholische nichts Gutes
übereinander sagen. Sie verkündeten zwar beide das Evangelium der Liebe,
konnten einander aber nicht riechen. Das Trennende wurde betont, die Fehler
der anderen hinausposaunt, die eigenen Fehler verschwiegen oder kleingeredet. Aber Gott sei Dank, der
Heilige Geist schläft nicht! Im
letzten Jahrhundert entstand das, was wir Ökumenische Bewegung nennen:
Gläubige aller Kirchen hatten das Gegeneinander satt und suchten ernsthaft
nach der Einheit aller, die an Jesus Christus glauben, ob sie nun einer
Ostkirche angehören, evangelisch, anglikanisch, altkatholisch oder katholisch
sind. Geistige Brücken wurden gebaut. Freundschaften geschlossen. Aus dem
Gegeneinander und Nebeneinander wurde ein Miteinander. Die zentrale Frage war
jetzt: Was verbindet uns? Wie können wir trotz mancher Unterschiede wieder
zusammenfinden? Heuer
werden es 70 Jahre: Am 23. August 1948 wurde in Amsterdam von evangelischen
und orthodoxen Kirchen der Ökumenische Rat der Kirchen (Weltkirchenrat)
gegründet. Ihm gehörten zu Beginn 147 Mitgliedskirchen an, derzeit sind es
348. Die gemeinsame Basisformel lautet: „Der Ökumenische Rat der
Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß
der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu
erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des
Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Auf
katholischer Seite waren für den Beginn der offiziellen Ökumene Papst
Johannes XXIII. und das von ihm einberufene Zweite Vatikanische Konzil
(1962-1965) entscheidend. Was die Schuld an der Trennung betrifft, gesteht
das große Konzil: „In Demut bitten wir also Gott und die getrennten Brüder
[und Schwestern] um Verzeihung, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben.“
(UR 6) Darüber
hinaus – und das ist das überraschend Schöne! – macht das Konzil die
katholischen Gläubigen aufmerksam, dass sie bei den „getrennten Brüdern [und
Schwestern]“ viel Kostbares und Heilsames finden können: „Es ist recht und heilsam, die Reichtümer
Christi und das Wirken der Geisteskräfte im Leben der anderen anzuerkennen,
die für Christus Zeugnis geben, manchmal bis zur Hingabe des Lebens […]. Man
darf auch nicht übergehen, dass alles, was von der Gnade des Heiligen Geistes
in den Herzen der getrennten Brüder [und Schwestern] gewirkt wird, auch zu
unserer eigenen Auferbauung beitragen kann.“ (UR 4) Die
„Anderen“ sind also für uns katholische Gläubige nicht nur zu respektieren
und zu achten, sie sind eine Bereicherung für uns! Gott beschenkt uns durch
sie! Und so
ist es würdig und recht, wenn ich heute „auspacke“, wofür ich als
katholischer Theologe mit vielen katholischen Menschen Martin Luther und
seiner Reformation dankbar bin. Und es ist Papst Franziskus, der mir dazu
seine Worte leiht. Er hat einmal spontan in einem Interview gesagt: Martin
Luther „hat einen großen Schritt getan,
als er das Wort Gottes in die Hände des Volkes legte." (Interview
mit Zeitschrift Signum, 24.9.2017) Dafür bin ich Martin Luther dankbar. So packe ich jetzt meine Bibel
aus Ich
bin dankbar, dass zumindest in unserem Land und in unseren Breiten heute
jeder Mensch, der will, eine Bibel in die Hand nehmen kann – in seiner
Muttersprache. Er muss niemanden um Erlaubnis fragen – keinen Fürsten, keinen
Papst, keinen Pfarrer. Er darf selbst darin lesen, sich selbst davon
überzeugen, was hier steht. Das war Martin Luther wichtig. Und der damals neu
erfundene Buchdruck half ihm dabei, seine deutsche Bibelübersetzung zu
verbreiten. Martin
Luther hat wieder klargemacht: Die Heilige Schrift ist die maßgebliche
Urkunde unseres Glaubens. In diesen schriftlichen Zeugnissen finden wir
verdichtete Glaubenserfahrungen von über 1000 Jahren, die in Jesus ihren
Höhepunkt haben. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass wir durch
diese Schriften einen Zugang haben zum Geheimnis Gottes und dadurch zum Sinn
unseres Lebens. Letztlich geht es nicht um ein interessantes literarisches
Werk, sondern um die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Denn so sagte schon
900 Jahre vor Luther Papst Gregor der Gr. (+ 604): „Wer die Schrift kennt, kennt Gottes Herz." Eine zentrale Parole der
Reformation war und ist: Sola Scriptura! – die Hl. Schrift allein! Dieser
Ruf wurde als Protest verstanden gegen die vielen Traditionen und religiösen
Gebräuche, auf die sich die katholische Kirche berief, als Protest vor allem
gegen jene Theologen, die meinten, dass es neben der Heilige Schrift für die katholische Kirche eine zweite gleichrangige und gleichwichtige Glaubensquelle gäbe: die Tradition. Heute
wissen wir, dass wir Heilige Schrift und Tradition nicht gegeneinander ausspielen
müssen und dürfen. Das Neue Testament ist ja nicht als Buch vom Himmel
gefallen, es wurde auch nicht von Jesus diktiert, sondern ist innerhalb von
100 Jahren in der frühen Kirche gewachsen. Es ist der schriftliche Niederschlag der ältesten Jesus-Tradition, es
bezeugt den Glauben der ersten Christengemeinden, wie sie ihn von den
Aposteln überliefert bekommen haben. Schließlich hat die frühe Kirche
festgelegt, welche urchristlichen Schriften zur Heiligen Schrift gehören
sollen und welche nicht. So ist das Neue Testament zur Urkunde unseres
christlichen Glaubens geworden. Es ist eine verlässliche Sammlung der
ältesten Jesustradition und als solches das unverzichtbare und unersetzbare
schriftliche Anfangszeugnis des Christentums. Es ist der bleibende Maßstab (Kanon) für alle späteren Entwicklungen und
Traditionen der Kirche. In
diesem Sinne kann ich auch als katholischer Theologe sagen: sola
Scriptura! Die
Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, und ihre Hirten bleiben an diesen
Maßstab gebunden. Sie sind nicht Herren des Wortes Gottes, sondern sollen
Diener dieses Wortes sein. Ihre Aufgabe ist es, das Wort Gottes zu verkünden,
für seine Verbreitung zu sorgen und es den Menschen der jeweiligen Zeit
verständlich auszulegen. Dass das nicht immer geschah, ist freilich auch
wahr… Im Jahr 2000 hat Papst Johannes Paul II. im Namen der katholischen
Kirche öffentlich folgendes Schuldbekenntnis gesprochen: „Herr unser Gott, […] Du bleibst treu, auch
wenn wir untreu werden. Vergib uns unsere Schuld und lass uns unter den
Menschen wahrhaftige Zeugen für dich sein.“ Ein
weiteres, wofür ich Luther Danke sagen möchte, ist: Sein Ringen um Gott Papst
Benedikt XVI. hat es 2011 bei einer Begegnung mit der EKD in Erfurt so
ausgedrückt: „Auf diesem Weg [als Mensch und Theologe]
ging es ihm ja nicht um dieses oder jenes. Was ihn umtrieb, war die Frage
nach Gott, die die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines
ganzen Weges gewesen ist. ,Wie kriege ich einen gnädigen Gott’: Diese Frage
hat ihn ins Herz getroffen und stand hinter all seinem theologischen Suchen
und Ringen. Theologie war für Luther keine akademische Angelegenheit, sondern
das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit
Gott. ,Wie kriege ich einen
gnädigen Gott?‘ Dass diese Frage die bewegende Kraft seines ganzen Weges war,
trifft mich immer wieder ins Herz.“ Sie
müssen bedenken, in der mittelalterlichen Frömmigkeit herrschten ein hohes
Sündenbewusstsein und eine große Angst vor dem strafenden Gott: Wie kann ich
in den Augen Gottes ein Gerechter sein? Ich stolpere doch immer wieder über
die Gebote Gottes, ich übertrete sein Gesetz. Wie kann ich da der Hölle
entkommen? Wie kann ich mir und meinen Lieben das Fegefeuer verkürzen! Wie
kann ich mir den Himmel verdienen? Nicht
wenige sahen die Lösung darin: lange Gebete sprechen, fasten und Bußübungen
machen, beschwerliche Wallfahrten unternehmen, Kerzen spenden, Mönch oder
Nonne werden, Kirchen bauen, Messen zahlen, Ablassbriefe kaufen… So kann ich
Gott milde stimmen, mir seine Liebe verdienen…. Vielleicht! Frömmigkeit
als Leistung! Frömmigkeit als Bezahlung oder gar Bestechung, um sich vor dem
unerbittlich strafenden Gott zu schützen! Da sagt Luther: Nein! Er hat
als Mönch selbst viele religiöse Leistungen erbracht, viel geopfert,
gefastet, gebetet und lange um einen gnädigen Gott gerungen. Aber er wurde
nicht glücklich dabei. Da hat er ernsthaft in der Bibel gesucht – und ist
schließlich bei Paulus im Römerbrief fündig geworden: „Durch Werke des Gesetzes wird niemand
gerecht […]. Alle haben gesündigt […] und werden ohne Verdienst gerecht - aus
seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ (Röm 3,20 -23) Gottes
Liebe ist nicht käuflich. Er schenkt seine Vergebung umsonst, ohne
Vorleistung des Menschen, Gott schenkt sich selbst umsonst – durch Jesus! Das
einzige, was dazu nötig ist, ist ein offenes, gläubiges Herz. Frömmigkeit ist
nicht Leistung, sondern liebende Antwort auf Gottes Liebe. Daher packe ich jetzt eine
Gestalt mit offenen Armen und leeren Händen aus Diese
Symbolfigur in altchristlicher Gebetshaltung ist mir im Vorjahr von Freunden
geschenkt worden. Sie sagt mir: Wir dürfen Gott leere Hände entgegenstrecken
– das ist der Glaube – und Gott
schenkt uns aus reiner Gnade seine
Liebe. Diese
befreiende Erkenntnis hatte Luther sicher schon 1515, vielleicht auch schon früher,
noch als katholischer Augustiner-Eremit, also als Priester und Mönch. Als er
dann den zunehmenden Ablasshandel (zugunsten des Neubaus des Petersdomes)
miterlebte und hören musste, wie Prediger ungeniert die vergebende Liebe
Gottes als käuflich hinstellten, da platzte ihm der Kragen und er ging an die
Öffentlichkeit. Ab jetzt predigt er unermüdlich: Gott schenkt uns in Jesus
seine Liebe umsonst – ohne Gegenleistung.
Er liebt uns wie im biblischen Gleichnis der barmherzige Vater den
verlorenen Sohn liebt und herzlich umarmt. Gott rettet uns allein aus
Gnade – allein aus Glauben. Die
zwei lateinischen Ausdrücke dafür waren: sola
gratia – sola fide! Eigentlich
eine uralte zentrale Botschaft des Christentums! Luther und die Reformation
haben sie wieder neu ins Bewusstsein gehoben! Weil
der Papst die Ablassverkäufe und andere religiöse Fehlformen nicht abstellte,
weil man im päpstlichen Renaissance-Rom den kleinen eifernden deutschen Mönch
nicht ernst nahm und mit einem Kirchenbann mundtot machen wollte, wurde
Luther zum grundsätzlichen Kritiker von Papst, Bischöfen, Konzilien… -
unterstützt von seinem Landesfürsten und später anderen Fürsten und Adeligen,
denen die Macht der Kirche auch aus profanen Gründen ein Dorn im Auge war.So wurde aus einer berechtigten Kritik eine
Glaubensspaltung und Kirchenspaltung. Leider! Eine
kritische Frage zum reformatorischen Motto „sola gratia – sola fide“ muss
hier allerdings doch noch gestellt werden: Wenn Gott seine Liebe gratis gibt
und ich nur glauben muss, um vor Gott gerecht zu sein, was ist dann mit den
guten Werken? Da
könnte ja jemand sagen: „Ich lebe wie ein Schuft, betrüge, lüge, tu nichts
Gutes, beute andere aus, aber ich glaube fest, dass Gott mich liebt und mir
vergibt!“ Tatsächlich
wurde Luther in dieser Weise missverstanden – nicht nur von seinen Gegnern,
sondern auch von manchen seiner Anhänger. Aber für Luther gilt: Ein Glaube, der keine Früchte
trägt, der nicht zur Liebe wird, ist kein wahrer Glaube In
seinen bekannten Tischreden wettert er gegen „falsche Christen, die sich
rühmen, „evangelisch“ zu sein und doch keine gute Frucht bringen.“ Sie sind –
so Luther – wie dunkle Wolken, die über das Land ziehen, aber keinen Regen
bringen, der die Erde fruchtbar macht. Solche Menschen haben das Evangelium nicht
verstanden. Schon 1522 schreibt er in seiner Vorrede zum Römerbrief
(Septembertestament): Der wahre Glaube „ist ein göttliches Werk in
uns, das uns wandelt und […] uns zu ganz anderen Menschen an Herz, Gemüt,
Sinn und allen Kräften macht, und den heiligen Geist mit sich bringt. Oh, es
ist ein lebendig, wirkend, tätig, mächtig Ding um den Glauben, so dass es
unmöglich ist, dass er nicht ohne Unterlass Gutes wirken sollte. Er fragt
auch nicht, ob gute Werke zu tun sind, sondern ehe man fragt, hat er sie
getan und ist immer im Tun. Wer aber nicht solche Werke tut, der ist ein
glaubensloser Mensch […].“ Zwischen evangelischen und katholischen Theologen wurde in den
folgenden Jahrhunderten viel darüber gestritten, wie Glaube und gute Werke
zusammengehören. Man verzerrte die Position des jeweils anderen und
bezichtigte sich gegenseitig der Irrlehre. In den letzten Jahrzehnten haben
wir erkannt, dass vieles im alten Streit auf Missverständnissen beruht und
dass man manche Dinge durchaus unterschiedlich sehen, auslegen, betonen und
herausstreichen darf, aber sich im Kern, auf den es ankommt, doch treffen
kann. Und so unterzeichneten am Reformationstag 1999 in Augsburg, in der
evangelischen Kirche St. Anna, Kardinal Edward Idris Cassidy als Vertreter
der katholischen Kirche und Christian Krause als Präsident des Lutherischen
Weltbundes die Gemeinsame Erklärung zur
Rechtfertigungslehre. Darin heißt es: „Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat
Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen
- und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns
befähigt und aufruft zu guten Werken.“ (GER 15) Das
ist Luthers Lehre und das ist auch katholische Lehre! Ein solches gemeinsames
Bekenntnis hätte vor 500 Jahren die Glaubensspaltung verhindern können. Und jetzt muss ich noch etwas
auspacken: ein Christusbild Für
Luther war klar: Nur in Jesus ist Gott zu finden. Nur durch Jesus schenkt
Gott uns seine Versöhnung. Nur durch den Kreuzestod Jesu sind wir alle
erlöst. Er ist der einzige Mittler des Heiles, wie es im Neuen Testament
heißt: „Denn es ist ein Gott und ein
Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus.“
(1 Tim 2,5) Die evangelische Theologie hat dafür das lateinische Wort
geprägt: Solus Christus – Christus
allein! Ich
bin Luther für diesen kräftigen Fingerzeig auf Jesus Christus dankbar! Auch
für uns katholische Christen ist Jesus Christus der einzige Erlöser, also die
Person, in der Gott sich uns auf einmalige und unersetzbare Weise geschenkt
hat und schenkt. In Jesus Christus ist Gott mit seiner ganzen befreienden und
heilenden Liebe für uns da! Aber wenn wir katholische Kirchen betreten, sehen
wir dort auch Bilder von Maria, der Mutter Jesu, von den Aposteln und anderen
Heiligen. Da kann man als Nichtkatholik schon den Eindruck bekommen: Bei den
Katholischen ist Jesus einer unter vielen! Es tut gut, dass Martin Luther und
die evangelische Kirche uns katholische Gläubige immer wieder daran erinnern:
Wir heißen Christen und Christinnen, weil Jesus Christus die Mitte unseres
Glaubens ist! Der
spätere Martin Luther und die evangelische Christenheit lehnen die Verehrung
Marias und der Heiligen überhaupt ab, weil sie befürchten, dass dadurch
Gottes Ehre geschmälert wird. Katholische (und orthodoxe) Gläubige teilen
diese Furcht im Allgemeinen nicht. Sie verehren in den Heiligen das
vielfältige Wirken des Heiligen Geistes, des Geistes Christi, der zu allen Zeiten
Menschen in seinen Dienst berufen hat und durch sie wirkt. Katholischer
Glaube sieht das so: Christus ist der Weinstock und wir alle sind seine
Reben, in denen er lebt und durch die er wirkt (vgl.
Joh 15,5). Es ist ein großes Miteinander und Füreinander im Weinstock
Christi. Zu diesem Weinstock gehören auch jene Gläubigen, die uns bereits in
die Ewigkeit vorausgegangen sind. Der Tod macht sie nicht zu Egoisten. Sie
bleiben Liebende. Denn: „Die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,8) Gott kann
und will auch durch sie lieben und an uns wirken. „Ich bin der Weinstock, ihr
seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht,
denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh 15,5) Die katholische
Kirche zeigt mir großzügig, wer alles zum Weinstock Christi gehört (eben auch
die Heiligen im Himmel), die evangelische betont den letzten Teil dieses
Christuswortes: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Alles, was wir Menschen (im
Diesseits und Jenseits) in Liebe füreinander erbitten und geistlich tun
können, geschieht nicht neben
Christus, sondern allein durch
Christus, mit Christus und in Christus. So hat
die katholische Kirche auf dem Konzil von Trient (1545–1563) trotz
protestantischer Kritik, die in vielem auch heilsam war, an der
altchristlichen Praxis festgehalten und erklärt, dass es zwar nicht
verpflichtend, aber „gut und nützlich“ sei, die Heiligen „anzurufen, um von
Gott Wohltaten zu erlangen durch seinen Sohn Jesus Christus, unsern Herrn,
der allein unser Erlöser und Heiland ist." Nun
komme ich zum Ende meines Referates, in dem ich Luther für ein paar Dinge
ausdrücklich gedankt habe: sein Engagement für die Heilige Schrift (sola Scriptura), sein Herausstreichen von Gnade
und Glaube (sola gratia – sola fide), verbunden mit dem Nein zu
religiösem Leistungsdenken, und
sein unermüdliches Hinzeigen auf Jesus
Christus (solus Christus). Darüber hinaus gibt es noch
viele andere Dinge wofür
ich Luther danken kann: wunderbare Lieder, Gebete, Betrachtungen und
Predigten, sein Betonen der Taufwürde und des gemeinsamen Priestertums aller
Getauften, seine Liebe zum Altarssakrament, seine Worte über die Wichtigkeit
des Christseins im Alltag, in Familie und Beruf usw. Ich habe als junger
katholischer Theologe gern Luther gelesen. Freilich
gibt es auch die dunkle Seite Luthers: seine wachsende Intoleranz gegen
Menschen, die anders dachten und lehrten als er, seine Hasstiraden gegen
Papst, Juden und aufständische Bauern, seine groben Worte über Frauen, sein
exzessiver Hexen- und Teufelsglaube. Da können und wollen wir heute wohl alle
nicht mehr mit. Martin Luther war ein Mensch seiner Zeit, mit Grenzen und
Schwächen, aber das schmälert nicht das Gute und Helle, das durch ihn
geschehen ist. Ich
bin dankbar, dass ich viele Jahre im Ökumenischen Forum der christlichen
Kirchen in der Steiermark mitarbeiten durfte und bin dankbar für die
freundschaftliche Verbundenheit mit dem Superintendenten Hermann Miklas und mit
anderen evangelischen Christinnen und Christen. Ich
bin auch dankbar für unseren katholischen Papst Franziskus, dem die Ökumene
ein Herzensanliegen ist. Mit einem Wort von ihm möchte ich schließen. Es
stammt aus seiner Predigt bei der Ökumenischen Vesper am 25. Jänner 2017 in
der römischen Basilika St. Paul vor den Mauern: „Eine echte Versöhnung zwischen den Christen
wird sich verwirklichen lassen, wenn wir verstehen, wechselseitig die Gaben
des anderen anzuerkennen, und fähig sind, demütig und aufmerksam voneinander
zu lernen, ohne zu erwarten, dass zuerst einmal die anderen von uns lernen.“ Das
ist auch meine Hoffnung. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Karl Veitschegger
(2018) Reliquienkult
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