Karl Veitschegger

 

„Hinabgestiegen in das Reich des Todes“

 

Was meint dieser Halbsatz im christlichen Glaubensbekenntnis? – Impulsreferat für Glaubensgespräch


 

Fragen

In alten deutschen Übersetzungen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses heißt es noch: „abgestiegen zu der Hölle“. So wurde das lateinische descendit ad inferos früher übersetzt. Was hat das Totenreich mit der Hölle gemeinsam? Und kann ein Halbsatz, der erst um 350 n. Chr. offiziell in das Glaubensbekenntnis kommt, wichtig sein? Was ist daran überhaupt zu glauben?

 

Was sagt die Bibel dazu?

Folgende Bibelstellen werden üblicherweise zum Verständnis dieses Glaubensartikels befragt:

► 1 Petrus 3,18-20

► 1 Petrus 4,6

► Epheser 4,9 wörtlich: „Wenn es heißt: Er stieg aber hinauf, was bedeutet dies anderes, als dass er in die unteren Teile der Erde [ta katótera mére tes ges] hinabstieg?“

► Römer 10,7

► Matthäus 12,40 wörtlich: „Der Menschensohn wird drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde [en te kardía tes ges] sein.“

► Apostelgeschichte 2,27

wörtlich: „Du wirst meine Seele nicht im Totenreich [hades] zurücklassen."

Die angegebenen Stellen bleiben allerdings mehrdeutig.

 

Jesus ist wirklich gestorben

Der antike Mensch stellt sich das Universum dreistöckig vor: Himmel, Erde und die Unterwelt (die Tiefen der Erde). Letztere gilt auch als Aufenthaltsort der Verstorbenen; die „Seelen“ führen dort ein trübes Schattendasein, das den Namen Leben nicht wirklich verdient. Für die Israeliten, die alten Griechen und Römer bedeutet Sterben, in die Unterwelt hinabsteigen: in die Scheol (hebräisch), in den Hades (griechisch), in die Inferna oder ad inferos (lateinisch). Auch unser deutsches Wort Hölle bezeichnet bis ins Frühmittelalter noch dieses allgemeine Totenreich.

 

Vor diesem Hintergrund bedeutet die Aussage, Jesus sei in das Reich des Todes (bzw. in die Hölle) hinabgestiegen, vor allem: Der gekreuzigte Sohn Gottes hat das Schicksal aller Menschen geteilt; er ist wirklich gestorben! Diese Aussage ist nicht so selbstverständlich, wie sie uns heute anmutet. Es gab nämlich in manchen frühchristlichen Sondergruppen immer wieder Tendenzen, den Tod Jesu zu leugnen („Gott hat doch Jesus nicht wirklich sterben lassen!“). Auch im Islam findet sich diese Ansicht. Man beruft sich dort auf den Koranvers: „Sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen nur so." (Sure 4,157) Dagegen stellt das christliche Glaubensbekenntnis klar: Nein, Jesus ist auch im Tod einer von uns geworden! Er ist wahrhaft Mensch und als solcher gestorben! „Er war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,8)

 

Ostkirche: Der Tod Jesu besiegt den Tod

Seit Klemens von Alexandrien (um 200 n. Chr.) spekuliert die ostkirchliche Theologie über die „Zeit" zwischen Jesu Kreuzestod am Karfreitag und seiner Auferstehung am Ostermorgen. Anknüpfend an 1 Petrus 3,18-20 nimmt sie ein Wirken Christi im Hades an. Ephraim der Syrer (306–373 n. Chr.) singt in einem seiner Lieder:

„Lob sei dir, der du hinabgestiegen und eingetaucht bist, um Adam zu suchen.

Du hast ihn aus den Tiefen des Hades herausgezogen und nach Eden geführt.“

Und in der byzantinischen Osternachtliturgie heißt es:

„Heute ruft der Hades und stöhnt:

Besser wäre mir gewesen, ich hätte den Sohn der Maria nicht aufgenommen.

Denn da er zu mir gekommen ist, hat er meine Herrschaft vernichtet

und die ehernen Tore zertrümmert;

die Seelen, die ich einst besaß, hat er, Gott, auferweckt."

Das verkündet auch die ostkirchliche Osterikone (siehe oben rechts!): Christus kommt nach seinem Kreuzestod in den Hades, zertritt die Tore der Unterwelt und zieht Adam (der die gesamte unerlöste Menschheit symbolisiert) aus dem Tod zum Leben. Jesu Tod besiegt den Tod und befreit die Toten aus ihrem Schattendasein zum wahren, ewigen Leben.

 

Scholastik: Jesus leert die Vorhölle

Die Scholastik (mittelalterliche Schultheologie im Abendland) denkt beim Wort inferna (Unterwelt) meist an Hölle im Sinn eines „Ortes" der Verdammnis oder zumindest der Gottferne. An deren äußerstem „Rand" (limbus) befindet sich nach dieser Theologie eine „Vorhölle“ (Limbus patrum = Randbereich der verstorbenen Vorfahren). Dort mussten die Gerechten aus dem Alten Testament auf den Erlöser warten. Diese „Vorhölle“ wurde von Christus geleert und die Gerechten zu Gott geführt.

 

Scholastische Theologen plädieren übrigens auch für die Existenz eines Limbus puerorum (= Randbereich der Kinder). Dort müssen – das vertraten manche Theologen bis ins 20. Jahrhundert – ungetauft verstorbene Kleinkinder fern von Gott existieren, aber da sie ohne persönliche Schuld sind, haben sie dort vermutlich keine Schmerzen oder dürfen sich sogar einer natürlichen Glückseligkeit erfreuen.

Auch das Purgatorium (= Läuterung, missverständlich mit Fegefeuer übersetzt) findet sich nach dieser Theologie in den „Unterweltregionen", obwohl die Seelen im Purgatorium bereits zu Christus gehören, von ihm sicher gerettet sind und nur noch einer Läuterung bedürfen, um die ganze Fülle ewigen Lebens empfangen zu können.

Es muss hier ausdrücklich festgehalten werden, dass Spekulationen von Theologen und volkstümliche Jenseitsvorstellungen mit dem verbindlichen Glaubensgut der katholischen Kirche nicht immer identisch sind. Sie können bestenfalls zeitbedingte Verständnishilfen sein!

 

Reformationszeit: Jesus ist für uns in die Hölle gegangen

Die zunehmende Sicht der inferna als „Ort" der Strafe und Verdammnis regt Theologen der beginnenden Neuzeit zu neuen Interpretationen unseres Glaubensartikels an. Sie können jetzt sagen: Jesus ist für uns in die Hölle gegangen! Der, der „für uns zur Sünde gemacht“ worden ist (siehe 2 Korinther 5,21), ist für uns auch zum Verdammten geworden. Ihm, dem Guten, ist nichts Böses, kein Fluch und keine Strafe, erspart geblieben. Er hat die Gottverlassenheit freiwillig durchlitten und den „Kelch des Zornes“ für uns ausgetrunken. Jedem, der an ihn glaubt, hat er die Strafe der Verdammnis abgenommen. Vor allem Calvin und die Reformierten bewegen sich in diesen theologischen Gedankengängen. (Auf die Problematik des strafenden Gottes kann hier nicht eingegangen werden). Luther lehnt Spekulationen über die „Höllenfahrt Christi“ ab und deutet sie schlicht als Siege über Hölle, Tod und Teufel.

 

Neuere Deutungen

Viele moderne Theologen „entmythologisieren“ diesen Satz aus dem Glaubensbekenntnis, verzichten auf komplizierte Spekulationen und verstehen ihn einfach so, wie oben schon geschrieben: Jesus ist wirklich gestorben.

 

Joseph Ratzinger (der spätere Benedikt XVI.) versuchte 1968 in seiner „Einführung in das Christentum“ den Zusammenhang von Totenreich und Hölle neu und tiefer zu bedenken: Was ist Tod? – Tod ist Einsamkeit. In weiten Teilen des Alten Testament wird das Sterben verstanden als Trennung vom Strom des wahren Lebens, als Verlust der Mitmenschen, aber auch als Verlust Gottes und seiner Güte (vgl. Psalm 88; Psalm 6,6; Jesaja 38,18; Kohelet 9,10; Ijob 16,13 etc.) Jene Einsamkeit, in die keine Liebe mehr vordringen kann, ist die Hölle. Daher, so Ratzinger, kennt das Alte Testament nur ein Wort für Totenreich und Hölle: Scheol. Erst durch Jesu Tod tritt eine neue Situation ein: „Wo uns keine Stimme mehr erreichen kann, da ist er. Damit ist die Hölle überwunden, oder genauer: der Tod, der vordem die Hölle war, ist nicht mehr.“ (S. 248f). Durch Christus sind Tod und Hölle nicht mehr identisch. Im Tod ist jetzt nicht einsame Trostlosigkeit, sondern Christus zu finden – und mit ihm das Leben und die Liebe in Fülle. Nur wenn jemand sich selbst freiwillig dieser Liebe verschlösse, kann ihm der Tod wieder zur trostlosen Hölle werden, zum „zweiten Tod“ (Offenbarung 20,14).

 

Ähnlich sieht es Hans Urs von Balthasar (1905–1988): Da Christus aus reiner Liebe gestorben ist, „ist auch sein wirkliches Totsein – und das heißt Verlust eines jeden Kontaktes mit Gott und mit den Mitmenschen (man lese noch einmal die Psalmen) – ein Akt seiner lebendigsten Liebe. Hier, in der äußersten Einsamkeit, wird sie den Toten gepredigt, ja mehr: mitgeteilt". (Credo, Freiburg 1989, S. 46f)

 

Der Tod als Chance für alle?

Interessant finde ich auch ein Neu- und Weiterbedenken der ostkirchlichen Tradition: Christus wird in seinem Tod zum Heilsangebot für die ganze vor- und außerchristliche Menschheit (symbolisiert in Adam). Das hebräische Wort Scheol ist übrigens verwandt mit dem Wort Scheola, welches „Frage“ bedeutet. Der Tod ist das große Fragezeichen hinter jedem Menschenleben. Dadurch dass Gott sich in Jesus auch den Tod zu eigen gemacht hat, bekommt dieser für die gesamte Menschheit eine andere Qualität. Jeder Mensch, ob christlich, andersgläubig oder atheistisch, kann „in der Scheol", also in seinem Todesschicksal, auf den Schicksalsgefährten Jesus treffen. Wird jeder Mensch ihn spätestens jetzt als die Antwort Gottes auf die große Frage seines Lebens erkennen?

Ladislaus Boros (1927–1981) stellte sich vor einigen Jahrzehnten mit großem Engagement der Frage: Erhält jeder Mensch im Tod (noch einmal) die Möglichkeit, Christus und mit ihm das Angebot ewigen Lebens anzunehmen? Wird der Tod so zur letzten großen Chance für alle? – Ich will es hoffen.

 

Karl Veitschegger (1985/2006)

 

 

Aus dem Katechismus der katholischen Kirche (aus dem Jahre 1992):

"Die Schrift nennt den Aufenthaltsort der Toten, zu dem Christus nach dem Tod hinab gestiegen ist, „Hölle", „Scheol" oder „Hades", denn diejenigen, die sich darin aufhalten, entbehren der Anschauung Gottes. Das war vor dem Kommen des Erlösers bei allen Toten der Fall... Christus ist somit in die Tiefe des Todes hinab gestiegen, damit 'die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören ...; und alle, die sie hören, leben' (Joh 5,25)..." (633/634)

 

Luther über die „Höllenfahrt Christi“

Artikel: Hölle - was ist das?

Artikel: Leben nach dem Tod?

 

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