Karl Veitschegger

 

Kreuzweg – Geschichte, Bedeutung, Texte


 

Ursprung Jerusalem

In den meisten katholischen Kirchen sind an den Seitenwänden gut sichtbar 14 Kreuzwegbilder angebracht. Mehr oder weniger kunstvoll stellen sie einzelne Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu dar, angefangen von der Verurteilung durch Pilatus bis zur Grablegung. Während der Kreuzwegandacht gehen Gläubige einzeln oder in Gruppen durch die Kirche und bleiben vor jedem Bild stehen, sie machen „Station“, wie man sagt, und betrachten jede Szene im Gebet. Heute findet man die Bilder oder „Stationen“ oft eng nebeneinander gehängt. Manchmal wird der Kreuzweg überhaupt nur in der Kirchenbank sitzend oder kniend gebetet. Das war nicht immer so. Seinen Ursprung hat der Kreuzweg im religiösen Leben der Christen und Christinnen in Jerusalem. Diese machten sich schon im Altertum immer wieder auf den Weg, um betend und singend die Orte des Leidens und Sterbens ihres Herrn nachzugehen.

 

14 Stationen

An diesen Prozessionen nahmen auch viele Pilger und Pilgerinnen aus dem Abendland teil. Später baute man für jene Gläubigen, die nicht ins Heilige Land pilgern konnten, Kalvarienberge in ihrer Heimat oder richtete – gleichsam als Miniaturausgabe – Kreuzwegstationen in den Kirchen ein. Inhalt und Zahl der Stationen variierten im Lauf der Geschichte. Die heute üblichen 14 Stationen verdanken wir dem spanischen Franziskanermönch Antonius Daza (17. Jh.). Weltweite Verbreitung erlangte diese Form des Kreuzweges durch den hl. Leonhard v. Porto Maurizio (1676–1751), ebenfalls Franziskanermönch und eifriger Volksmissionar in Italien. Dieser begeisternde Barockprediger soll selbst 576 Kreuzwege errichtet haben!

 

Heilsamer Störfaktor?

Ist der Kreuzweg noch modern? Tun seine Bilder des Leidens nicht unnütz weh? Oder ist er gerade heute, wo uns von allen Plakatwänden riesige Bilder eine Welt voller Lust und Schönheit vorgaukeln, in der Leid, Schuld und Tod verdrängt werden, ein wichtiger „Störfaktor“? Kreuz und Kreuzwegbilder zeigen uns auf alle Fälle die andere, die dunkle Seite des Menschseins. Und sie zeigen uns jenen Gott, der freiwillig mit uns auch ins Dunkel und durch das Dunkel geht – bis es licht wird. So lassen moderne Künstler den Kreuzweg manchmal in eine 15. Station, in ein Osterbild münden: „Jesus ist auferstanden“. Gott kann aus jedem Karfreitag einen Ostersonntag blühen lassen. Dieser Glaube trägt auch heute.

 

Beitrag in „Neues vom Graben“ 1/2002

 

Karl Veitschegger

 

 

Die Kreuzweg-Stationen
mit Bibelworten und Gebetstexten zur Betrachtung

 

1. Station:

Jesus wird zum Tode verurteilt

„Pilatus ließ, um die Menge zufriedenzustellen, Barabbas frei. Jesus lieferte er, nachdem er ihn hatte geißeln lassen, zur Kreuzigung aus." (Markus 15,15)

Wir denken an alle Menschen, die verleumdet, verurteilt, abgeschrieben, ausgegrenzt werden ...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

2. Station:

Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

„Er selbst trug das Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgota heißt." (Johannes 19,17)

 

Wir denken an unsere Brüder und Schwestern, die um des Glaubens willen verfolgt werden, und an alle Menschen, die in ihrem Leben schwere Lasten tragen müssen: Krankheit, Behinderung, schwierige Familiensituation, Folgen sexueller Gewalt, Arbeitslosigkeit, Konflikte am Arbeitsplatz ...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

3. Station:

Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

„Als ich hinkte, verhöhnten sie mich als Krüppel, knirschten gegen mich mit den Zähnen.“ (Psalm 35,16)

 

Wir denken an die Menschen, die in ihrem Leben eine Niederlage erlitten haben und sich dafür schämen ...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

4. Station:
Jesus begegnet seiner Mutter

Die Worte des alten Simeon an Maria beginnen wahr zu werden: „Siehe, … er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird, und deine Seele wird ein Schwert durchdringen.“ (Lukas 2,34-35)

 

Wir denken an alle, die zuschauen müssen, wie ein von ihnen geliebter Mensch ein schweres Schicksal erleidet ...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

5. Station:

Simon hilft Jesus das Kreuz tragen

„Einen Mann, der gerade vom Feld kam, Simon von Zyrene, den Vater des Alexander und des Rufus, zwangen sie, sein Kreuz zu tragen." (Markus 15,21)

 

Wir denken an alle, die wie Simon anderen mehr oder wenig freiwillig Hilfe leisten..., vor allem auch an die, die Sterbenden zur Seite gestellt sind.

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

6. Station:

Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

„Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen." (Matthäus 5,7-8)

 

Wir denken an alle, die vor der Not des Nächsten nicht davonlaufen, sondern ihm mit dem, was sie gerade haben, helfen - und so (wie Veronika in der Legende) das Angesicht Gottes finden ...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

7. Station:

Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

„Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet. Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf." (Psalm 22,7-8)

 

Wir denken an alle, denen nichts heilig zu sein scheint, und an die Spötter, die sich an den Schwächen anderer weiden...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

8. Station:

Jesus begegnet den weinenden Frauen

„Es folgte eine große Menge des Volkes, darunter auch Frauen, die um ihn klagten und weinten. Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte: Töchter Jerusalems, weint nicht über mich; weint vielmehr über euch und eure Kinder!" (Lukas 22,27-28)

 

Wir denken an alle Kinder, Frauen und Männer, die in einem Land leben müssen, das unter Krieg und Terror leidet ...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

9. Station:

Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

„Vor all meinen Bedrängern wurde ich zum Spott, zum Spott sogar für meine Nachbarn. Meinen Freunden wurde ich zum Schrecken, wer mich auf der Straße sieht, der flieht vor mir.“ (Psalm 31,12)

 

Wir denken an alle, die niedergedrückt sind und sich von Verwandten, Nachbarn und Freunden verlassen fühlen...

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

10. Station:

Jesus wird seiner Kleider beraubt

„Ich kann all meine Knochen zählen; sie gaffen und starren mich an." (Psalm 22,18)

 

Wir denken an alle, die Opfer von Indiskretion und Neugier geworden sind, und an alle Unverschämten, die andere bloßstellen ...
Stille
Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

11. Station:
Jesus wird ans Kreuz genagelt

„Sie kamen an den Ort, der Schädelhöhe heißt; dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen rechts von ihm, den andern links. Jesus aber betete: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" (Lukas 23,33-34)

 

Wir denken an alle, die nach dem Vorbild Jesu ihren Feinden verzeihen können, und an alle, denen die Kraft zu vergeben fehlt ...
Stille
Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

12. Station:

Jesus stirbt am Kreuz

„Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige von denen, die dabeistanden und es hörten, sagten: Hört, er ruft nach Elija! Einer lief hin, tauchte einen Schwamm in Essig, steckte ihn auf ein Rohr und gab Jesus zu trinken. Dabei sagte er: Lasst, wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt. Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus." (Markus 15,34-37)

 

Wir stehen vor dem Kreuz und denken an alles Leid dieser Welt, an alle Schmerzen und Tränen, alle Bosheit und Gleichgültigkeit, an alle Opfer und Täter ... Alles ist im Todesschrei Jesu zusammengefasst. Und wir glauben an die Kraft der Liebe Gottes, die alles zu heilen vermag.

Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

13. Station:

Jesus wird vom Kreuz genommen

„Josef aus Arimathäa war ein Jünger Jesu, aber aus Furcht vor den Juden nur im Verborgenen. Er bat Pilatus, den Leichnam Jesu abnehmen zu dürfen, und Pilatus erlaubte es. Also kam er und nahm den Leichnam ab." (Johannes 19,38)

 

Wir denken an alle Menschen, denen es wie Josef aus Arimathäa schwer fällt, zu Ihrem Glauben und ihrer Überzeugung zu stehen, die sich aber bemühen, treu zu sein...

Stille
Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

14. Station:
Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt

„Es kam auch Nikodemus, der früher einmal Jesus bei Nacht aufgesucht hatte. Er brachte eine Mischung aus Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. Sie nahmen den Leichnam Jesu und umwickelten ihn mit Leinenbinden, zusammen mit den wohlriechenden Salben, wie es beim jüdischen Begräbnis Sitte ist. An dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten, und in dem Garten war ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war. Wegen des Rüsttages der Juden und weil das Grab in der Nähe lag, setzten sie Jesus dort bei." (Johannes 19,39-42)

 

Wir denken an alle, die vor den Gräbern ihrer Lieben stehen - mit einem verwundeten Herzen und vielen offenen Fragen...
Stille

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

 

Diese Seite wurde oft übernommen und publiziert. Mit Erscheinen der Einheitsübersetzung 2016 wurden die hier angeführten Bibelzitate entsprechend revidiert.

 

Zum Weiterdenken:

Sich zu Christus bekehren, Christ werden will heißen, ein Herz von Fleisch zu empfangen [vgl. Ezechiel 36,26], ein Herz, das das Leid und die Schmerzen der anderen wahrnimmt. Unser Gott ist kein ferner Gott, der in seiner Glückseligkeit unberührbar wäre. Unser Gott hat ein Herz, ja sogar ein Herz von Fleisch. Er hat Fleisch angenommen, gerade um mit uns leiden zu können und uns in unserem Leiden zu begleiten. Er ist Mensch geworden, um uns ein Herz von Fleisch zu geben und in uns die Liebe für die Leidenden, die Bedürftigen zu wecken.“

Benedikt XVI., Karfreitag 2007

 

 

 

Die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz

 

Die christliche Tradition hat die in den vier Evangelien überlieferten Worte des gekreuzigten Jesus in folgende Reihenfolge gebracht:

1. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lukas 23,34)
2. „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lukas 23,43)  
3. „Frau, siehe, dein Sohn!" und: "Siehe, deine Mutter!“ (Johannes 19,26-27)
4. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Markus 15,34; Matthäus 27,46)
5. „Mich dürstet.“ (Johannes 19,28)
6. „Es ist vollbracht.“ (Johannes 19,30)
7. „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lukas 23, 46)

 

Skandal des Kreuzes

 

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