Karl Veitschegger

 

Superchristen?

 

Gedanken zu den Evangelischen Räten: Armut, Zölibat, Gehorsam.

Beitrag in „kirche:konkret" (4/1999)

 


 

 

Verdächtig – verdächtig

 

In früheren Zeiten galten Männer und Frauen, die sich zu einem Leben in Armut, eheloser Keuschheit und Gehorsam entschlossen, als die eigentlichen Christen und vollkommenen Menschen. Die gewöhnlichen Gläubigen, die in der Welt lebten, einem Beruf nachgingen, heirateten, für eine Familie sorgen mussten usw. standen im Verdacht, den billigeren Weg zu gehen. Das Zweite Vatikanische Konzil machte mit diesem Verdacht Schluss: Der Ruf zur Nachfolge richtet sich an alle Christenmenschen; alle, ob Priester, Ordensleute oder Laien, sind „zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen" (LG 40). Heute geraten in Wohlstandsländern eher jene unter Verdacht, die sich für ein Leben nach den „consilia evangelica" (Evangelischen Räten) entschließen. Haben Priester und Ordensleute überhaupt eine Ahnung vom wirklichen Leben? Behindern die Gelübde nicht die menschliche (und damit christliche) Entfaltung? Worin besteht der Wert eines solchen Lebens für die anderen?

 

Unheimlich wichtig

 

Das Leben nach den Evangelischen Räten war immer besonders wichtig in Zeiten, in denen die Kirche zur Verweltlichung neigte. Mönche, Nonnen, Einsiedler rüttelten im Namen des Evangeliums die große Gemeinschaft der Christen und Christinnen wach. Das taten die Mönche im 5. und 6. Jahrhundert, als die ehemals verfolgte Kirche in Gefahr stand, langsam zu einer verwöhnten Lebensgefährtin des römischen Reiches zu verkommen. Das taten im 13. Jahrhundert die bettelnden Franziskaner und Dominikaner, die vor den Augen reicher, geldgieriger Bischöfe und Prälaten konsequent das Leben des „armen Jesus“ praktizierten. Im 16. Jahrhundert waren es z. B. die Reformkräfte der Jesuiten und später moderne Kongregationen, die mit viel Ideenreichtum einer von innen und außen bedrohten, mitunter kraftlosen Kirche aus der Resignation verhalfen.

 

 

Geld und Sex – und tun, was mir taugt!?

 

Auch heute, wenn sich ein Christ, eine Christin für ein „gottgeweihtes Leben" entscheidet, spürt die Umwelt (auch die christliche) ziemlich genau das „Andere" an diesem Leben. (In der Werbung werden Priester und Nonnen gerne als exotische Gestalten dargeboten, wie früher „Indianer“ und „Mohren“.) Für unser modernes Lebensgefühl sind drei Dinge besonders wichtig: wirtschaftliche Unabhängigkeit, ein erfülltes Sexualleben und möglichst viel Selbstbestimmung. Die drei klassischen Gelübde Armut, Zölibat und Gehorsam beinhalten aber so ziemlich genau das Gegenteil. Allerdings nicht – so versichern uns die Meister und Meisterinnen des geistlichen Lebens –, weil die oben genannten Lebenswünsche etwas Schlechtes oder Verachtenswertes wären, sondern weil man sie nicht mit dem Sinn des Lebens selbst verwechseln dürfe. Denn bestünde der Sinn des Lebens in Geld, Sex und Ungebundenheit, wäre das Leben eines Armen oder eines Menschen, dem eine sexuelle Beziehung versagt bleibt, wert- und sinnlos. Die evangelischen Räte bedeuten daher kein Nein, sondern ein tieferes Ja zum Leben, gerade weil sie scheinbar Unentbehrliches so offenkundig für entbehrlich halten. Sie signalisieren: Trotz unerfüllter Wünsche ist ein erfülltes Leben möglich: „Das Reich Gottes ist nahe" (Mk 1,15) – für jeden und für jede!

 

 

Glück hat viele Gesichter

 

Durch den freiwilligen Verzicht tun sich oft neue Chancen der Entfaltung auf: Loslassen von „Besitz" und „Karriere" können als sehr befreiend und beglückend erfahren werden, ebenso die vielen „geschwisterlichen Beziehungen", denen sich ein Unverheirateter intensiver widmen kann als ein Verheirateter. Und auch die freiwillige Bindung an eine Gemeinschaft und das Gefühl, für eine größere Sache zu leben, können als tiefe Befriedigung erlebt werden.

 

 

Er meint mich

 

Eigentlich geht es aber nicht um ein Etwas, sondern um ein Du. Das freiwillig gewählte Leben in Armut, eheloser Keuschheit und Gehorsam kann letztlich nur gelingen als Antwort eines Menschen, der sich vom „Rat", den Jesus im Evangelium gibt, höchstpersönlich angesprochen weiß: Er meint mich, wenn er sagt: „Geh, verkaufe deinen Besitz und gib das Geld den Armen ...!" (Mt 19,21) Nicht alle können es erfassen, aber du!

 

 

Es gibt sie „in echt"

 

Dass ein geistliches Leben auch ziemlich misslingen kann, ist nicht nur kirchlichen Insidern bekannt, sondern gehört inzwischen zum Allgemeinwissen jedes Zeitungslesers. Umso mehr staunen viele, dass es immer noch Männer und Frauen gibt, die sich von den Evangelischen Räten persönlich angesprochen wissen. Sie reden nicht viel davon, aber sie sind „von Gott angetan": der Mönch in Taizè, der sich geduldig den bohrenden Fragen Jugendlicher aussetzt, die „Missionarin der Nächstenliebe", die in den indischen Slums die Arbeit Mutter Teresas fortsetzt, der Priester aus der Steiermark, der sich in Brasilien um Straßenkinder und Gefangene kümmert, der einfache Seelsorger, der jeden Freitag die Familie eines „Fernstehenden" besucht, die Ordensfrau, die Tag für Tag in der Küche steht und mit viel Phantasie für fremde Menschen Essen kocht. Sie haben einiges gemeinsam, diese Berufenen: Sie kommen sich nicht besser vor als andere Christenmenschen, sondern haben einfach Freude am Gebet und ein offenes Herz für arme Menschen. Und keine und keiner von den oben Erwähnten scheint frustriert oder unglücklich zu sein. Verdächtig, verdächtig ...

 

Karl Veitschegger (1999)

 

 

Zitate zum Thema "Evangelische Räte"

Der hl. Bischof Franz von Sales:

„Gott will nicht, dass jeder alle Räte befolge, sondern nur jene, die den jeweils verschiedenen Personen, Zeiten, Anlässen und Kräften angemessen sind, so wie die Liebe es erfordert. Denn sie ist die Königin aller Tugenden, aller Gebote, aller Räte, kurz aller christlichen Gesetze und Taten und gibt ihnen allen Rang und Ordnung, Zeit und Wert". (Amour 8,6)

 

Johann Baptist Metz:

Die drei Evangelischen Räte sind Einweisungen in die Nachfolge Jesu und ihre mystisch-politische Doppelstruktur.

1. Armut als evangelische Tugend ist der Protest gegen die Diktatur des Habens, des Besitzens und der reinen Selbstbehauptung. Sie drängt in die praktische Solidarität mit jenen Armen, für die Armut gerade keine Tugend, sondern Lebenssituation und gesellschaftliche Zumutung ist.

2. Ehelosigkeit als evangelische Tugend ist Ausdruck radikalen Ergriffenseins und unabfindbarer Sehnsucht nach dem "Tag des Herrn". Sie drängt in die helfende Solidarität mit jenen Ehelosen, für die Ehelosigkeit, sprich: Einsamkeit, sprich: "keinen Menschen haben", gerade keine Tugend ist, sondern Lebensschicksal; sie drängt zu den in Erwartungslosigkeit und Resignation Eingeschlossenen.

3. Gehorsam als evangelische Tugend ist die radikale, unkalkulierte Auslieferung des Lebens an Gott den Vater, der erhebt und befreit. Er drängt in die praktische Nähe zu denen, für die Gehorsam gerade keine Tugend, sondern Zeichen der Unterdrückung, der Bevormundung und Entmündigung ist.

(aus: Zeit der Orden?, Freiburg i. Br. 1986, 86f)

 

 

www.canisius.at - Canisiuswerk - Zentrum für geistliche Berufe

Infos über Orden und ordensähnliche Gemeinschaften: http://www.orden-online.de/

 

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