Karl Veitschegger (Fastenzeit 2022)

 

Judas – der verdammte Apostel?


 

Sicher verdammt?

„Judas Iskariot ist der einzige Mensch, von dem man sicher weiß, dass er in der Hölle ist“, meinte vor vielen Jahrzehnten noch mein damaliger Pfarrer. Er untermauerte das mit einem in den Evangelien überlieferten Jesuswort: Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.“ (Mk 14,21)

 

Wahre Tragik

Hat Jesus das so gesagt? Und wenn ja, wie hat er es gemeint? Bedeutet es Verdammnis? Oder ist es eine orientalische Redensart, um große Tragik auszudrücken? Für letzteres spricht, dass auch der Prophet Jeremia in schwerer Stunde ausruft: „Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde!“ (Jer 20,14)? Und der gerechte Ijob (Hiob) klagt in seinem Leid: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, die Nacht, die sprach: Ein Knabe ist empfangen.“ (Ijob 3,3) Beide Male Ausdruck großer Tragik. Und tragisch ist die Situation des Judas, der sich hinreißen lässt, Jesus seinen Gegnern auszuliefern, auf jeden Fall.

 

Der Kuss eines Freundes

Ein Kuss auf die Wange, den er seinem Freund und Lehrer Jesus zur Begrüßung gibt, dient der Tempelpolizei als Erkennungszeichen, welchen Mann sie in der nächtlichen Aktion verhaften sollen. Jesus, der ein feinfühliges Herz hat, weiß wohl, was in Judas vorgeht. Er beschimpft ihn nicht als Verräter, verflucht ihn auch nicht, sondern fragt ihn traurig, aber bestimmt: Freund, dazu bist du gekommen?“ (Mt 26,50) „Freund“ – so redet Jesus laut Matthäus Judas zuletzt an. Er ist ja einer jener engsten Vertrauten, die Jesus in den Kreis der Zwölf erwählt hat.

 
Warum hat Judas das getan?

Warum hat Judas seinen Lehrer und Freund Jesus an seine Feinde ausgeliefert? – Wir wissen es nicht. Dass Jesus hingerichtet würde, damit rechnete er wohl nicht (vgl. Mt 27,3). Es werden heute viele Deutungen versucht. Sie bleiben allesamt Vermutungen. Mich überzeugt keine ganz. Das Geld allein war es wohl nicht, das Judas zu seiner Tat verleitete. In Anlehnung an den Propheten Sacharja (11,12) ist von „30 Silberstücken“ die Rede. Und in Exodus 21,31 ist das die Entschädigungssumme für einen getöteten Sklaven. Ein Sklavenpreis für Jesus?

 

Mieses Image

Die frühe christliche Tradition, die die Tat des Judas nicht wirklich verstehen und nur schwer verkraften konnte, neigte allerdings dazu, Judas zunehmend als miesen Charakter hinzustellen: als geldgierigen, neidigen, diebischen Menschen, als betrügerischen Verwalter der Gemeinschaftskasse, in den der Satan gefahren sei. Ja, er wird sogar einmal „Teufel“ (Joh 6,70, wörtlich „Durcheinanderwerfer“) genannt. Diese Entwicklung ist in den Evangelien gut erkennbar.

 

Bitteres Ende

Das Ende des Judas wird verschieden geschildert. Hier waren die Evangelisten wohl ganz auf Gerüchte angewiesen. Vielleicht diente Matthäus das Schicksal des Verräters Ahitofel (im Alten Testament), der König David in den Rücken fällt und sich am Ende erhängt (vgl. 2 Samuel 17,1-23) als literarische Vorlage für seine Version des Judastodes. Möglich. Historisch lässt sich nicht mehr eruieren, ob Judas, wie Matthäus schreibt (27,3–10), aus Reue über die Folgen seiner Tat und aus Selbsthass durch Selbstmord aus dem Leben schied oder ob er – so Lukas in der Apostelgeschichte (1,16–18) – durch einen grausigen Unfall umkam.

 

Die Reue des Judas

Heute sehen Theologen und Theologinnen, Literaten und Literatinnen Judas differenzierter und jedenfalls nicht mehr als Inbegriff des Bösen und der Gemeinheit. Im Laufe der Kirchengeschichte gab es allerdings kaum christliche Prominente, die Erbarmen mit Judas hatten. Sein Ruf war erdenklich schlecht. Auch im christlichen Volk. In England heißt z.B. der Türspion abwertend „Judas“. Nur der heilige Vinzenz Ferrer (1350–1419) predigte, Judas habe seinen Verrat ehrlich bereut und wollte Jesus auch noch am Kreuzweg treffen, sei aber von Schaulustigen immer wieder abgedrängt worden. Da habe er sich gesagt: „Da ich nicht zu den Füßen des Meisters gelangen kann, will ich mich ihm wenigstens im Geiste nähern und ihn demütig um Verzeihung bitten.“ Das – so der hl. Vinzenz – habe er dann auch wirklich getan: „Nachdem er den Strick nahm und sich erhängte, eilte seine Seele zu Jesus auf den Kalvarienberg, bat ihn um Verzeihung, empfing sie von Christus vollständig und stieg mit ihm in den Himmel." Vinzenz Ferrer wurde deshalb der Häresie angeklagt, aber Papst Benedikt XIIl. zerriss eigenhändig 1394 die Anklageschriften.

 

Ist Judas im Himmel?

Judas soll sich einer Legende nach an einem Cercis („Judasbaum“) erhängt haben. Dieser Baum trägt im Frühjahr wunderschöne purpurrosa Blüten. Ein Zeichen der Hoffnung?

Ist Judas im Himmel? Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe mit vielen Christenmenschen und Heiligen, dass die Hölle leer ist.

 

Karl Veitschegger

 

Zu Vinzenz Ferrer: Bernhard Dieckmann, Judas als Sündenbock. Eine verhängnisvolle Geschichte von Angst und Vergeltung, München 1991, 139.

 

Papst Franziskus und das Kapitell in Sainte-Marie-Madeleine in Vézelay:

Der Ernstfall des Evangeliums

Judas, ein Jünger Jesu

Judas Iskariot, bibeldidaktisch

 

Literatur: Christoph Wrembek SJ, „Judas, der Freund. Du, der du Judas trägst nach Hause, trage auch mich“. Verlag Neue Stadt, 5. Auflage 2019, 158 Seiten. 

 

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