Karl
Veitschegger (seit Mai 2017) Meine „Positionen“
im SONNTAGSBLATT für Steiermark https://www.meinekirchenzeitung.at/tag/karl-veitschegger 01.09.2024 Ein Bekannter hat sich durch Äußerungen von mir, die gar nicht ihm
gegolten haben, angegriffen gefühlt und, ohne mir die Chance zu geben, das
Missverständnis zu klären, den Kontakt mit mir abgebrochen. Bitter. Aber ich
lerne daraus: Bevor wir uns beleidigt oder verspottet fühlen, sollten wir
nachfragen, ob wir überhaupt gemeint sind. Vielleicht wäre auch der Konflikt
um die „Mahlszene“ bei der Olympia-Eröffnung anders gelaufen, hätte man das
beachtet. (Ich bin sicher, es ging nicht gegen die Eucharistie.) Auch
Christenmenschen sind nicht davor gefeit, sich zu rasch „verfolgt“ zu fühlen:
von „Juden“, „Freimaurern“, „Welt-Verschwörern“, vom „Genderismus“, „Ökowahn“ etc. Oft musste die offizielle Kirche später
Fehleinschätzungen zugeben. Was kann man gegen Feindbilder tun? — Vor 60
Jahren hat Paul VI. („Ecclesiam suam“)
den Dialog zur christlichen Grundhaltung erklärt: mit den „Anderen“ reden;
ihr Anliegen verstehen wollen, gerade wenn es irritiert; das Gute darin
suchen; alles prüfen, aber auch selbstbewusst die eigene Überzeugung
darlegen. Konflikte müssen nicht in Gekränktheit und Rechthaberei enden, sie
können dem Wachsen des Guten in der Welt dienen. 14.
07.2024 Es hat Jahrhunderte gedauert, ehe man gewagt hat, das qualvolle Sterben
Jesu „realistisch“ darzustellen. Inzwischen hat man sich an die Kreuze mit
Corpus gewöhnt und Gläubige verteidigen sie vehement gegen Kritik: Gott ist
in Jesus wirklich Mensch geworden und hat als solcher furchtbar gelitten —
mit uns und für uns. Diese Botschaft muss zumutbar sein, sagen sie. — Nun hat
die Künstlerin Esther Strauß gewagt, auch Jesu Geburt „realistisch“
darzustellen. Eine Skulptur, die Maria in gebärender Position zeigt. Aufgestellt im Linzer Dom. Total ungewohnt,
für viele verstörend. Darf man das zeigen? „Ekelig“, „frauenfeindlich“,
„satanisch“ lauten die Proteste. Unbekannte sägen der Skulptur schließlich brutal den Kopf ab. Fromme
Zerstörungswut? „Katholiban“ am Werk? Auch mich irritierte die Darstellung. Ich verstehe den Widerstand.
Überforderung macht oft aggressiv. Ich empfinde keine Aggression, aber dem
muss ich mich stellen: Gottes Menschwerdung ist eine Zumutung!
Menschenfleisch aus Menschenfleisch, geboren aus einer Frau. Christentum ist
nichts Blasses, es ist fleischig, blutig, wahrhaft menschlich. „Daran erkennt
ihr den Geist Gottes: Jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus im
Fleisch gekommen ist, ist aus Gott!“ (1 Joh 4,2) — Nein, Esther Strauß ist keine
Gotteslästerin. Link: https://www.derstandard.at/story/3000000226748/marienstatue-im-linzer-dom-wurde-gekoepft 02.06.2024 Bald ist EU-Wahl und viele fragen sich: Was bzw. wen soll ich wählen?
— Zum Besten, was die katholische
Kirche je hervorgebracht hat, gehört ihre Soziallehre. Nimmt man sie als
Basis, kann man sich vor der Wahl Folgendes fragen: 1. Wer zeigt in seinem Reden und Tun Respekt vor der Personwürde jedes Menschen, unabhängig von Alter, Nation,
Religion usw.? 2. Wem ist das Gemeinwohl aller Menschen ein Anliegen, nicht nur der
Wohlstand einzelner Nationen und Gruppen? 3. Wer kämpft für Solidarität der Bevorzugten mit den Benachteiligten
unserer Erde und wagt, dafür auch Verzicht zu verlangen? 4. Wer nimmt das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe ernst und traut Menschen
Eigenverantwortung zu (Subsidiarität)? 5. Wer hat erkannt, dass unser Planet nicht länger ausgebeutet werden
darf, sondern rasch Hilfe braucht, damit er das bewohnbare „gemeinsame Haus“
für alle auf unserer Erde sein kann? Vielleicht sind Ihnen auch noch andere Fragen wichtig. Gott hat Sie und
mich jedenfalls erwählt (!), Verantwortung zu übernehmen. Darum sollten wir
zur Wahl gehen. Vielleicht müssen Sie beim Angebot der Parteien sagen: „Ich
wähle das kleinere Übel“. (Auch das ist übrigens ein katholischer
Moralgrundsatz.) Aber gehen Sie zur Wahl, bitte! 21.April
2024 In seinem Buch „Leben“ schreibt Papst Franziskus: „Es freut mich, wenn
ich sehe, wie engagiert Jugendliche, vor allem Schülerinnen und Schüler, für
den Erhalt unseres Planeten kämpfen und gegen die Entscheidungen der
Regierungen protestieren, die nicht genügend gegen den Klimawandel
unternehmen. Die Zeit läuft uns davon, es bleibt uns nicht mehr viel, um den
Planeten zu retten, und wenn ich an die jungen Leute denke, […] sage ich
immer: Haciendo lío,
macht Radau, aber nur unter der Bedingung, dass die Demonstrationen nicht in
Gewalttätigkeit münden und weder Kunstwerke noch öffentliche Räume zerstört
oder verunstaltet werden.“ Die Klimakrise zu meistern, ist die Hauptaufgabe unserer Zeit.
Misslingt sie, wird es bei uns zu furchtbaren Hitzewellen und
Katastrophenwettern kommen, aber große Teile der Erde werden überhaupt
unbewohnbar sein, viele Menschen umkommen, Massen sich auf die Flucht machen
— auch zu uns. Noch ist es nicht zu spät. Setzen wir mit dem Papst, der
seriösen Wissenschaft und allen Menschen guten Willens der Politik zu, sich
endlich mutig(!) für unsere Erde einzusetzen. Auch wenn das Opfer von uns
verlangt. Politik schielt nach Umfragen. Traurig, aber auch eine Chance.
Arbeiten wir, wo immer wir sind, für eine Mehrheit zugunsten unserer Erde! 03.
März 2024 Das Wort „scheitern“ meint ursprünglich das Zerbersten eines
Holzschiffes in mehrere „Scheite“, also ein Ereignis, das zum Untergang
führt. Wer schon einmal beruflich oder familiär „gescheitert“ ist, wer von
Menschen, die er liebt, „zerbrochen“ und „entsorgt“ worden ist, oder wer vor
den Trümmern seines guten Rufes steht, weiß, was es heißt: im Unglück
versinken. Auch Gläubige sind davor nicht gefeit. Bleibt nur die
Verzweiflung? — Der deutsche TV-Pfarrer Heiko Bräuning wies einmal darauf
hin, dass in der Bibel das hebräische Wort für „scheitern“ ( שבר- schabar)
noch zwei andere Bedeutungen hat, nämlich: das „Sich-Öffnen des Mutterleibes
zur Geburt“ und „fruchtbar sein, Vorrat anlegen“. Wenn wir der Weisheit der Bibel trauen, steckt in diesem Wort eine
gewaltige Hoffnung: „Scheitern“ kann, obwohl es zuerst gar nicht danach
aussieht, die (schmerzhafte) Geburt von etwas Neuem sein. Vielleicht kennen
Sie das aus Ihrem eigenen Leben. „Scheitern“ birgt, im Lichte der Bibel
betrachtet, das Ostermysterium in sich: die Härte des Karfreitags, aber auch
die göttliche Kraft, die alles Bittere in Osterlicht verwandeln kann. Auch
den Tod. Lassen wir einander nicht im Stich, wo es Scheitern gibt! Halten wir
unser Herz offen für dieses Geheimnis! Das ist mein Fasten- und Osterwunsch
für uns alle! 14.
Jänner 2024 Freilich hätte alles noch schlimmer kommen können. Aber 2023 erlebte
ich als kein gutes Jahr. Viel Enttäuschung, Leid, Tod in meiner kleinen Welt
und in der großen. Da fiel mir just am 31.12. ein, was Carl Zuckmayer in „Des
Teufels General“ seine Hauptfigur sagen lässt: „Ich aber sage Ihnen, das Leben ist schön. Die Welt ist wunderbar. Wir
Menschen tun sehr viel, um sie zu versauen, und wir haben einen gewissen
Erfolg damit. Aber wir kommen nicht auf – gegen das ursprüngliche Konzept.
Woher das stammt – das weiß ich nicht. Ich bin kein Denker, und kein Prophet.
[…] Aber ich weiß – das Konzept ist gut. Der Plan ist richtig, der Entwurf
grandios. Und der Sinn heißt – nicht: Macht. Nicht: Glück. Nicht: Sättigung.
Sondern – die Schönheit. Oder – die Freude. Oder beides. Nennen Sie es von
mir aus, wie Sie es wollen – vielleicht gibt es kein Wort dafür. Es ist das,
was wir in unsren besten Stunden ahnen, und besitzen. Und dafür – nur dafür –
leben wir überhaupt.“ Hm. Manchmal, wenn ich an Menschen denke, die ich liebe, oder an das
Gute, das doch immer wieder aufbricht, dann spüre ich, auch wenn mir dabei
die Tränen kommen, am Grunde von allem dieses unzerstörbar „Schöne“. Danke,
Gott*! 19.
November 2023 Der Mensch kann alles Gute missbrauchen: Kommunikation, Medizin,
Technik, Kunst … — und leider auch Religion. Jesus geht mit „Sündern“ aller
Art milde um, zu milde, wie seine Gegner ihm vorwerfen. Aber wenn Menschen
„Gott“ und „Religion“ beschwören, um andere abzuwerten, zu unterdrücken oder
auszunützen, findet er verdammt harte Worte: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten
…!“ (Mt 23,13 und öfter) Er wusste auch, dass verblendete Religion tödlich
sein kann: „Es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott
einen heiligen Dienst zu leisten.“ (Joh 16,2). Terror im Namen „Gottes“. Gottesvergiftung. Ja, das gab es damals und
das gibt es auch heute. Jesus hat vorweggenommen, was später der
Nobelpreisträger Steven Weinberg in aller Bitterkeit so formulierte: „Mit
oder ohne Religion werden gute Menschen Gutes und böse Menschen Böses tun.
Damit aber gute Menschen Böses tun, dazu bedarf es der Religion.“ Weinberg
ist Atheist geworden. Jesus nicht, obwohl er von religiösen Menschen, nicht
von Atheisten, zur Strecke gebracht worden ist. Er ist zu innig mit Gott, den
er liebevoll seinen „Abba“ (Papa) nennt, verbunden. Dieser Gott, den Jesus uns vorlebt, ist kein Rechthaber und Machthaber,
sondern der „Liebhaber“ schlechthin: jene erlösende Kraft der Liebe, die
sogar die Feinde umfasst. Eine Religion, die uns nicht zu tiefer Liebenden
macht, ist wertlos. Selbstachtung zu bewahren und zugleich unserem Feind ein
glückliches Leben zu wünschen, zu dieser Balance ruft der Rabbi aus Nazaret
auf. Wie das geht? Täglich üben. Jeder Schritt zählt. Sonst ist uns Menschen
nicht mehr zu helfen. 8.Oktober
2023 Als die Berliner Mauer fiel und das DDR-System zusammenkrachte, musste
sich das Diktatoren-Ehepaar Erich und Margot Honecker vor dem Zorn des Volkes
verstecken und suchte verzweifelt Unterschlupf. Niemand wollte die beiden bei
sich haben, auch keine Kirchengemeinde. Nur der evangelische Pfarrer Uwe
Holmer und seine Frau waren bereit, die Verhassten am 30. Jänner 1990 in ihr
Haus aufzunehmen. Vor der Tür tobte die lynchbereite Menge, beschimpfte und
bedrohte den Pfarrer und forderte Honeckers Kopf. Die Pfarrerfamilie selbst
war Opfer der Politik Honeckers. Keines der zehn Kinder durfte studieren.
Grund: ihre Treue zum christlichen Glauben. Denn die Honeckers
benachteiligten oder verfolgten gnadenlos alles, was dem kommunistischen
Regime zuwiderlief. Sie waren auch, nachdem sie bei Pfarrer Holmer Schutz
gefunden hatten, nicht einsichtig, baten nie um Vergebung, belogen andere und
sich selbst. Acht Wochen blieben sie im Pfarrhaus, ehe sie nach Moskau
ausgeflogen wurden. Warum ich an diese Geschichte erinnere? — Vor kurzem ist Pfarrer Uwe
Holmer gestorben. Auf die Frage, warum er die Honeckers aufgenommen habe,
antwortete er stets: Er könne als Christ und Pfarrer nur glaubwürdig sein,
wenn er auch lebe, was er predige und bete: „Vater unser, … vergib uns unsere Schuld, wie auch wir
vergeben unseren Schuldigern.“ In einer Welt von Ideologie-Verblendung, Egoismus, Aggression und „Wir werden es euch zeigen!“-Stimmung zeigte Pfarrer Holmer den Weg
Jesu: Evangelium pur. Danke. 13.August
2023 Der Kabarettist lobt zuerst den Klima-Einsatz der Kirche, bringt dann
aber doch eine witzige „Kritik“ an: „Christi Himmelfahrt ist im Mai und Mariä
Himmelfahrt im August. Hätten die beiden nicht eine Fahrgemeinschaft bilden
können?“ Das Publikum lacht, ich auch. Dann sagt der Theologe in mir: Haben
sie ja! Jesus hat sein Leben in Gott vollendet – nicht für sich allein,
sondern bereits für uns alle. Maria und wir sind seine „Mitfahrer“ und
„Mitfahrerinnen“. Auch wenn wir zu verschiedenen Zeiten sterben, es wird
keine Alleinfahrt zu Gott. Unser Sterben und Auferstehen wurde bereits —
jenseits von Raum und Zeit — hineingenommen in Tod, Auferstehung und
Vollendung Jesu. In Christus ist das Wesentliche für uns schon geschehen. Von
Maria feiern wir das am 15. August. Aber es gilt für uns alle: „Ihr seid [mit Christus] gestorben und euer Leben ist mit Christus
verborgen in Gott. Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet
auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit.“ (Kol 3,3f) Man könnte jetzt fragen: Wenn der Himmel so wichtig ist, ist dann die
Erde unwichtig? — Nein, ganz und gar nicht! „Himmelfahrt“ beginnt hier auf
Erden, dauert das ganze Leben und ist ein Wachsen, das sich nicht
überspringen lässt. Ein Apfelbaum trägt nur dann köstliche Früchte, wenn er
gut gepflanzt und gepflegt worden ist, gedeihen und blühen kann, dem Wetter
trotzt usw. Der Ernte geht das Reifen voraus. Der Himmel ist „geerntetes
Erdenleben“. Er wird uns umso besser „schmecken“, je liebevoller wir hier auf
Erden gelebt und mit der Schöpfung umgegangen sind. Einen frohen 15. August! 25.
Juni 2023 Petrus und Paulus – so unterschiedlich: Der eine, ein einfacher
Fischer, ist Begleiter des irdischen Jesus und tritt früh als Wortführer
seiner Jünger und Jüngerinnen auf. Der andere, ein theologisch gebildeter
Zeltmacher, zuerst fanatischer Gegner der Jesusbewegung, wird erst durch sein
„Damaskuserlebnis“ zum Apostel. Der eine gilt als „Fels“ der Kirche, der
andere als innovativer Künder christlicher Freiheit: „Wo der Geist des Herrn
ist, da ist Freiheit.“ (2 Kor 3,17) Beide sind von Jesus berufen. Beide gehören
zum Fundament der Kirche. Zwei maßgebliche Apostel, die – wie wir aus der
Bibel wissen – auch miteinander im Streit liegen können: „Als Kephas (Petrus) nach Antiochia gekommen war, habe ich (Paulus) ihm
ins Angesicht widerstanden, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte.“ (Gal
2,11) Konflikte gehören von Anfang an zur Kirche. Liebe zur Tradition und
Offenheit für Neues stehen oft in Spannung zueinander, ebenso Einheit und
Vielfalt. Da kann schon hin und wieder heftiger Streit ausbrechen. Und Gott
mutet seiner Kirche solche Konflikte zu. Er will, dass sie offen ausgetragen
werden. Kein unehrlicher Konsens. Ohne Dissens kein Fortschritt. Petrus und
Paulus streiten miteinander, aber sie entzweien sich nicht. Sie halten
einander aus, weil beide an die Dynamik des Evangeliums glauben. Schließlich
bezeugen sie das mit ihrem Blut. Petrus und Paulus – unverwechselbar
verschieden und doch so verbunden, dass beide gemeinsam am 29. Juni gefeiert
werden. 7.
Mai 2023 Ich erinnere mich gerne an die Maiandachten meiner Kindheit in unserer
Dorfkirche. Es roch nach Weihrauch. Blumen überschwemmten den Marienaltar
noch verschwenderischer als sonst. Gefühlvolle Lieder und das Murmeln des
Rosenkranzes beruhigten mein unruhiges Bubenherz und überzeugten es: Gott ist
schön und riecht gut. Und Maria, die Mutter Jesu, muss ziemlich beliebt sein
bei dieser Menge von Blumen. Später hörte ich viel über Maria im Religionsunterricht und als
Theologe beschäftigte ich mich kritisch mit den katholischen Mariendogmen und
klopfte sie auf ihre bleibende Bedeutung ab. Aber so richtig warm ums Herz
wurde mir dabei nicht. In letzter Zeit habe ich einen neuen Zugang zu Maria gefunden. Die
Evangelien zeigen sie auch als Frau, die sich mit ihrem Sohn Jesus oft
schwertut. Denn er ist kein Muttersöhnchen und geht seinen eigenen Weg. Muss
ihn gehen. Sie kann dabei vieles von dem, was er sagt und tut, nicht
verstehen. Und sie riskiert sogar manch scharfes Wort von ihm: „Was willst du
von mir, Frau?“ (Joh 2,4). Aber sie gibt nicht auf, bleibt ihm zugetan. Auf
der Hochzeit zu Kana provoziert sie dadurch sogar das bekannte „Weinwunder“.
Das alles macht sie mir sympathisch. Denn auch ich verstehe manches Wort und
manche Handlungsweise Jesu nicht. Auch ich bitte vielleicht um Dinge, die
banal erscheinen. Aber ich will trotzdem nicht von ihm lassen. Nach Ostern finden wir Maria im Kreis der Jüngerinnen und Jünger.
Gemeinsam mit ihnen bittet sie jetzt um den Heiligen Geist. Sie alle wollen
Jesus besser verstehen lernen. „Verstehen lernen“ ist auch ein Name für Christ:in sein. 26.03.2023 Eines muss man den Deutschen lassen. Wenn sie eine Sache angehen, tun
sie es gründlich. Für österreichische Ohren klingt manches hart. Wir
vermissen den Charme der Diplomatie. Das trifft auch auf den „Synodalen Weg“
(SW) der katholischen Kirche in Deutschland zu. Er wurde begonnen, um den
Missbrauchsskandalen schonungslos auf den Grund zu gehen. Unsere katholischen
Nachbarn haben klar erkannt: Die Unzahl an Missbräuchen innerhalb der Kirche
und ihr Verborgen-Halten waren nur möglich, weil „geistliche Macht“ überhöht
und zu wenig ernsthaft hinterfragt worden ist: weder die Macht oft unreifer,
„charismatisch“ wirkender Priester, noch die überzogene Macht von Bischöfen,
die praktisch gar nicht in der Lage sind, jene Verantwortung zu übernehmen,
die ihnen feierlich zugesprochen wird. Die grausame Frucht dessen: Durch
Jahrhunderte war „uns Kirchenmenschen“ (ich zähle mich auch dazu) das Image
der Kirche wichtiger als das Leid der Geschändeten. Vertuschung und
Verharmlosung sind auch Ausdruck von Selbstidealisierung und Feigheit. Wer sagt, in der Kirche gehe es ja gar nicht um Macht, sondern nur um
„Dienst“, denkt vielleicht fromm, aber zu kurz. Macht ist nichts Schlechtes.
Sie ist auch in der Kirche nötig, um das Gute durchzusetzen und Schwächere zu
schützen. Aber sie gehört verständlich legitimiert, sachdienlich aufgeteilt,
transparent ausgeübt und muss vom „Volk Gottes“ auch kontrollierbar sein:
„Prüfet alles, das Gute behaltet!“ (1Thess 5,21) Erst so wird sie zum Dienst.
Das ist mir beim Mithören des SW neu bewusst geworden. Kein beliebter, aber
ein wichtiger Impuls unserer Nachbarn. Karl Veitschegger 12.02.2023 Bei seiner Angelobung am 26. Jänner 2023
erinnerte Bundespräsident Alexander van der Bellen an ein Wort des
verstorbenen Innsbrucker Bischofs Reinhold Stecher: „Das Gute spielt in dieser Welt seinen Part meist piano und
pianissimo. Und es gehört zur Lebenskunst, es nicht zu überhören.“ Ein kostbarer Satz, den ich mir sofort
notiert habe. Die Berichte über
Skandalöses, Brutales, Gefährliches dröhnen gleichsam an unser Ohr, sie
okkupieren unsere Aufmerksamkeit oder – noch schlimmer – sie stumpfen uns ab.
Dass auch viel Gutes in unserer Welt passiert, tagtäglich, auch in unserer
Nähe, überhören wir da leicht. Das Gute – christlich
gesprochen: das „Reich Gottes“ – mag oft unscheinbar wie ein Senfkorn sein,
aber es ist da und wächst. Ich habe mir daher vorgenommen, mehr darauf zu
achten, es wahrzunehmen und auch darüber zu reden: der Kassierin
im Supermarkt, die trotz Stress freundlich und hilfsbereit ist, laut zu
danken; wenn über einen Bekannten geschimpft wird, auch das Gute, das ich von
ihm weiß, gerne weitererzählen; bewusst mithelfen, dass jene, die als
„Gutmenschen“ für soziale Wärme in
unserer Gesellschaft sorgen, gewürdigt werden; öfter an jemanden, über dessen
Engagement ich mich freue, ein SMS oder ein Mail schreiben. Es geschieht viel Gutes in
der Welt. Oft leise. Darum der Ruf Jesu: „Wer Ohren hat, der höre“. (Mt 13,9)
Gott ist kein „Hinter-Weltler“, der seine Welt
vergessen hätte, sondern er wirkt in (!) der Welt jeden Tag durch viele
Frauen und Männer. Auch in unserer Nähe. Erzählen wir es weiter. 25.12.2022 „Wir gehen vom
Leben der Menschen aus“ So steht es im Zukunftsbild der katholischen Kirche Steiermark.
Eigentlich ein „weihnachtliches“ Wort. Bischof und Diözese orientieren sich
hier am Weg, den Jesus selbst gegangen ist. Denn bevor er predigte, Wunder
wirkte und Jünger um sich sammelte, wurde er Mensch. Einfach Mensch.
30 Jahre lebt er in Nazaret. Er erlernt dort nicht nur ein Handwerk, sondern
vor allem das Menschsein. Er erlebt Glück und Unglück menschlicher
Beziehungen, Zärtlichkeit und Gewalt, Enge und Großzügigkeit, Bigotterie und
echte Gottesnähe – und die Mischung von alldem in den Herzen der Menschen.
Er, der sich später mit Vorliebe „Menschensohn“ nennt, wird zuerst ein
verstehender Mitmensch, bevor er andere lehrt. „Wir gehen vom Leben der Menschen aus“. Das heißt
dann für uns als Kirche: Auch wir wollen die Menschen um uns, wie sie leben,
arbeiten, denken, lieben … – besser verstehen lernen. Vor allem auch jene,
die sich mit Kirche schwertun, ja es vielleicht schon aufgegeben haben, von
uns überhaupt etwas zu erwarten. Mein Kirchen-Weihnachtstraum: Jeder Mensch, auch wenn er oder sie
„anders“ glaubt, lebt und liebt, bekommt unsere Achtsamkeit. Nicht weil wir
Mitglieder „gewinnen“ wollen, sondern einfach, weil hier ein Mitmensch ist.
Wer es mit Kirche zu tun hat, muss sich nicht mehr verstellen, sondern darf
einfach „sein“. Wenn dann jemand auf Gott neugierig wird, dann sind wir auch
da – unaufdringlich, mitfühlend, geduldig, mit unserer Glaubens- und
Lebenserfahrung. Frohe Weihnachten uns allen! 06.11,2022 Das biblische Wort „Almosen“ (von griechisch eleēmosýnē
- Gabe der Barmherzigkeit) hat keinen guten Ruf mehr. Es ist zu einer
Karikatur von Wohltätigkeit verkommen, im Sinne von: Ich gebe etwas her, was
ich nicht mehr brauche oder leicht verschmerzen kann, und die Armen sollen
sich gefälligst darüber freuen und dafür dankbar sein. Man spürt den Hauch
von Hochnäsigkeit und Verachtung. Oder: Ich gebe schnell etwas her, um mein
Gewissen zu beruhigen. Das kann zwar mitunter einem Armen durchaus helfen,
aber es ist nicht das, was die Heilige Schrift mit „Almosen“ meint. Die Bibel
versteht darunter eine Gabe der Liebe als Antwort auf die Not eines
Mitmenschen, die mein Herz trifft. Ich gebe dabei nicht nur etwas her,
sondern wende mich jemandem zu. „Barmherzigkeit“ ist nichts Gönnerhaftes von
oben herab, sondern eine Bewegung von Herz zu Herz – auf Augenhöhe! Der heilige Martin, der einst mit einem Frierenden seinen Mantel
geteilt hat, wurde auf den ältesten Bildern immer ohne Pferd dargestellt,
also auf gleicher Höhe mit dem Frierenden! Erst später stellte man ihn hoch
zu Ross dar, auf den Bettler herabblickend. Nächstenliebe im biblischen Sinn
bedeutet immer, vom hohen Ross zu steigen. So hat es wohl der „echte“ hl.
Martin getan, der am 11. November seinen Gedenktag hat. Das sollte man auch
bei Martinsfeiern beachten. Ich habe kürzlich einen Spruch entdeckt, den ich gerne weitergebe: „Man
sollte nur dann auf einen Menschen hinabschauen, wenn er am Boden liegt und
man ihm die Hand reicht, um ihm aufzuhelfen.“ In diesem Sinn einen schönen
Martinstag allen Kindern und Erwachsenen! 18.09.2022 Vom 1. September bis zum Franziskustag erinnern christliche Kirchen
besonders an die schützenswerte Schönheit der Schöpfung und aller Geschöpfe.
Kürzlich wurde ich gefragt: Hat Jesus auch Tiere geliebt? – „Seht euch die Vögel des Himmels an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen ...“
(Mt 6,26) Diese Worte Jesu zeigen, dass er Tiere liebevoll beobachtet und
daraus Lehren zieht. Im konkreten Fall: Es ist besser, Gott zu vertrauen, als
Schätze anzuhäufen. Vergesst vor lauter Sorgen nicht zu leben! Hat Jesus selbst Tiere besessen? – Eher nicht. Die Eselin für den
feierlichen Einzug in Jerusalem ist jedenfalls nur geborgt. In seinen
Predigten aber tummeln sich viele Tiere: Schafe, Kamele, Wölfe, Füchse,
Schweine, Hunde, Spatzen, Fische usw. Einmal vergleicht er sich selbst mit
einer Bruthenne, die ihre Küken zärtlich unter die Flügel nimmt (vgl. Mt
23,37). Da spürt man seine Tierliebe. Hat er auch kranke Tiere geheilt? – Späte Legenden erzählen davon, aber
sichere Belege gibt es dafür nicht. Hat er Fleisch gegessen? – Seine Hauptnahrung ist das Essen armer
Leute: Fladenbrot, manchmal etwas Fisch dazu. Asket ist er keiner. Wird er
eingeladen, speist er, was ihm vorgesetzt wird. So rät er auch seinen
Jüngern: „Wenn man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt.“ (Lk
10,25). Auffällig ist, Jesus dankt immer, bevor er die Gaben der Schöpfung zu
sich nimmt. Nicht alles aus der Zeit Jesu ist 1:1 ins Heute übertragbar. Aber
das schon: Dankbarkeit tut gut. Gier aber macht unglücklich. Sie zerstört
Menschen, Tiere, Pflanzen – Gottes gute Welt. 31.07.2022 Besuchen auch Sie im Sommer gerne alte Kirchen? Sie sind kühl, ruhig
und erzählen von Gott, jede auf ihre Weise. Dass Gott in ihnen meist als
„alter Mann“ dargestellt ist, mag heute befremdlich anmuten. Schuld daran ist
übrigens eine Stelle im Buch Daniel (7,9), die Gott als „Hochbetagten“
beschreibt. Diese Symbolisierung hat sich später in der christlichen Kunst
übermächtig durchgesetzt. Jesus redet Gott als „Vater“ an, allerdings mit dem
aramäischen Kosewort „Abba“ (lieber Papa). Und er nennt ihn zugleich
„barmherzig“. Im hebräischen Wort für „Barmherzigkeit“ steckt das Wort
„Mutterschoß“. Der Gott, den Jesus verkündet, ist kein unerbittlicher
Patriarch, sondern liebt zärtlicher als der beste Vater und die beste Mutter.
Wir können über Gott nur in Bildern sprechen, aber es müssen nicht nur „Mannsbilder“
sein. Die Bibel bietet eine Fülle von Bildern und Symbolen an. Freilich gilt
immer, was das IV. Laterankonzil 1215 erklärt hat: „Zwischen dem Schöpfer und
dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen
ihnen nicht eine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“ Das heißt:
Achtung! Jede noch so richtige Vorstellung von Gott enthält mehr Unrichtiges
als Richtiges. Katholische Jugendorganisationen in Deutschland haben deswegen
vorgeschlagen, man möge, wen man das Wort „Gott“ schreibt, es mit einem
Zusatzzeichen versehen: „Gott*“ oder „Gott+“. Ich weiß nicht, ob sich das
durchsetzt, aber zum Nachdenken darf es anregen. Gott ist uns ganz nahe, aber
zugleich alles übersteigend, was wir denken, fühlen und darstellen können. 16.06.2022 „Geht das, was Jesus wollte, verloren, wenn die Kirche versagt?“,
fragte mich unlängst ein besorgter Freund. Und er zitierte die Bergpredigt:
„Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig
machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von den Leuten
zertreten.“ (Mt 5,13) Ein hartes Wort! Ja, leider ist die Kirche für sehr
viele Menschen „geschmacklos“ geworden. Warum, ist bekannt: spirituelle
Langeweile, unzulängliche Seelsorge, Reformstau, Frauenbild, Skandale, mangelnde
Teilhabe des Gottesvolkes an Richtungs-Entscheidungen usw. Die Hierarchie
weiß um die Probleme, aber davon werden sie nicht gut; und einfach
„weg-managen“ lassen sie sich auch nicht. Verlorenes Vertrauen
wiederzugewinnen, verlangt viel Demut, Arbeit und klare nachvollziehbare
Entscheidungen. „Geht das, was Jesus wollte, verloren, wenn die Kirche versagt?“ – Ich
habe geantwortet: Nein! Erstens versagt nie die ganze (!) Kirche. Es gibt in
ihr immer Menschen, die das, was mit Jesus begonnen hat, mit viel Herz,
Engagement und Klugheit leben, Tag für Tag, ohne viel Aufhebens. Und zweitens: Der Geist Jesu ist nicht an die sichtbaren Grenzen der
Kirche gebunden. Oft wirkt er außerhalb und manchmal wirkt er sogar von außen
in die Kirche zurück. Wichtige Erkenntnisse, z. B. die Menschenrechte, wurden
zuerst außerhalb der Kirche forciert. „Alles Wahre, wer immer es sagt, kommt
vom Heiligen Geist“, wusste schon Thomas von Aquin. Und Augustinus lehrt: „Es
gibt keine Liebe, die nicht vom Heiligen Geist ist.“ Der Geist Jesu wirkt in
dieser Welt – trotz Gegenwind. 17.4.2022-
Ostersonntag Vor kurzem wurde im Sonntagsblatt eine junge Frau vorgestellt, die sich
als „österlichen Menschen“ bezeichnete. Das hat mich aufhorchen lassen: Was
ist ein österlicher Mensch? Nach einigem Suchen stieß ich auf diese
Antworten: – ein Mensch, der ausgestreckt ist zwischen Erde und Himmel, zwischen
Leid und Jubel, zwischen Karfreitag und Auferstehung. – ein Mensch, der offen ist für Wunder, für den mit dem irdischen Tod
nicht alles vorbei ist, der größte Tiefen durchleiden kann, ohne den Glauben
an Gottes Liebe zu verlieren. – ein Mensch, der andere begleitet, sich ihre Sorgen anhört, ihnen Herz
und Augen öffnet und sich ihnen selbst verschenkt. Ich empfehle, diese Zeilen von Irmela Mies-Suermann
(pfarrblattservice.de) mehrmals zu lesen und sich zu fragen: Wann bin ich
solchen Menschen begegnet? – Mir fallen viele ein. Nur zwei bereits
Verstorbene will ich erwähnen: einen Biologieprofessor, der nach vielen
Krebsoperationen neben mir im Krankenhaus lag und sich trotz Schmerzen in
großer Güte die Sorgen anderer anhörte, und einen Bettler, der mir an einem
heißen Sommertag, weil ich kein Geld bei mir hatte, einige Münzen mit den
Worten zusteckte: „Diesmal zahle ich dir ein Getränk!“ Das bloße Hören der Osterbotschaft bleibt schwach, das gemeinsame
Feiern und fröhliche Schmausen macht Ostern schon spürbarer, aber am tiefsten
bewegt uns „der Lebendige“, wenn wir österlichen Menschen begegnen. Ostern
ist nicht nur ein bewegliches Fest, sondern auch ein bewegendes. Der
Auferstandene hat viele Gesichter. 27.02.2022 „Man soll darüber diskutieren“, sagen Bischöfe oft ausweichend, wenn
sie mit jenen Wünschen nach Kirchenreform konfrontiert werden, die schon seit
Jahrzehnten (theologisch) ausdiskutiert sind und die ein Großteil der
Gläubigen für gut und notwendig hält. Und zwar nicht nur in Europa, sondern
auch in den USA, in Lateinamerika, in Australien und weiten Teilen der
katholischen Weltkirche. Nein, es ist nicht die „Weltkirche“, die bremst!
Aber was ist es dann? Ist es die Sorge um „Einheit“, sprich: um jene Traditionalisten, die
vor jeder Reform mit Schisma drohen? Aber müssten unsere Hirten nicht viel
mehr von der Sorge erschüttert sein, dass sich Massen von jungen Frauen und
Männern resigniert von der Institution Kirche abwenden, dass immer weniger
kluge Köpfe Theologie studieren, dass immer mehr beherzte Gläubige sich
lieber außerhalb der Organisation Kirche als in ihr für ihre Mitmenschen, für
das Gute und damit für Gott engagieren? Sehr ernst nehme ich den Einwand: Wir müssen tun, was Gott will. Ja,
das stimmt. Und genau darum frage ich: Will Gott, dass seine Kirche wie ein
autoritärer Staat geführt wird? Ist Gott wirklich gegen die Weihe von
Diakoninnen, wie sie z. B. gerade die Ostkirche wieder einführt? Lehnt Gott
Verheiratete im Priesterdienst ab? Sind jene Normen der Sexualmoral, die sich
zwar wörtlich beim Stoiker Musonius Rufus (100 n.
Chr.), aber nicht im Evangelium finden, Gottes eiserner Wille? Immer mehr Gläubige spüren: Gott will es anders. Es ist Zeit zu
handeln. 23.01.2022 Masken sind lustig. So empfanden wird das als Kinder. Gerne versteckten
wir uns im Fasching hinter Masken (oder „Larven“, wie wir damals sagten).
Jetzt, in Corona-Zeiten, verbinden wir mit „Maske“ eher eigenartige Gefühle.
Der Gedanke an Schutz, aber auch an Hindernis ist da, eher lästig als lustig.
Im Heimatort meines Vaters, so erzählte er, lebte vor vielen Jahren eine Frau
mit schrecklich entstelltem Gesicht. Sie soll gesagt haben: „Der Faschingdienstag ist für mich der schönste Tag. Da trage
ich eine Maske und bewege mich frei unter Menschen.“ Eine Geschichte, die
mich als Kind tief berührte. Menschen maskieren oder vermummen sich aus
verschiedenen Gründen: Spaß, Angst, Schutz, Hygiene … Der Gedanke, dass sich auch Gott vermummt, klingt seltsam. Und doch
spricht die Bibel vom „verborgenen Gott“ (Jes 45,15). Er offenbart sich zwar,
aber sein Wesen ist für uns nicht fassbar. Im Alltag bleibt sein Wirken meist
verborgen. „Gottes Mummerei“ nennt das Martin
Luther. Gott zu entdecken, bleibt eine Lebensaufgabe des Menschen. Manche
versuchen das in der Schönheit der Natur, andere in Kunst und Musik, wieder
andere in heiligen Schriften und Ritualen. Für Christenmenschen gilt das Wort
Jesu: „Wer mich sieht, sieht den Vater“. (Joh 14,9) Und wenn uns dann auch
noch das gelingt, was wir Liebe nennen, kommen wir Gott in dieser Welt am
nächsten. „Niemand hat Gott geschaut, aber wenn wir einander lieben – bleibt
Gott in uns!“ (1 Joh 4,12) Das kann keine Maske verhindern. 12.12.2021 Schon als Kind – meine Eltern hatten ein Geschäft mit Trafik – fielen
mir die großen Schlagzeilen auf den Zeitungen auf. Von Verbrechen,
Katastrophen, Skandalen war da zu lesen. „Ist die Welt nur böse?“, fragte ich
meine Mutter. „Nein“, meinte sie, „das Böse drängt sich nur in den
Vordergrund und verschafft sich gerne Gehör.“ Und sie zitierte dazu sogar die
Bibel: „Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe.“ (1Petr 5,8) Wir Menschen sind versucht, dem Bösen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Angst hat die gute Aufgabe, uns vor realen Gefahren zu warnen. Sie kann aber
auch entgleisen und zum Vergrößerungsglas für alles Scheußliche werden. Dann
wird sie zerstörerisch. Schlimm, wenn Menschen sagen: „Ich kann nicht mehr an
das Gute glauben.“ Ich habe mir vorgenommen, im Advent meinen Blick für das viele Gute zu
schärfen, das tagtäglich ohne viel Tamtam geschieht. Jesus spricht vom „Reich
Gottes“, das uns „nahe“ ist. Näher und kraftvoller, als wir denken: „Mein
Vater ist immer am Werk und auch ich bin am Werk.“ (Joh 5,16) Viele
„barmherzige Samariter/innen“ machen unsere Welt menschlicher und
freundlicher, ohne von Gott zu reden. Andere engagieren sich bewusst im Namen
Gottes. So oder so, Gottes Liebe ist am Werk. Und jede/r kann mittun. „Es gibt
immer zwei Wege, um in einer Welt zu leben, die dunkel und voller Tränen ist:
Wir können die Dunkelheit verfluchen, oder wir können ein Licht anzünden.“
(Großrabbiner Jonathan Sacks) – Ich wünsche Ihnen eine lichtvolle Zeit! 07.11.2021 Nicht alle in der Kirche freuen sich über die Synode, die der Papst
initiiert hat. Manche wollen „den Ball flach halten“. Man weiß: Das
Kirchenvolk ist geduldig, aber auch unzufrieden. Wird es gefragt, reagiert es
nicht nur harmlos. Nun, der Papst, der auch noch nicht weiß, was bei der Synode
herauskommt, hat zumindest drei Stichworte vorgegeben: „Gemeinschaft –
Partizipation – Sendung“. Kirche, so Franziskus, ist die bunte Gemeinschaft
derer, die getauft sind und an Christus glauben. Nicht nur die Hierarchie hat
das Sagen, sondern alle haben einander etwas zu sagen. Ja, jede*r ist (!) für
die anderen eine Botschaft. Wir sind uns geschenkt und zugemutet. Und schon
viele Jahrhunderte, bevor die Kirche erklärt hat, dass ein Papst in bestimmten
Fällen „Unfehlbares“ verkünden kann, wusste sie, dass die Gesamtheit der
Gläubigen nicht irrt, sondern „unfehlbar“ ist. Für diese „katholische
Schwarmintelligenz“ sorgt der Heilige Geist. Darum braucht es Partizipation
in der Kirche: Teilhabe und Austausch, Zuhören und freimütiges Reden,
gemeinsames Beten und Ringen, Unterscheiden und Entscheiden. So können
geeignete Wege gefunden werden, das Anliegen Jesu heute klarer zu leben.
Damit sind wir beim Stichwort „Sendung“. Es ist nicht Mission der Kirche,
sich selbst zu erhalten, sondern „den Menschen zu dienen“, darunter besonders
den Ärmsten. Nur so bleibt sie Jesus treu. Der Papst nennt auch drei Risiken: „Formalismus“ (man tut so, als ob),
„Intellektualismus“ (lebensfremdes Gerede), „Immobilität“
(Änderungsunwillen). Unterstützen wir den Papst auch in der Steiermark, werden wir
synodaler! 03.10.2021 „Vatikan plant Kirchenreform. Es gilt die Unschuldsvermutung.“ Dieses
boshafte Wort schrieb ich vor vielen Jahren in mein Notizheft, lange vor dem
Amtsantritt von Papst Franziskus. Denn ihm glaube ich, dass er wirklich
Reformen will. Aber gelingen sie? Franziskus ist ein spiritueller Mensch und
spürt oft sehr gut, wie das Korsett von Doktrin und Kirchenrecht christliches
Leben heute hemmt. Aber er ist kein Wojtyła-Papst, der „von oben herab“
ein neues Kirchenrecht und einen neuen Katechismus verordnet. Er versucht es
mit einer Synode, wobei im Vorfeld möglichst viele Gläubige zu Wort kommen
sollen. Das ist an sich erfreulich, macht aber auch stutzig. Wie oft wurden
die Gläubigen nicht schon befragt?! Unzählige Fragebögen, Pinnwände und
Flipcharts wurden in den letzten Jahrzehnten mit Vorschlägen gefüllt. „Man
hat uns zugehört, aber es hat sich nichts bewegt“, sagen viele (ehemals)
Engagierte. Das Wort „Synode“ bedeutet „gemeinsamer Weg“, also Beweglichkeit,
gemeinsames (!) Suchen nach dem Willen Gottes für unsere (!) Zeit. Ich denke,
Franziskus meint es ernst, wenn er dabei verstärkt auf das Volk Gottes und
dessen „Glaubenssinn“ setzt. Widerstand ist ihm auch sicher, sollte sich das
Machtgefüge ändern. Daher bitte ich alle, denen Kirche wichtig ist, darunter
auch enttäuschte Freunde und Freundinnen: Nehmen wir die Einladung des
Papstes an! Vielleicht schafft es unsere Kirche diesmal weltweit, (wieder)
„synodaler“, geistlicher und menschlicher zu werden. Wer weiß? 29.08.2021 Kennen Sie das auch: Sie sitzen vor dem Fernseher, schauen Nachrichten
und fühlen sich überfordert? So viel Not in aller Welt: Klimakatastrophen,
Pandemie, Kriege …! Was kann ich da als einzelner Mensch tun? Mutlosigkeit
beschleicht mich. „Da kann man nur beten“, sagte meine Großmutter in
ähnlichen Situationen. Ja, zumindest das kann ich tun, beschließe ich. Und
ich bin überzeugt, ein aufrichtiges Gebet hat große Kraft. Aber meist kann
ich doch noch etwas mehr tun. Und wenn es nur eine Spende an eine Hilfsorganisation
ist, die die Not wenigstens einiger Menschen lindert. Aber ist das nicht nur
ein Tropfen im Ozean? Mutter Teresa sagte einmal: „Alles, was wir tun, ist
nur ein Tropfen im Ozean. Aber wäre dieser Tropfen nicht, so würde er den
Ozeanen fehlen.” Wenn durch meine Spende auch nur ein Kind überlebt, war sie
sinnvoll. Vielleicht wird dieses Kind Arzt und rettet später viele Leben? Ich
weiß es nicht. Liebe soll klug, aber nicht berechnend sein. Egoisten werden
immer einen Grund finden, nichts zu tun. „Man kann nicht allen helfen, sagt
der Engherzige – und hilft keinem.“ (M. v. Ebner-Eschenbach). Und noch etwas kann ich als Christ in unserem Land tun. Ich kann mich
fragen, welche Politik ich mit meiner Stimme unterstütze. Wer prahlt mit
nationaler Kaltherzigkeit? Beim wem spüre ich, dass ihm die Not der Ärmsten
zu Herzen geht? Wer versteckt sich hinter (änderbaren) Vorschriften? Wer ist
bemüht um das „Menschlich-Mögliche“? – Ich habe die Wahl. Hin und wieder
zumindest. 25.07.2021 Ich jogge in der Früh gerne an der Mur. Es ist für mich eine gute Zeit
zum Beten und Meditieren. Vor ein paar Tagen – ich bedenke gerade den Satz
„geboren von der Jungfrau Maria“ – kommt mir eine Wallfahrergruppe mit
Vortragskreuz entgegen. Es folgt ein freundliches Gespräch und ich bitte die
gut gelaunten Männer und Frauen schließlich, auch meine Anliegen nach
Mariazell „mitzunehmen“. Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen pilgernd auf den Weg machen,
aber es ist auffällig, dass das Ziel sehr oft ein Marienwallfahrtsort ist.
Die Mutter Jesu ist bis heute für viele ein berührendes Bild der Zärtlichkeit
Gottes. Vor ihr muss man nicht mit Leistungen aufwarten; ihr kann man die
Wunden des Lebens anvertrauen; sie hält Zweifel und Unsicherheiten gut aus
und ist auch in scheinbar auswegloser Situation einfach da, schweigt und
zeigt uns Jesus. Das alte Wort „Gnadenbild“ hat hier seinen schönsten Sinn. Die evangelische Theologin Dorothee Sölle hat einmal geschrieben: „Die
Bilder der Muttergottes erinnern uns an unsere eigenen Sehnsüchte nach einem
anderen Leben. […] Sie erinnern uns daran, wie innerhalb der religiösen
Tradition Ängste und Wünsche einfacher Leute benennbar und darum heilbar
wurden, sodass die Welt nicht nur ein unbegreiflich wirres ‚Getümmel‘ blieb,
sondern ein Hinweis auf das Land der Freiheit, das wir Himmel nennen, wurde.“ Und der Himmel beginnt nicht erst nach dem Tod. Er wächst schon jetzt
in uns und um uns. Ich wünsche Ihnen einen himmlisch guten Sommer. 20.06.2021 „Dass eine Frau lehrt, erlaube ich nicht!“ (1 Tim 2,12) Dieses mit der
Autorität des Paulus untermauerte Bibelwort hätte Päpste dazu bewegen können,
allen Frauen für immer zu verbieten, öffentlich den Glauben zu verkünden.
„Wir sehen uns nicht bevollmächtigt, das zu erlauben“, hätte ein Papst, auf
die Bibel pochend, sagen können. Zum Glück kam es nie dazu. Man erkannte
dieses Wort als zeitbedingte Anordnung, bestimmten Situationen geschuldet.
Ein zeitloses Verbot wurde nicht daraus. Gott sei Dank! Heute gibt es viele Frauen, die als Religionslehrerinnen,
Seelsorgerinnen, Katechistinnen und Theologinnen im Auftrag der Kirche das
Evangelium verkünden und erklären. Und sie tun es großteils gut, jedenfalls
nicht schlechter als männliche Kollegen. Ihre Glaubens- und Lebenserfahrungen
sind aus dem Leben unserer Kirche nicht mehr wegzudenken. Ob Frauen auch einmal zum geistlichen Amt geweiht werden? Ein
Bibelwort, das dagegenspricht, gibt es nicht. Und die kirchliche Tradition
kennt zumindest das Amt der Diakonin. Manche Ostkirchen, deren Sakramente
auch von unserer Kirche anerkannt sind, weihen (wieder) Diakoninnen. Ihre
Weihe wird dabei nicht nur als „Segnung“ verstanden, wie manche westlichen
Theologen abwertend meinen. Sie sind nicht weniger „geweiht“ als männliche
Diakone. Die römische Kirche ist hier zaghafter, definiert „Amt“ und „Sakrament“
oft sehr eng. Die Gründe sind bekannt, freilich für immer weniger Menschen
einsichtig. Bibel und Tradition sind keine leblosen Betonklötze. Gottes Geist
lebt, ermutigt und macht kreativ. - „Löscht den Geist nicht aus!“ (1 Thess
5,19) 16.05.2021 Es ist geschmacklos, wenn mitten in der Corona-Krise ein Wiener
Innenstadt-Priester in der Zeitung ungeniert von seinem Wohlstand labert:
„Supermärkte kenne ich nur vom Segnen, nicht vom Einkaufen. Ich wüsste nicht
mal, wo ich dort Milch oder Butter finde. Darum nehme ich zurzeit
Essensgeschenke gern an.“ Im Lockdown fallen ja Abendtermine mit gutem Essen
aus. Über seine Köchin, die für den Mittagstisch sorgt, sagt er:
„Fischgerichte waren anfangs nicht ihre Stärke. Ich habe dann Haubenkoch
Manfred Buchinger gebeten, sie unter seine Fittiche zu nehmen. Nach vier
Tagen Crashkurs beherrschte sie schließlich auch die Fischzubereitung.“ Es geht mir nicht darum, hier einen beliebten „Seitenblicke-Seelsorger“
mit Steinen zu bewerfen. Der Mann hat auch seine großen Verdienste. Aber
diesmal hat er wohl aus lauter Freude über sich selbst das Gespür für jene
Leser und Leserinnen verloren, die unter der Pandemie schwer leiden, die um
ihren Arbeitsplatz bangen und nicht wissen, wie sie mit ihrer Familie über
die Runden kommen werden. Ich selbst gehöre zu den vom Schicksal Bevorzugten. Ich beziehe
regelmäßig meine Pension, niemand in meiner Familie ist ganz schwer an Corona
erkrankt, niemand vom Jobverlust bedroht. Da vergisst man allzu leicht die
„anderen“. Der Papst hat Recht, wenn er die „Bevorzugten“ und
„Krisengewinner“ (auch die gibt es!) auffordert, über die eigene
Schicksalsblase hinauszuschauen, hinauszufühlen und
auch etwas vom eigenen Wohlstand abzugeben. Beherzigen wir seinen Aufruf.
„Liebe deinen Nächsten – er ist Mensch wie du!“ 11.04.2021 Schließlich war auch der skeptische Apostel Thomas überzeugt: Der
Gekreuzigte lebt, er ist auferstanden! – Aber so eine Botschaft klingt
verrückt und gar nicht erfolgversprechend. Denn ein Gekreuzigter galt damals
als von Gott verflucht. Mit einer solchen Message war nichts zu holen. Man
behält sie besser für sich. Außer man macht eine so tiefe und einmalige
Erfahrung, dass man sie nicht verschweigen kann. Pinchas Lapide, der sich als jüdischer Theologe intensiv mit Jesus
beschäftigt hat, ohne selbst Christ zu werden, schreibt: „Wenn diese
verängstigte Apostelschar, die eben dabei war, alles wegzuwerfen, um in
heller Verzweiflung nach Galiläa zu flüchten; wenn diese Bauern, Hirten und
Fischer, die ihren Meister verleugneten und dann kläglich versagten, sich
plötzlich in eine überzeugte Missionsgesellschaft verwandeln konnten, so
genügt keine Vision oder Halluzination, um solch einen revolutionären Umschlag
zu erklären.“ Da geschah etwas Besonderes von Ostern bis Pfingsten. Ja, hier passt
das Wort „Geheimnis“. Denn „Auferstehung“ ist weder einfach die
Wiederbelebung einer Leiche noch bloß das geistige Weiterleben einer Person,
auch nicht nur inneres Erleben der Jünger. Es übersteigt physikalische,
biologische und psychologische Kategorien. Für mich heißt „Auferstehung“: Jesus lebt wirklich auf neue Weise in
Gott, unter uns, in uns! Liebende Augen können mehr und tiefer sehen. Ich
wünsche uns allen solche Osteraugen – und einen schönen Frühling. 07.03.2021 „Warum schafft Gott die Bösen nicht einfach ab?“, fragt der kleine Timo
seine Eltern. Auch Erwachsene fragen sich manchmal angesichts des Bösen in
der Welt: Warum greift er nicht ein? Wer hat sich noch nie gewünscht, Gott
möge über Nacht die Welt in ein Reich des Friedens verwandeln? Aber Gott tut
das offensichtlich nicht. Er lässt Unkraut neben dem Weizen wachsen und seine
Sonne über Gute und Böse scheinen. „Zwangsbeglückungen“ sind nicht seine
Sache. Erlösung über die Köpfe hinweg gibt es nicht. Vielmehr wirbt Gott um
die Freiheit des Menschen, „redet uns zu Herzen“, wie die Bibel sagt
(Jes 40,2), ruft zur Umkehr, appelliert an unsere Fantasie für das Gute. So
arbeitet Gott. Die Menschen um Jesus, erzählt die Bibel, haben das auf wunderbare
Weise erfahren. Sie begegnen in ihm der Liebe und Großzügigkeit Gottes und
spüren: Unser Leben ist in guten Händen – und die ganze Welt auch! Diese
Erfahrung verändert sie: „Sünder" wagen einen Neubeginn, Reiche teilen
ihre Habe, Kranke werden gesund, Gekrümmte richten sich auf, seelisch
Zerrüttete finden Ruhe und Ausgestoßene Freundschaft. Weil sie Gott als
großzügig erfahren, werden sie selbst großzügig, lernen verzeihen, verzichten
auf Rache und Gewalt. Wer sich auf Jesus einlässt, erfährt die vielfältige
Kraft des Guten. Auch heute. Ich wünsche dem kleinen Timo und uns allen
Verständnis für den Weg Gottes in der Welt. Gehen wir mit. „Wir können
täglich Böses in Gutes verwandeln.“ (Papst Franziskus) 31.01.2021 Auf die Frage, was ihm persönlich im Leben Orientierung gebe, antwortet
der renommierte Quantenpysiker Anton Zeilinger in einem FURCHE-Interview
(30.11.2020): „Die Überzeugung, dass es etwas Transzendentes gibt. Manche
Menschen nennen das Gott, oder wie auch immer. Für mich ist das sogar mehr
als eine Überzeugung, nämlich eine wichtige Erfahrung meines Lebens: dass die
Welt nicht nur materiell ist. Diese Erfahrung habe ich interessanterweise
schon immer gehabt. In meinem Leben gab es keinen Moment ohne Gott.“ Und auf
die Zusatzfrage zum Verhältnis Wissenschaft und Religion meint er:
„Vereinfacht gesagt lassen sich die Spannungen zwischen Wissenschaft und
Religion darauf zurückführen, dass beide Seiten ihren Kompetenzbereich
überschreiten: Wenn etwa Naturwissenschaftler behaupten, sie könnten die
Evolution restlos erklären, übersehen sie, dass sie den Zufall […] eben nicht
erklären können. Auf der anderen Seite nehmen religiöse Fundamentalisten die
Bibel wortwörtlich […]. In Wahrheit ergänzen Wissenschaft und Religion
einander.“ Zeilinger wirbt immer wieder für das Gespräch zwischen
Naturwissenschaft und Kirche. Auch wissenschaftlich gebildete Menschen suchen
Spiritualität. Leider fehlt es in der Kirche oft an geeigneten
Gesprächspartner*innen. Die Kirche verbraucht derzeit (zu) viele Kräfte für
Selbstorganisation und Reform-Widerstand. Der Ruf Jesu ist da leicht zu
überhören: „Suchet zuerst das Reich Gottes – alles andere wird euch
dazugegeben!“ (Mt 6,33/Lk 12,31) 20./27.12.2020 Eine befreundete Lehrerin hat mich darauf aufmerksam gemacht: Das
Jugendwort 2020 ist „lost“. Mit diesem englischen Wort bezeichnen Jugendliche
jemanden, der unsicher, planlos, überfordert, verloren, also irgendwie neben
der Spur ist. Wer „lost“ ist, steht daneben - in Schule, Sozialkontakt,
Arbeit oder überhaupt im Leben. Kennen auch Sie dieses Gefühl, „lost“ zu
sein? Die Bibel erzählt: Jesus ist gekommen, „zu suchen und zu retten, was
verloren ist“ (Mk 2,17). Die, die „lost“ sind, haben einen besonderen Platz
in seinem Herzen. Wer meint, ganz in Ordnung oder gar moralisch besser zu
sein als andere, wird Jesus kaum verstehen. Wer aber auch in sich das
Verlorene spüren kann und weiß, dass er Heilung braucht, ist – so Jesus –
Gott schon nahe. „Welt ging verloren, Christ ist geboren“, singen wir in einem
Weihnachtslied. Dort, wo wir das Dunkle, Unglückliche, Verlorene in uns
anerkennen und der Güte Gottes anvertrauen, kann aus Unheil Heil werden – für
uns und für andere. Gott geht dabei oft auch Umwege mit den Menschen. Die
Bibel ist voll von solchen Beispielen. In einer schwierigen Lebenssituation
tröstete mich einmal ein Seelsorger: „Dort, wo du dich am wenigsten magst,
ist Gott dir besonders nahe. Und wenn du nichts mehr mit dir anfangen kannst,
will er etwas Neues in dir beginnen.“ Dafür ist Jesus geboren, dafür hat er
gelebt und geliebt „bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Verlorenes kann gefunden,
Zerbrochenes heil werden. Das zu hoffen, heißt Weihnachten feiern. 15.11.2020 Die Krankenhausseelsorgerin betritt das Zimmer. Nein, er brauche keine
Seelsorge, sagt der Patient. Aber dann wird doch ein tiefes Gespräch daraus,
„weil sie“, wie er später anerkennt, „so ein offener lieber Mensch ist und
etwas vom Leben versteht“. Ein Priester schreibt mir, er ärgere sich über gewisse kirchliche
Verordnungen, aber die Begegnung „mit den Menschen vor Ort“ mache ihm täglich
viel Freude. „Die Leute“ sind ihm wichtig. Eine Religionslehrerin zeigt mir mit Begeisterung ihre gründlichen
Vorbereitungen für den Unterricht: „Ich habe junge Menschen so gerne.“ Viel
Herzblut fließt in ihre Arbeit. Drei Menschen, die stellvertretend für viele stehen, die beruflich im
Auftrag der Kirche arbeiten und es mit Herz, Klugheit, Fantasie und wachem
kritischen Geist tun. Sie sind nicht immer bequem, aber voll Feuer. Ihnen
gelten heute meine besondere Aufmerksamkeit und mein Dank. Die wichtigste
Aufgabe kirchlicher Führungskräfte sollte es sein, solche Menschen
aufzuspüren und zu fördern. „Homo factus est“,
heißt es im Großen Credo über Jesus: „Er ist Mensch geworden“. Bevor er ein
Wort gepredigt oder ein Wunder gewirkt hat, ist er unser Mitmensch geworden.
So beginnt Erlösung. Von Mensch zu Mensch. Das ist der Weg Gottes. Nur wer
die Menschen gern hat, kann mit Ihnen Gott entdecken. Gute Seelsorgerinnen
und Seelsorger wissen das und arbeiten so. Ob die Kirche als Organisation
dadurch wieder rasch an Ansehen gewinnt, weiß ich nicht. Aber das Reich
Gottes wächst so – unaufhaltsam. 11.10.2020 „Sie haben mir ihre Lebens- und Glaubensgeschichten erzählt. Das hat
mich bewegt, weil ich gemerkt habe, welch ein Ringen da stattfindet. Sie
wollen Christen sein und ihren Glauben auch in der Kirche leben. Und da will
ich sie nicht alleine lassen.“ Das sagt Bischof Heinrich Timmerevers
(Dresden) nach mehreren intensiven Begegnungen mit schwulen, lesbischen, bi-
und transsexuellen Gläubigen in seiner Diözese. Er will die Seelsorge für die
Lebenssituation dieser Gläubigen sensibilisieren und plädiert auch dafür,
gleichgeschlechtliche Paare zu segnen: „Man muss sich natürlich über die Form
Gedanken machen. Aber grundsätzlich würde ich solch eine Öffnung begrüßen.“
Dieses Bemühen des Bischofs stößt bei manchen Kollegen und Kirchenmitgliedern
allerdings auch auf Befremden und Widerstand. Denn die moraltheologische
Tradition der Kirche hat Homosexualität verworfen, oft verteufelt, zumindest
für krank erklärt. Die Bibelstellen, auf die man sich dabei berufen hat,
haben wenig mit dem zu tun, was wir heute „gleichgeschlechtliche Liebe“
nennen, sondern betreffen homosexuelle Vergewaltigung, blinde sexuelle Gier,
Sex mit Abhängigen usw. Darauf hat schon vor vielen Jahren Kardinal Martini
hingewiesen. Jesus selbst hat bekanntlich zu diesem Thema nichts gesagt. Die
katholische Kirche – so Timmerevers – wird sich
aufgrund neuer Einsichten „neu positionieren“ müssen (wie sie es auch in
anderen ethischen Fragen schon getan hat). Ich meine, der Bischof von Dresden
verdient es, gehört zu werden. 06.09.2020 Sie wurde zwar evangelisch getauft, fühlte sich aber schon früh als
Atheistin und lebte auch so. Erst heftige Angriffe auf die Religion durch
fanatische Atheisten weckten in ihr das Interesse an Glaube und Kirche. Sie
wollte sich ihre eigene Meinung bilden. 2018 ist Meike Kröger dann katholisch
geworden. Viele Bekannte verstehen diesen Schritt nicht, da Meike nach wie
vor den Demokratie-Mangel in der katholischen Kirche kritisiert und die
Priesterweihe für Verheiratete und Frauen für überfällig hält. Wie kam es also zum Kircheneintritt? „Ich nahm Kontakt zu Menschen auf, die in der Kirche aktiv sind“,
erzählt sie katholisch.de: „Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter,
Ordensmenschen, Priester. Etliche meiner Vorurteile sind zusammengefallen,
weil ich gemerkt habe, dass es so viele engagierte, bodenständige Menschen
waren und sind, klug und kritisch. Dann kam eine persönliche Krisenzeit durch
Krankheit und Tod in meiner Familie. Da suchte ich erstmals in diesem Umfeld
Unterstützung. Meine skeptisch-atheistische Haltung wurde akzeptiert, und ich
fühlte mich nie religiös vereinnahmt, sondern frei, meinen eigenen Zugang zu
suchen. So hat sich das entwickelt.“ Mit ihrem Kircheneintritt ist sie nicht unkritisch geworden. Sie
versteht auch Menschen, die austreten. Überzeugt hat sie nicht der
Katechismus, sondern Gläubige, die das Leben ihrer Mitmenschen ernst nehmen. „Wir gehen vom Leben der Menschen aus“, steht im Zukunftsbild unserer
Diözese. – In Gottes Namen, das wär’s! 02.08.2020 Wieder einmal ist ein Dokument aus Rom gekommen. Diesmal eine
Instruktion über Pfarre und missionarische Seelsorge aus der Kleruskongregation. Nicht, dass ich mir davon besondere
neue Impulse erwartet hätte, aber ein bisschen mehr Mut wäre schon schön
gewesen. Das Schreiben enthält durchaus stimmige Zeitanalysen und viele
wunderbare Zitate von Papst Franziskus, die ich voll mittragen kann. Aber es
ist wie so oft bei Mutter Kirche: Man redet gern von Reform, von „pastoralem
Miteinander“ und neuen Wegen der Seelsorge – aber eines darf sich dabei nicht
ändern: das Kirchenrecht. Und auf keinen Fall die Vorrechte des Klerus. Laien sollen ihre finanziellen Beiträge leisten und dürfen in der Kirche
mitarbeiten bis zum Umfallen, aber letztlich will man nur, dass sie „den
Priester in seiner Arbeit unterstützen“. Wirklich mitentscheiden oder
kirchliche Macht kontrollieren dürfen sie (noch) nicht. Nur wenn die Kirche durch Fehler der Hierarchie bereits an die Wand
gefahren worden ist und man doch nicht aufgeben will, wenn Arbeit ansteht,
für die schon lange geeignete und sogar ungeeignete Priester fehlen, dann
wird betont: Wir alle sind Kirche! Geht es aber um lang erwünschte Reformen
des Kirchenrechtes, damit wirklich Neues möglich wird, gilt noch immer:
Kirche ist Amt. Übrigens: Was die Rechte aller Getauften angeht, ließe sich von
orthodoxen und evangelischen Geschwistern viel lernen. Ja, das waren diesmal zornige Zeilen. Ich hoffe, sie spüren auch die
Sorge und Liebe dahinter. 28.06.2020 Wer das Wort „Twitter“ hört, denkt rasch an US-Präsident Donald Trump.
Er nützt dieses weltweite öffentliche Nachrichtenmedium exzessiv, um seine
Sprüche loszulassen, (nachweislich) oft verlogen und inhuman. Schamlos spannt
er dafür auch Gott und die Bibel vor seinen politischen Karren. Aber auf „Twitter“ findet man auch andere Stimmen, leisere, zutiefst
menschliche. So „twitterte“ am 28. Mai eine junge Frau: „Vor wenigen Wochen haben mein Mann und ich einen Säugling mit
Downsyndrom adoptiert. Seither bekommen wir von vielen Seiten zu hören, wie
bewundernswert wir wären… Ich weiß natürlich die Anerkennung und den Respekt
zu schätzen. Allerdings hat das Ganze für mich auch einen weniger schönen
Beigeschmack. Wir sind keine Helden oder Heiligen. Wir haben einfach nur ein
Baby adoptiert. Ein Baby mit einem kleinen Extra, aber dennoch ein Baby wie
jedes andere. Letztlich ist es immer mutig, ein Kind großzuziehen… Hätten wir
ein leibliches Kind bekommen, wäre es vielleicht auch mit einer Behinderung
auf die Welt gekommen. Dann hätten wir es genauso angenommen… Und: kein Kind
ist perfekt. Wir jedenfalls sind sehr glücklich mit unserem Baby.“ Ich weiß nicht, ob diese Frau religiös ist. Sie erzählt einfach, wie
sie lebt und liebt. Sie trägt weder ein Kreuz, noch eine Bibel, noch einen
„Pro-Life“-Slogan vor sich her, aber sie hinterlässt in mir den Eindruck: Das
hat viel mit dem zu tun, was Jesus „Reich Gottes“ nennt. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Sommer - voller Leben! 24.05.2020 Krisensituationen regen die Phantasie an. Und das ist zunächst einmal
gut. Menschen entwickeln erstaunlich gute Ideen, um sich und anderen zu
helfen, Not zu lindern, Krankheiten zu besiegen usw. Aber es gibt auch die dunkle Seite: Verschwörungsphantasien. Beim Brand
Roms bezichtigte Nero die Christen, Feuer gelegt zu haben; in der Pestzeit
beschuldigten Christen die Juden, Brunnen zu vergiften; am Anfang der Neuzeit
verurteilten katholische und protestantische Richter Hexen als Ursache für
Unwetterkatastrophen. Ja, zu jeder Zeit (er)fand man für Unglücksfälle, die
man nicht durch beweisbare Fakten klären konnte, Schuldige: die Jesuiten, die
Protestanten, die Freimaurer, den Vatikan… - und immer wieder die Juden. Dass auch die Corona-Pandemie nicht nur konstruktive Energien, sondern bei
manchen Menschen dunkle Phantasien freisetzen wird, war von Anfang an klar.
(Dass sich dazu auch einige Bischöfe und Kardinäle hinreißen ließen, hat mich
dennoch verwundert.) Rasch sind Überzeugungsgemeinschaften entstanden, die
sich als Opfer dunkler Mächte wähnen und mit Eifer Feindbilder zimmern. Und
es gibt andere, die Ängste politisch nützen. Als Christ erinnere ich mich in Krisenzeiten gerne an das Jesuswort:
„Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet!" (Mk 14,38)
WACHT! – also träumt nicht, seid nüchtern, prüft Fakten, seid realistisch und
kritisch! Und BETET! – vertraut in jeder Situation Gott, bittet um klaren
Verstand, um Phantasie und Kraft zum Guten! So widersteht ihr der Versuchung,
andere zu dämonisieren, euch unkritisch Führern zu unterwerfen oder gar zu
verzagen. 19.04.2020 Ich mag ehrliche Atheisten. Dazu gehört die Schriftstellerin Simone de
Beauvoir (+1986). Konsequent denkt sie ihren Unglauben zu Ende und gesteht in
ihren Memoiren: „Manchmal ist mir der Gedanke, mich ins Nichts aufzulösen,
genauso abscheulich wie früher. Voller Melancholie denke ich an all die
Bücher, die ich gelesen, an all die Orte, die ich besucht habe, an das
Wissen, das sich angehäuft hat und das nicht mehr da sein wird. Die ganze
Musik, die ganze Malerei, die ganze Kultur, so viele Bindungen: plötzlich
bleibt nichts mehr ... Nichts wird stattgefunden haben.“ Wenn Ostern nur ein schönes Frühlingsfest ist und keine tiefere
Wahrheit über Tod und Leben enthält, muss ich mich mit einem letzten Blackout
abfinden. Nein, es ist keine Selbstverständlichkeit, an die Auferstehung zu
glauben. Nicht nur Thomas hatte da Probleme. Auch von den anderen Aposteln
heißt es noch 40 Tage nach Ostern: „Einige aber hatten Zweifel.“ (Mt 28,17) Ich brauche wohl ein liebendes Herz wie Maria Magdalena, um jenen Gott
zu „finden“, der die Lebensgeschichte meiner Lieben und auch meine
Lebensgeschichte im Tod auffängt, sie heilt und vollendet. Doch auch hier
höre ich: „Halte mich nicht fest!“ (Joh 20,17) „Der Glaubende wie der Ungläubige haben, jeder auf seine Weise, am
Zweifel und am Glauben Anteil. Keiner kann dem Zweifel ganz, keiner dem
Glauben ganz entrinnen.“ (Joseph Ratzinger) So gehe auch ich meinen Weg mit
Glaubens- und Unglaubenszweifeln – voll Hoffnung
und voll Sehnsucht nach dem Gott des Lebens. Das war heute sehr persönlich von mir. Aber Ostern geht nicht anders. Schönen Weißen Sonntag! 15.03.2020 Nein, das Frauenbild, das mein Lieblingspapst im Schreiben Querida
Amazonia skizziert, ist gut gemeint, aber überzeugt mich nicht. Meine
Großmutter (*1908) hätte
es noch bejaht, meine Mutter (*1930) schon
bezweifelt, jüngere Frauen lehnen es ab, auf einen „weiblichen Stil“ fixiert
zu werden. Dass Frauen nach dem Vorbild Mariens Gottes Zärtlichkeit leben
sollen, ist zwar gut und schön, aber gilt das nicht auch für Männer? Und die
Sorge, durch eine Weihe würden Frauen gefährlich „klerikalisiert“, klingt
seltsam. (Übrigens wurde in früherer Zeit auch Maria als Priesterin verehrt
und im Messkleid dargestellt, ehe Rom das 1916 verbot.) Mut macht hingegen, was der Papst andernorts gesagt hat: „Seit Paul VI.
Teresa von Avila und Katharina von Siena zu Kirchenlehrerinnen erhoben hat,
kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass Frauen die höchsten Stufen der
Glaubensweisheit erreichen können.“ (Ratzinger-Preis-Verleihung 2018) Zum größten Teil und zum Hauptinhalt (!) von Querida Amazonia sage ich
dankbar ja: „Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten
kämpft... Ich träume von einem Amazonien, das seinen charakteristischen
kulturellen Reichtum bewahrt...Ich träume von einem Amazonien, das die
überwältigende Schönheit der Natur eifersüchtig hütet... Ich träume von
christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken.“ Hier spüre ich den
Herzschlag des Papstes. Das schmeckt nach Zukunft. Hier verstehe ich ihn und
folge ihm gerne. 02.02.2020 Als der heilige Karl Borromäus 1570 als zuständiger Bischof die Schweiz
besuchte, stellte ihm der Pfarrer von Altdorf stolz seine acht Kinder vor.
Das ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass sich der Priester-Zölibat
in der Kirche nie ganz durchgesetzt hat, obwohl Päpste sich bemüht haben, ihn
gesetzlich abzusichern, und bis heute viele engagierte Priester nach dem
Vorbild Jesu glaubwürdig im Zölibat leben. 2019 hat nun die Amazonien-Synode mit großer Mehrheit Papst Franziskus
gebeten, für priesterarme Gebiete am Amazonas auch Verheiratete
zur Weihe zuzulassen. Kardinal Sarah bezeichnet dieses Ansinnen als „pastorale
Katastrophe“. Auch andere Gruppen, vor allem in den USA, sehen in jeder
„Aufweichung des Zölibates“ den Untergang der römisch-katholischen Tradition. Verschwiegen wird dabei oft, dass schon Pius XII. (+1959) Verheiratete
zur Priesterweihe zugelassen hat, nämlich konvertierte evangelische Pfarrer.
Das ist seither gängige Praxis, wenn verheiratete Pastoren katholisch werden.
Wenn es nun gut römisch ist, jemanden aus „persönlichen Gründen“ von der
Zölibatspflicht zu befreien, kann eine solche Befreiung aufgrund großer
pastoraler Not nicht un-katholisch sein. Freilich
fürchten manche, das Amazonas-Beispiel könnte Schule machen – auch bei uns.
Auszuschließen ist das nicht. Österreichs Bischöfe sagen zwar, dass wir keine
Priesternot haben, aber das Kirchenvolk sieht das oft anders. Braucht auch Österreich neue Wege? Welche Wege zeigt uns Gott? Was
denken Sie? 15.12.2019 „Katholisch“ wird heute meist nur als Konfessionsbezeichnung verwendet.
Ursprünglich bedeutet dieses Wort: universal, offen für alle, aus der Fülle
Gottes lebend. In diesem Sinn war Jesus ohne Zweifel katholisch. „Aus seiner
Fülle haben wir alle empfangen“, sagt das Johannesevangelium (1,16). Und als
Christ glaube ich: Jesus hat uns Menschen alles gebracht, was wir brauchen,
um sinnvoll glauben, leben und lieben zu können. Unsere Kirche ist immer nur in abgeleiteter Weise katholisch. Sie hat
den Auftrag, die in Christus geschenkte Fülle allen Menschen aller Zeiten und
Orte weiterzugeben und vorzuleben. Dass sie dabei oft auch engstirnig
geworden ist und die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht immer hinreichend
respektiert, trübt ihre praktische Katholizität. Das Katholisch-Sein lässt sich auch nicht zwischen zwei Buchdeckeln
eines Katechismus einfangen und für immer festschreiben, sondern ist
lebendige Tradition, die das Alte von Zeit zu Zeit kritisch prüft, das Beste
und Schönste davon bewahrt, aber auch Neues zulässt und mutig integriert:
neue Formen der Spiritualität, des Gottesdienstes, der Lebensgestaltung und
Beziehungskultur, der Seelsorge, der kirchlichen Ämter und Dienste. Wir haben
das Evangelium in seiner Fülle noch längst nicht ausgeschöpft. „Stückwerk ist
unser Erkennen“, sagt Paulus (1 Kor 13,9). Es gibt noch so vieles zu
entdecken – für die Kirche als ganze und für mich persönlich. Insofern ist
„katholisch“ ein Zukunftswort. Ich bin gern katholisch. 03.11.2019 Viele Eltern und Großeltern leiden darunter, dass ihre Kinder und
Enkelkinder mit Kirche und Gottesdienst wenig anfangen können. In ihnen
brennt die Frage: Was haben wir in der Erziehung falsch gemacht? Gutgemeinte
Predigten, die vor allem die Familie für das, was man „Glaubensverlust“
nennt, verantwortlich machen, gießen Öl ins Feuer – und sind selten
hilfreich. Ja, junge Leute gehen heute oft andere Wege. Das hat viele Gründe und
liegt meist nicht an den Eltern. (Auch Eltern früherer Generationen waren
keine Engel.) Die Welt ist anders geworden. Den Jungen stehen heute viele
Sinnangebote und Lebenshilfen offen. Familie und Freunde stehen hoch im Kurs,
aber Kirche gilt als unbeweglich, lebensfremd, oft auch heuchlerisch und –
besonders schlimm für junge Leute – langweilig und fad. Warum das so ist, darüber müssen sich vor allem jene den Kopf
zerbrechen, die für die offizielle Gestalt der Kirche verantwortlich sind. Sind unsere jungen Leute gottlos? Karl Rahner hat einmal gesagt: „Es ist nicht so leicht, Jesus Christus
zu entgehen. Denn es wird offenbar werden, dass viele ihn im Geringsten
seiner Geschwister gefunden haben, ohne ihn beim Namen nennen zu können.“ Und tatsächlich, ich staune immer wieder, wie viele junge Menschen sich
für Mitmenschen in Not engagieren. Ohne es zu ahnen, arbeiten sie für das
„Reich Gottes“, für das Wachstum der Liebe Gottes in unserer Welt. Nein, sie
sind nicht gottlos. Und die Kirche? Sie ist nicht „geistlos“. Wandlung und
Erneuerung sind möglich. 22.09.2019 Ja, ich ärgere mich, wenn Politiker kritikwürdige Machenschaften oder
gar unmenschliche Verhaltensweisen ihrer Partei oder Gefolgschaft damit rechtfertigen,
dass dadurch das Gesetz ja nicht verletzt worden sei. Es scheint für sie okay
zu sein, Gesetze auszureizen, ja sogar zu übertreten, wenn keine spürbaren
Sanktionen zu befürchten sind. Einer meiner Religionslehrer hat einmal
gesagt: Man kann alle staatlichen Gesetze halten und doch ein Schuft sein!
Ich wusste damals nicht, wie recht er hatte. Und nie hätte ich mit 15
gedacht, dass mir Worte wie „Moral“ und „Anstand“ noch einmal so wichtig
werden. Liebe Politiker und Politikerinnen, es reicht mir nicht, dass ihr nicht
kriminell werdet! Auch wenn Hartherzige und Gedankenlose das Wort „Gutmensch“
zum Schimpfwort gemacht haben, erwarte ich von euch, dass ihr Gut-Menschen
sein wollt: Menschen, die nicht nur nach Umfragen schielen, sondern nach
bestem Wissen und Gewissen (!) das Gute suchen, trotz Gegenwind andere davon
zu überzeugen versuchen und es schließlich auch klug umsetzen. Wen ich wählen werde? Meine Stimme will ich jenen geben, denen ich zutraue, dass ihnen die
Bewohnbarkeit unseres Planeten als „gemeinsames Haus“ ein ehrliches Anliegen
ist, die sich tapfer für Menschenrechte und ein konstruktives Miteinander von
Menschen verschiedener Herkünfte, Kulturen und Religionen einsetzen und die
in ihrer Praxis eine Vorliebe für die Ärmsten in unserem Land und in aller
Welt erkennen lassen. Noch habe ich Zeit zum Nachdenken. 11.08.2019 Sie sind Frauen, tragen Mitra, Bischofsstab und Bischofsring und leiten
im Auftrag des Papstes eine Diözese: die Äbtissinen
von San Benedetto in Conversano (Apulien). Vom 13. Jahrundert bis 1810 bestellen sie wie ihre männlichen
Bischofskollegen Pfarrer, wachen über die Seelsorge, erteilen Beicht- und
Predigtvollmacht und – auch das kommt vor –schicken straffällig gewordene
Kleriker ins Gefängnis. Frauen mit bischöflicher Leitungsvollmacht – und das
alles ganz katholisch! Kein Einzelfall. Quer durch Europa gab es an die 40
Abteien, an deren Spitze Frauen standen, die zwar keine Priesterweihe hatten,
aber Diözesen leiteten und denen Pfarrer Gehorsam versprechen mussten. Eine
fast vergessene 1000-jährige katholische Tradition, die erst im 19.
Jahrhundert ihr Ende fand. Daran erinnerte der Kirchenhistoriker Hubert Wolf vor rund einem Monat
in einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks. Natürlich lassen sich solche
historischen Modelle nicht einfach wiederbeleben – und dafür plädiert Wolf
auch nicht – aber die Kirchengeschichte zeigt zumindest, dass es dogmatisch
nicht unmöglich ist, Frauen auch sehr hohe Leitungsvollmacht in der
katholischen Kirche zu geben, sogar über geweihte Männer. Die Tradition der katholischen Kirche ist viel weiter und bunter, als
„Traditionalisten“ meinen. Vor allem ist sie lebendig. Sie endet auch nicht
mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Es lohnt sich nachzudenken: Was will
der Heilige Geist heute von uns? Wo dürfen, ja müssen wir als katholische
Kirche auch neue Wege einschlagen? Der „Große Frauentag“ am 15. August könnte eine Ermunterung dazu sein. 30.06.2019 Noch vor einigen Jahren kritisierte ein Theologieprofessor, unsere
Diözese würde Kirchenbeiträge „verschwenden“, weil sie sich für
„Umweltschutz“ engagiere: „Das hat doch nichts mit dem Evangelium zu tun.“
Benedikt XVI. sah das damals schon anders. Er erklärte:
Schöpfungsverantwortung gehört zum Christ-Sein! Nächstenliebe, besonders die
Liebe zu den Ärmsten, ist nicht vom Einsatz für eine bewohnbare Erde zu
trennen. Denn am meisten leiden die Armen unter Umweltverschmutzung und
Klimawandel. Und letztlich – das wird vor allem jungen Menschen immer klarer!
– geht es um unser aller Überleben. Die Erde ist in Gefahr: unser
„gemeinsames Haus“, das wir alle brauchen, ob Konzernchef oder Arbeiterin,
Christ oder Muslima, Wohlstandsbürger oder Asylsuchende, Leistungsträger oder
Auf-Hilfe-Angewiesene, Mensch oder Tier. Deshalb predigt Papst Franziskus
unermüdlich „ökologische Umkehr“ (Laudato si 216-221). Erst kürzlich beschwor
er Top-Manager der Energieversorgung: „Wir können uns nicht den Luxus
erlauben, zu warten, dass andere den ersten Schritt machen, oder
kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen Priorität einzuräumen. Die
Klimakrise verlangt von uns entschiedenes Handeln, hier und jetzt, und die
Kirche ist voll dabei, ihren Teil beizutragen.“ – Ich gebe zu, dass ich
persönlich oft nachlässig bin. Ich neige nicht zum „Öko-Fundi“, aber ich will
künftig mehr Schöpfungsverantwortung zeigen: beim Einkaufen, bei Urlauben, in
der gesamten Lebensführung und an der Wahlurne. 19.05.2019 „Evangelisieren“ ist fast
ein kirchliches Modewort geworden. Manche denken dabei an bessere
Glaubensinformation, mehr Katechesen, mehr religiöse Events. Das alles ist
wichtig. Aber vielleicht ist von uns, denen das Evangelium am Herzen liegt,
viel Alltäglicheres verlangt. Papst Franziskus, der oft von Evangelisierung
spricht, hat die Frage, was er darunter verstehe, in einer Predigt
(10.09.2016) so beantwortet: „Hingehen und das Leben der anderen teilen, sie
begleiten, sie auf dem Glaubensweg begleiten, sie auf dem Glaubensweg wachsen
lassen." Das klingt nach Mitmensch-Sein, Alltag und Geduld. Einem
eifrigen Jugendlichen, der beim Weltjugendtag in Krakau wissen wollte, was er
seinem atheistischen Freund nun sagen solle, damit dieser gläubig würde,
antwortete Franziskus: „Gar nichts sagen, sondern handeln! Evangelisieren
heißt nicht, an die Tür des Nachbarn zu klopfen und zu sagen: Christus ist
auferstanden! – Evangelisieren heißt, den Glauben zu leben, erst später in
Milde über ihn zu sprechen, ohne das Verlangen, irgendeinen zu überreden."
Was bewegt heute
Menschen, sich mit Evangelium und Christentum auseinanderzusetzen? „So
schlecht ist eure Botschaft ja nicht“, sagte mir kürzlich eine skeptische
junge Frau, „aber wo wird sie gelebt?“ Eine andere Frau begründete mir ihre
Sympathie zur Kirche so: „Ich habe in meinem Leben viel erlitten. Aber wenn
ich von der Kirche etwas gebraucht habe, bin ich immer gut behandelt worden.“
So alltäglich kann Evangelium passieren. 07.04.2019 Warum nennen wir die
Kirche im Glaubensbekenntnis „heilig“? Sicher behaupten wir damit nicht,
unsere geistlichen Hirten und wir Kirchenmenschen seien stets moralisch
einwandfrei. Das wäre blanker Hochmut! „Auch in unserer Zeit weiß die Kirche,
wie groß der Abstand ist zwischen der von ihr verkündeten Botschaft und der
menschlichen Armseligkeit derer, denen das Evangelium anvertraut ist.“ So hat
es das Zweite Vatikanum formuliert (Gaudium et spes
43). Ich nenne die Kirche
„heilig“, weil sie ihr Leben Jesus Christus verdankt und weil er ihre
eigentliche Mitte ist. Sein Heiliger Geist sorgt dafür, dass trotz
menschlichen Versagens in der Kirche das Licht des Evangeliums nie ganz
erlischt; dass in den Sakramenten, von fehlerhaften Menschen gefeiert, auch
heute Christus lebt und wirkt; dass es neben einigen korrupten und vielen
„durchschnittlichen“ Kirchenleuten immer wieder Männer und Frauen gibt, die
ihr Christ-Sein ganz ernst nehmen und zu großherziger Liebe fähig sind. Ich
entdecke gerade im „einfachen“ Kirchenvolk so viel Glaube, Hoffnung und
Nächstenliebe! An diesen Demütigen richte ich mich oft geistig auf. Sie
zeigen mir, dass Gott seine Freude an der Kirche nicht verloren hat. Einer
von ihnen hat mir einmal gesagt: „Der Weinskandal hat uns geholfen, dass
unser steirischer Wein heute Topqualität hat. Möge der Macht- und Sex-Skandal
der Kirche helfen, dass sie christlicher wird.“ Der Mut zu tiefgreifender (!)
Reform fehlt oft noch. Aber die Chance ist da. Auch deshalb nenne ich die
Kirche heilig. 24.02.2019 Zu oft und zu schnell
gab die Kirchen-Führung dem „Zeitgeist“ oder dem „lauen Kirchenvolk“ die
Schuld, wenn sie die „Entchristlichung“ der Gesellschaft und die leerer
werdenden Kirchenbänke beklagte. Nur selten hörte man ein Wort der
Selbstkritik. Auch maßvolle Reformwünsche von „unten“ wurden abgeblockt,
„lästige“ Kritiker abgewimmelt, Beschwerden bagatellisiert. Erst das massive nicht
enden wollende Auffliegen von sexuellen und anderen Macht-Missgriffen bringt
jetzt Bewegung in die Mauer der Bischöfe und Kardinäle. „Konservative“ und
„Progressive“ unter ihnen beginnen laut nachzudenken und fragen ernsthaft:
Bedarf hierarchische Macht nicht doch stärkerer Kontrolle? Wäre es nicht Zeit
für ein ernstgemeintes Miteinander auf dem Weg zu Entscheidungen? Geschieht
Frauen, darunter auch Ordensfrauen, nicht erhebliches Unrecht, wenn letztlich
nur das Wort geweihter Männer zählt? Behindert die Art, wie innerkirchlich
mit Sexualität umgegangen wird, nicht doch bei vielen eine gesunde
menschliche Reifung? Handelt kirchliche Personalpolitik nicht oft grob
fahrlässig? Wird Erstarrtes zu leichtfertig als „gottgewollt“ hingestellt? Bischöfen, die sich vor
solchen Fragen nicht drücken, gebührt Respekt. Ich persönlich glaube, dass
die gegenwärtige Kirchenkrise – wohl die schwerste seit der Reformation –
auch eine große Chance ist. Gerade weil die Kirche jetzt niemandem mehr etwas
vormachen kann, ist es leichter für sie, wieder wahrhaftiger zu werden,
demütiger – und damit auch glaubwürdiger. 13.01.2019 Es ist Ballsaison. Ich selbst
bin zwar Ballmuffel, aber freue mich, wenn Menschen gerne auf Bälle gehen,
tanzen, fröhlich sind, Spaß haben. Auch ich habe ja meine Vergnügungen.
Andere halt. Ein Bekannter meinte, ich ginge vielleicht deshalb nicht auf
Bälle, weil ich das angesichts des großen Leides in der Welt unmoralisch
fände. Aber da irrte er. Freilich berühren mich Naturkatastrophen, Skandale
in Politik und Kirche, auch manches Leid in meiner Nähe. Und ich verstehe die
Frage, die Benedikt XVI. in einer Rede bei einem Fest in Castel Gandolfo (3.
8. 2012) gestellt hat: „Darf man sich eigentlich freuen, wenn die Welt so
voller Leid ist, wenn es so viel Dunkles und Böses gibt. Ist es dann erlaubt,
so übermütig und fröhlich zu sein?“ Und er fuhr fort: „Die Antwort kann nur
lauten: Ja! Denn mit dem Nein zur Freude dienen wir niemand, machen wir die
Welt nur dunkler. Wer sich selbst nicht mag, kann auch dem anderen nichts
geben und ihm nicht helfen. Wir wissen es aus dem Glauben und wir sehen es
jeden Tag: die Welt ist schön und Gott ist gut. Dadurch, dass er als Mensch
unter uns hereingetreten ist und mit uns leidet und liebt, wissen wir es
endgültig und handgreiflich. Gott ist gut und es ist gut, ein Mensch zu sein.
Wir leben aus dieser Freude und aus dieser Freude heraus versuchen wir auch,
anderen Freude zu bringen und Diener des Friedens und der Versöhnung zu
sein.“ Benedikt hat mich mit dieser Rede überzeugt – theologisch und
menschlich. Viel Lebensfreude Ihnen allen! 25.11.2018 Am Kapitolinischen Hügel
in Rom gibt es eine Kirche, die dem heiligen Homobonus geweiht ist. Homobonus
heißt wörtlich „Gutmensch“. Wer war dieser Mann? Er lebte im 12. Jahrhundert
in Cremona als tüchtiger Bürger, Kaufmann, Ehemann, Vater – und Christ. Das
Vorbild Jesu bewegte ihn, Bedürftigen gegenüber besonders großzügig und
sanftmütig zu sein. Das war nicht leicht, denn Armut ist nicht immer „brav“.
Homobonus wusste: Wer beim Gutes-Tun nie „draufzahlen“ will, versteht weder
das Leben noch das Christsein noch Gott. Unlängst las ich
irgendwo: „Wenn es dir besser geht als anderen, mache deinen Tisch länger und
nicht deine Zäune höher!“ Das ist die Haltung, aus der Homobonus, der
„Gutmensch“ aus Cremona lebte (Gedenktag: 13. November). Das war auch die
Haltung jener Gutmenschen, die wir um Weihnachten gerne als Heilige feiern:
Martin, Elisabeth, Nikolaus, Maria – und besonders Jesus selbst, „der
umherzog und Gutes tat“ (Apg 10,38). Und es gibt sie bis
heute, diese Gutmenschen! Papst Franziskus nennt sie die „Heiligen von
nebenan“. Tag für Tag tun sie ganz selbstverständlich Gutes – ihren Nachbarn,
Freunden, aber auch Fremden und Unbekannten. Denn sie haben ein Herz für alle
„armen Teufel“, auch für solche, „die noch nichts in das System eingezahlt
haben“. Es macht mich traurig und zunehmend zornig, wenn Politiker, leider
auch sogenannte „christliche“, immer ungenierter das Wort „Gutmensch“ als
Schimpfwort verwenden. Angst, Neid und Geiz als Wahlhelfer? Wer so handelt,
zerstört die Werte, die er vorgibt zu verteidigen. Mein Wunsch ans Christkind
heuer: Mehr Gutmenschen, bitte! 14.10.2018 Frau M. liebt die
Kirche. Es tut ihr weh, wenn Medien über kirchliche Missbrauchsskandale
berichten. „Ich will das nicht mehr hören“, sagt sie und hofft, dass „alles
bald vorbei ist“. Ich verstehe sie. Auch ich hege manchmal solche Gedanken.
Vor allem weiß ich, dass sich viele Priester, die ich als gute, menschlich
reife Seelsorger kenne, mitbeschmutzt vorkommen. Wie kommen sie dazu! Und die
Täter? Sind nicht auch sie oft Opfer eines krankmachenden Systems? Anderseits: Eine Kirche,
die sich auf Jesus beruft, darf eine so große moralische Katastrophe im
eigenen Haus nicht ignorieren, relativieren, bagatellisieren. Zu viele
Menschen wurden verwundet, ja zerstört – und vergessen! Sie muss sich fragen
(lassen): Was ist da geschehen? Wie geht es den Opfern? Warum ist das
geschehen? Welche Gefahren birgt das „System Kirche“? Wie lassen sich
sexueller Missbrauch, Macht- und Gewissensmissbrauch verhindern? Österreichs Kirche hat
seit der „Causa Groer“ schon einige gute Schritte gesetzt. Anderswo beginnt
man erst, ins Dunkel zu leuchten. Das Problem ist leider weltweit da. Der
Papst hat es nicht leicht. Er muss, sagt Matthias Katsch (Theologe und selbst
Opfer!), „die Frösche dazu bewegen, bei der Trockenlegung des Sumpfes
mitzuwirken“. Dass einige nun die Krise nützen, um gerade diesen Papst
loszuwerden, findet Katsch absurd: „Der Papst hat bewiesen, dass er aus
Fehlern zu lernen bereit und imstande ist. Nicht selbstverständlich für einen
81-Jährigen.“ Das lässt Katsch hoffen. Mich auch. 02.09.2018 Viktoria war neun, als
sie 1992 mit ihrer Familie aus Russland nach Deutschland auswanderte. Zur
„Erstaufnahme“ ging es an die Ostsee. Ein katholische Gemeinde lud die
Fremden ein – auch zur Messe. „Wir waren in der
Kirche“, erzählt Viktoria später, „es war Abend, das Licht schummrig. Ich
konnte noch nicht Deutsch. Irgendwann kam das Zeichen, an den Altar zu
kommen. Wir stellten uns um den Altar. Dann ging der Pfarrer umher und gab
jedem ein Stück Brot. Ich dachte, wie wunderbar das ist, dass ich jetzt von
jemandem Fremden etwas zu essen bekomme. In diesem Moment habe ich die
Entscheidung getroffen: Ich will mit dem, der mir das gibt, eine Beziehung
eingehen. Und ich meinte nicht den Pfarrer, sondern Jesus.“ Viktoria war damals noch ungetauft und ohne
religiöses Wissen. Sie hätte nicht kommunizieren dürfen, wusste das aber
nicht. Bald zog die Familie in eine andere Gegend. Viktoria wurde dort
evangelisch getauft. Mit der katholischen Kirche hatte sie kaum noch Kontakt.
Aber die Messe damals als Kind war ihr Schlüsselerlebnis mit Gott. Heute ist
sie eine moderne, sozial engagierte Frau – und überzeugte Christin! Damit kein
Missverständnis entsteht: Ich bin für Ordnung in puncto Kirche und
Sakramente. Aber zugleich freut es mich, dass Gott auch immer wieder
„unordentliche“ Wege wählt, um Menschen zu berühren. Durch Sakramente oder
ohne sie. Denn „er selbst ist nicht an seine Sakramente gebunden", wie
der Katechismus sagt (KKK 1257). Gott geschieht – oft erfrischend irregulär. 22.07.2018 Was wäre das Christentum
ohne Frauen? Zwei ragen von Anfang an besonders hervor: Maria, die Mutter
Jesu, und Maria von Magdala, die Jüngerin und erste Zeugin des
Auferstandenen. Beide wurden als „neue Eva“ bezeichnet. Die Mutter
signalisiert den Anfang des irdischen Lebens Jesu, die Jüngerin den Anfang
der jungen Kirche nach Ostern. Papst Franziskus erhob 2016 den Gedenktag
Maria Magdalenas (22. Juli) in den Rang eines Festes und stellte so die
„Apostelin der Apostel“ den männlichen Aposteln liturgisch gleich. Ein Wink
des Heiligen Geistes, über Frau und Kirche neu nachzudenken? Johannes Paul II. hat
1994 mit hoher Lehrautorität erklärt, das klassische Priesteramt könne Frauen
nicht anvertraut werden. Aber die Diskussion über (alte und neue) kirchliche
Ämter, die auch Frauen offenstehen sollten, ging und geht weiter. Die Glaubwürdigkeit
der Kirche hängt heute stärker denn je davon ab, welchen Platz Frauen in der
Kirche haben. Das
Vorbereitungsdokument für die Amazonas-Synode (2019) erkennt die Bedeutung
der Frauen und sagt, angesichts der großen pastoralen Kompetenz vieler Frauen
müsse die Synode auch nachdenken, „welche Art von offiziellem Amt der Frau
übertragen werden kann". Vorschläge für mögliche „Dienste und Ämter mit
amazonischem Profil" sind erbeten. Auch das einfache Volk ist gefragt.
Bin gespannt, was die Bischöfe Amazoniens daraus entwickeln. Vielleicht gehen
sie ihren Kollegen in aller Welt mutig voran. Es wäre Zeit für nächste
Schritte. 10.06.2018. Viele werden da
zustimmen: Das bestehende Kirchenrecht behindert die Seelsorge oft mehr, als
es sie fördert. Weil es von Voraussetzungen ausgeht, die es nicht mehr gibt.
Ähnliches gilt für manch kirchlichen Aktivismus, der viel Gutes „für die
Menschen und die Gesellschaft“ tun will, mit dem Ziel, auf diese Weise der
„Kirche“ (der Pfarre, der Einrichtung, der Bewegung) wieder Ansehen und
Zuwachs zu verschaffen. Nur, es klappt nicht mehr so recht. „Man riecht die
Absicht, und das wirkt unsympathisch!“, meinte kürzlich eine liebe, kritische
Freundin. Bischof Stecher sagte einmal: „Wer glänzen will, leuchtet nicht.“ In ihrem Zukunftsbild –
zu-mindest im Kernteil! – wagt die Katholische
Kirche Steiermark einen anderen Weg: „Wir gehen vom Leben der Menschen aus“,
steht dort. Das heißt: Nicht Sorgen um die Kirche, ihr Fortbestehen und ihr
Image treiben uns an, sondern „Achtsamkeit“, „Ehrfurcht“, „Respekt“ für
unsere Mitmenschen, für die Buntheit ihres Lebens. „Wir entdecken Gottes
Wirken in den Anderen“, teilen Erfahrungen, lernen voneinander. Und daher –
so der Papst – gehören die Armen „in den Mittelpunkt [!] des Weges der
Kirche“. Sie bringen uns wenig Ansehen, nötigen uns aber zu Demut,
Realitätssinn, Risiko, Flexibilität … Offensichtlich können wir gerade
durch sie und von ihnen viel lernen – über Gott, Evangelium, Menschsein … Haben wir den Mut zu
diesem Weg? Vielleicht schenkt Gott einer geläuterten Kirche dann auch wieder
das, was man „bessere Zeiten“ nennt. Aber die Zukunft sät er, nicht wir. 29.04.2018.
In Einzelfällen dürfen
Evangelische zur katholischen Kommunion gehen, meint die Mehrheit der deutschen
Bischöfe. (Es geht konkret um „Mischehen“.) Sieben Bischöfe finden das
unverantwortlich. Sie wollen ein Urteil aus Rom. Ob Franziskus ihnen die
Verantwortung abnimmt? Ich frage mich eher: Ist
es noch verantwortlich, Getauften, die an die wahre Gegenwart Christi in der
Eucharistie glauben und sie in rechter Absicht empfangen wollen, die
Kommunion zu verweigern? Ich denke da an lutherische Gläubige, die bekennen:
„Das Altarssakrament ist der wahre Leib und das Blut unsers Herrn Jesus
Christus“ (Martin Luther), aber auch an Reformierte, die (wie Roger Schutz)
diesen Glauben teilen. Müssen sie auch alle Details mitvollziehen, wie nach
katholischer Lehre diese Gegenwart Christi „zustande kommt“? Gibt es da nicht
auch zwischen Rom und den Ostkirchen Differenzen (Wandlungsworte oder
Epiklese)? Und doch wird Ostkirchen-Angehörigen im Einzelfall die katholische
Kommunion gegeben. Und wenn katholische
Gläubige zum Abendmahl gehen wollen? – Unsere Kirche sagt: Nein! Den
Evangelischen fehlt die priesterliche „Wandlungsvollmacht“! – Andererseits
sagt Kardinal Ratzinger (1993): Die katholische Lehre „muss keineswegs eine
Heil schaffende Gegenwart des Herrn im lutherischen Abendmahl leugnen“.
Christus ist wohl auch hier heilsam präsent! Achtsamkeit ist gut,
Angst blockiert. Vielleicht schützen wir Christus und seine Sakramente zu
sehr vor den Menschen. Er wollte und will sich hingeben … 18.03.2018.
Ohne
Zweifel, die Kirche verliert in unseren Breiten an Macht und Einfluss. Wer
Kinder und Enkelkinder hat, erlebt das hautnah in der Familie. Die Zeiten
sind vorbei, in denen die Kirche die Herzen und Gewissen der Menschen so
„beherrschte“, dass diese (mehr oder wenig freiwillig) Kirchenbänke und
Beichtstühle, kirchliche Gruppen und Veranstaltungen, Priesterseminare und
Ordenshäuser füllten. Viele
Kirchentreue trauern dem nach, oft resignierend. Manche wollen in die „große
Zeit“ zurück – mit altem Ritus und Andachtsformen des 19./20. Jahrhunderts.
Einige immunisieren sich in „frommen“ Gruppen gegen die „ungläubige“ Welt.
Andere träumen von einem „Comeback“ durch religiösen Eifer und neues
„Marketing“. Was
aber, wenn Gott selbst will, dass seine Kirche an Macht verliert?! Wenn er
sagt: Ich will jetzt eine bescheidene Kirche! Ich will keine Kirche mehr, die
nach Macht und großen Zahlen schielt; keine Kirche, die sich moralisch
überlegen fühlt und Menschen vereinnahmt. Ich will eine demütige Kirche, die
achtsam auf Menschen zugeht – und den Mut hat, das Evangelium wieder neu zu
entdecken. Das
Reich Gottes ist weit größer als die Organisation Kirche, und mein Geist
wirkt auch in Menschen, mit denen ihr nicht rechnet, und an Orten, die euch
„anders“ und fremd vorkommen. Merkt ihr es nicht, das Gute, das ich wachsen
lasse?! Könnten
das Gottes Gedanken sein? Ich persönlich werde den „Verdacht“ nicht los, dass
Gott so etwas im Schilde führt. Eigentlich österlich (vgl. Johannes 21,4). 04.02.2018
„Ich
bin felsenfest überzeugter Atheist!“ Eindringlich, fast missionarisch
bekräftigt der beliebte Kabarettist Robert Palfrader („Wir sind Kaiser“) in
einem ORF-Gespräch mit Clarissa Stadler sein Nein zu jeder Form von Religion
und Spiritualität: „Ich kann und will das nicht glauben!“ In seinem
Soloprogramm „Allein“ möchte er zeigen, wie absurd der Glaube an Gott und an
den freien Willen sei. Dafür ließ er sogar sein Genmaterial untersuchen. Auf
die Frage Stadlers, woran er dann glaube, sagt er: „An nichts – und dass
eigentlich alles wurscht ist, sinnlos.“ Man
fragt sich, was Palfrader antreibt, so heftig gegen Religion zu kämpfen und
diesem Thema ein ganzes Kabarettprogramm zu widmen. Die Antwort blitzt kurz
im Gespräch auf – sehr bitter: „Ich bin fünf Jahre in ein
römisch-katholisches Privatgymnasium gegangen, und man hat mir dort Wunden in
die Seele geschlagen, die bis heute nicht verheilt sind.“ Nun,
wir wissen: Katholische Schulen leisten viel Gutes. Ehemalige Schülerinnen
und Schüler schätzen das. Aber es gibt auch die „Palfraders“
und ihre Erfahrungen. Christliche
Pädagogik hat große Verantwortung. Sie spricht gern vom „christlichen
Menschenbild“. Schlimm, wenn sie dann in einer kleinlichen Moral mit ihren
Zwängen und Ängsten stecken bleibt. Aber gut, wenn sie Jugendlichen die
Chance gibt, Menschen zu begegnen, die Gott, das Leben und die Freiheit
lieben und die fähig sind zu Vertrauen, Verantwortung und Solidarität!
Solchen reifen Menschen gilt heute mein Dank. 17.12.2017
Auf einem Pastoral-Kongress 2013 in Prag erzählte der
Salesianer-Theologe Karl Bopp folgende Begebenheit: Im Innsbrucker Bahnhofsviertel feiert eine Gruppe heilige Messe. Die
Feier ist schon im Gange, als eine Frau – sie ist als Prostituierte erkennbar
– den Raum betritt. Leicht alkoholisiert ruft sie dem Priester zu: „Bekomme
ich da auch etwas?“ Mit „etwas“ meint sie offensichtlich die Eucharistie.
Irritiert sagt der Priester nach einigem Zögern: „Ja, schon.“ Insgeheim betet
er, die Frau möge vor der Kommunion wieder gehen. Aber sie bleibt. Sie kommt
zur Kommunion, empfängt die konsekrierte Hostie, teilt sie, isst eine Hälfte
und steckt die andere in ihre Tasche. Dann verlässt sie den Raum. Die
Gemeinde ist verstört. Später erfährt der Priester: Die
Frau ging mit der geteilten Hostie schnurstracks zum Bahnhof in die
Bahnhofsmission, wo eine Ordensfrau, die ihr öfter geholfen hatte, Dienst
tat. Behutsam holte sie dort die halbe Hostie aus der Tasche und gab sie der
Schwester: „Schau, was ich dir mitgebracht habe, du isst das doch so gerne!“ Ich bekam Gänsehaut, als Bopp das erzählte. Dogmatische Einwände
wichen rasch dem Gespür: Gott geht seine Wege! Und Menschen, die gemeinhin
als „unwürdig“ gelten, sind Jesus oft näher, als wir ahnen. Sind sie Gottes
Überraschungen für uns? Im Zukunftsbild unserer Diözese steht: „Wir vertrauen auf die
Gegenwart Gottes in jedem Menschen und bringen jeder einzelnen
Lebensgeschichte Ehrfurcht und Respekt entgegen.“ Ich gratuliere zu diesem
Mut! 05.11.2017. Papst Franziskus – ein Irrlehrer? Die meisten Menschen
sind dem Papst dankbar, dass er wiederverheirateten Geschiedenen und anderen
in „irregulären“ Situationen Lebenden behutsam das Tor zu den Sakramenten
geöffnet hat. „62 Priester und katholische Gelehrte aus 20 Nationen“ werfen
ihm nun öffentlich „Verbreitung von Irrlehren“ vor. Die innerkirchliche
Diskussion spitzt sich auf die Frage zu: Darf die Kirche moralische
Standpunkte ändern? Kann etwas, was früher verboten war, jetzt erlaubt sein
und umgekehrt? – Ich denke, Kirche darf lernen und hat oft gelernt. Lange
hielt sie Sklaverei für moralisch vertretbar, auch Folter, körperliche
Züchtigung, die Herrschaft des Mannes über die Frau usw. Heute sagt sie nein
dazu. Auch ihre Ehe-Lehre wandelte sich. Jesus sprach von Ehe und Ehebruch,
aber noch nicht darüber, was eine Ehe gültig macht, wann sie annulliert oder
sogar trotz Gültigkeit getrennt werden kann, welche Situation von der
Kommunion ausschließt usw. Erst spätere Kirchenpraxis versuchte, Jesu
Anliegen in die jeweilige Zeit zu „übersetzen“ – pastoral und juridisch. Es
gab immer Seelsorger, die Menschen in komplexen Situationen begleiteten, und
Fälle, in denen jemand mit seiner Gewissensentscheidung allein vor Gott
stand. Details ändern sich, das Herz der Moral bleibt: „Du sollst Gott lieben
mit ganzem Herzen…und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Daran – so Jesus –
„hängt das ganze Gesetz und die Propheten“. Zu beliebig? – Wer zur Liebe fähig ist, behaupte ich, kann
Liebe von Beliebigkeit unterscheiden. 24.09.2017. Böse Religion? „Bad Religion“ ist nicht
nur der Name einer Band. Religion kann tatsächlich böse sein und
Schreckliches anrichten. Rasch denkt man an Islamisten, die „im Namen Gottes“
Bomben zünden. Aber auch Christen haben „im Namen Gottes“ Ungeheures
verbrochen. Ich denke da nicht nur an Kreuzzüge und Glaubenskriege, sondern
auch an bigotte Grausamkeiten des Alltags. Eher zufällig begegnete ich im
Sommer durch Schmökern in alten Unterlagen den Lebensschicksalen
unverheirateter Mütter, unehelich geborener Kinder, Andersgläubiger,
gleichgeschlechtlich Fühlender … Wie schwer hatten es doch diese Menschen
noch vor einigen Jahrzehnten – mitten in christlicher Umgebung! Und es gibt
sie auch heute noch: unerleuchtete „Hirten“, die „den Menschen schwere Lasten
aufbürden“ (Mt 23,4). Verständlich, wenn da die Frage auftaucht: Wäre eine
Welt ohne Religion nicht glücklicher? Während ich so
nachdenke, kommt ein Mail – im Anhang ein Zitat: „Dem Kosmos und der Natur
ist der einzelne Mensch gleichgültig … Nur die Religion versichert ihm, dass
da ein Gott sei, der möchte, dass es ihn gibt, der bei ihm ist in den Stunden
der Einsamkeit und dessen Güte die Sinnlosigkeit und die Schuld aus seinem
Leben nimmt.“ Ein Wort von Eugen Drewermann, der 2005 zornig aus der Kirche
austrat, aber dem diese Botschaft wichtig blieb. Ja, Religion kann
grausam werden und „Gott“ verzerren. Da gilt es, wachsam zu sein. Aber sie –
und nur sie! – kann auch das schönste, zutiefst heilsame Wort schenken: Gott
will, dass es dich gibt! 06.08.2017
„Ehe-Krise“ Wird der Staat gleichgeschlechtliche
Beziehungen als „Ehen“ anerkennen? (In vielen Ländern, auch traditionell
katholischen, tut er es schon.) Wenn ja, bedeutet das nicht das Ende der
Welt, auch nicht das Ende des Ehesakraments. Schon bisher sind viele
standesamtliche Ehen keine Ehen im Sinne der Kirche. Staat und Kirche haben
gelernt, religiöse und staatliche Gesetze auseinanderzuhalten. Ich persönlich
meine: Aufgabe der Kirche ist es nicht, unbedingt die „Homo-Ehe“ zu
verhindern. Sie soll vielmehr positiv aufzeigen, wie Ehen und Familien
gelingen können. Eine ganz andere Frage
ist, ob gleichgeschlechtliche Paare auch einen Segen der Kirche erhalten
können. Ein Segen ist noch kein Sakrament. Aber, so fragen Besorgte, verwirft
die Bibel nicht Homosexualität überhaupt? Nach genauem Studium der dabei
zitierten Verse sagen immer mehr Theologen und Theologinnen: Was da verworfen
wird (Vergewaltigung eines Mannes durch einen Mann, Päderastie, blinde Sexgier usw.), hat wenig mit dem zu tun, was
„gleichgeschlechtliche Liebe“ meint. Möglich, dass die Kirche als ganze hier
noch viel lernen muss, auch im Gespräch mit betroffenen Gläubigen. Jesus
selbst hat zu diesem Thema nichts gesagt. Er hat „nur“ seinen Heiligen Geist
versprochen. Den werden wir brauchen. Nicht nur in dieser Frage. 02.07.2017. Keine heilige Kuh Sie hatte eine Greißlerei, wie es sie in den Fünfziger- und
Sechzigerjahren in jedem Dorf gab. Frau M. war keine „Betschwester“, aber der
Glaube war ihr wichtig. Sie ging sonntags in die Kirche und einmal im Monat
zur Kommunion. Damals galt noch das strenge „Nüchternheitsgebot“: Wer
kommunizieren wollte, durfte ab Mitternacht nichts essen und nichts trinken.
Frau M. trank jeden Morgen ihren Kaffee, sonntags aus einer schönen Tasse.
Auch dann – und das war das Ungehörige! –
wenn sie zur Kommunion ging. Als der Pfarrer das erfuhr, war er
irritiert. Er musste der frommen Frau sagen, dass sie eine Norm missachtete:
„Sie dürfen nicht zur Kommunion gehen, wenn sie vorher Kaffee getrunken
haben! Das ist ein ernstes Hindernis!“ Frau M. sah ihren Pfarrer gütig an und
antwortete ruhig und bestimmt: „Herr Pfarrer, der Heiland ist über den See
Gennesaret gegangen. Sie glauben doch nicht, dass ihn eine Tasse Kaffee
aufhalten könnte, zu mir zu kommen.“ Die Kirche hat diese Norm inzwischen geändert. „Das oberste Gesetz
der Kirche ist das Heil der Seelen.“ (Can 1752) Kirchengebote haben den Sinn,
Menschen zu Gott zu führen. Erschweren sie das, gehören sie geändert. In der ganzen katholischen
Welt spricht man derzeit von Kirchenreform. Gehören da nicht auch einige
kirchrechtliche Normen mutig hinterfragt: Helfen sie den Menschen, das
Evangelium freudiger zu leben? Erleichtern sie Seelsorge? Oder verhindern sie
Gutes? Ich meine: Man tut dem Kirchenrecht sehr unrecht, wenn man es für
eine heilige Kuh hält. 21.05.2017. Unfassbar christlich Das brachte den
ägyptischen Starmoderator Amr Adeeb aus der
Fassung. Die Witwe eines jener koptischen Christen, die am Palmsonntag von
IS-Terroristen ermordet wurden, wandte sich in Adeebs
TV-Sendung direkt an den Mörder. Weinend sagte sie: „Gott möge dir vergeben.
Wir vergeben dir auch.“ Und: „Ich bin nicht böse auf dich. Aber denke nach,
denke nach, dann merkst du, dass wir dir nichts Böses getan haben... Du hast
meinen Mann an einen Ort versetzt, von dem ich nicht einmal träumen kann.
Glaub mir, ich bin stolz auf ihn! Und ich wünschte, ich wäre jetzt bei ihm.“
Totale Betroffenheit beim Moderator. Einige Sekunden Stille. Dann brach es
aus ihm heraus: „Wie unglaublich gross ist die
Vergebung, die ihr habt! Wenn eure Feinde wüssten, wie viel
Vergebungsbereitschaft ihr habt, sie würden es nicht glauben.“ Wäre das Opfer
sein Vater gewesen, er, der Moderator, hätte nicht so vergeben können.
„Aber“, so fuhr er fort, die ägyptischen Christen „haben so viel
Vergebungsbereitschaft!“ Ein befreundeter Kopte
in Graz hat mich auf den Video-Mitschnitt aus dieser Sendung aufmerksam
gemacht (auf www.life.de). Es gibt sie also wirklich: Menschen, die inmitten
von religiöser Verblendung, Hass und Terror, deren Opfer sie sind, nicht nach
Gegengewalt rufen, sondern konsequent die Bergpredigt leben. Unfassbar
wirklich. Unfassbar christlich. Ich bin tief berührt, auch beschämt – und
dankbar für dieses Zeugnis. Ja, so wird Jesus das mit der Feindesliebe
gemeint haben. Zurück zur Startseite von Karl Veitschegger Zurück zum Menü „Artikel, Referate,
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Karl
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