„Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ Was meint dieser Halbsatz im christlichen
Glaubensbekenntnis? – Impulsreferat für Glaubensgespräch Fragen In
alten deutschen Übersetzungen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses heißt
es noch: „abgestiegen zu der Hölle“. So wurde das lateinische descendit ad
inferos früher übersetzt. Was hat das Totenreich mit der Hölle gemeinsam?
Und kann ein Halbsatz, der erst um 350 n. Chr. offiziell in das
Glaubensbekenntnis kommt, wichtig sein? Was ist daran überhaupt zu glauben?
Jesus ist wirklich
gestorben Der
antike Mensch stellt sich das Universum dreistöckig vor: Himmel, Erde und die
Unterwelt (die Tiefen der Erde). Letztere gilt auch als Aufenthaltsort der
Verstorbenen; die „Seelen“ führen dort ein trübes Schattendasein, das den
Namen Leben nicht wirklich verdient. Für die Israeliten, die alten Griechen
und Römer bedeutet Sterben, in die Unterwelt hinabsteigen: in die Scheol
(hebräisch), in den Hades (griechisch), in die Inferna oder ad
inferos (lateinisch). Auch unser deutsches Wort Hölle bezeichnet
bis ins Frühmittelalter noch dieses allgemeine Totenreich. Vor
diesem Hintergrund bedeutet die Aussage, Jesus sei in das Reich des Todes
(bzw. in die Hölle) hinabgestiegen,
vor allem: Der gekreuzigte Sohn Gottes hat das Schicksal aller Menschen
geteilt; er ist wirklich gestorben! Diese Aussage ist nicht so
selbstverständlich, wie sie uns heute anmutet. Es gab nämlich in manchen
frühchristlichen Sondergruppen immer wieder Tendenzen, den Tod Jesu zu
leugnen („Gott hat doch Jesus nicht wirklich sterben lassen!“). Auch im Islam
findet sich diese Ansicht. Man beruft sich dort auf den Koranvers: „Sie haben
ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen nur so."
(Sure 4,157) Dagegen stellt das christliche Glaubensbekenntnis klar: Nein,
Jesus ist auch im Tod einer von uns geworden! Er ist wahrhaft Mensch und als
solcher gestorben! „Er war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil
2,8) Ostkirche: Der Tod
Jesu besiegt den Tod Seit
Klemens von Alexandrien (um 200 n. Chr.) spekuliert die ostkirchliche
Theologie über die „Zeit" zwischen Jesu Kreuzestod am Karfreitag und
seiner Auferstehung am Ostermorgen. Anknüpfend an 1 Petrus 3,18-20 nimmt sie
ein Wirken Christi im Hades an. Ephraim der Syrer (306–373 n. Chr.) singt in
einem seiner Lieder:
Und
in der byzantinischen Osternachtliturgie heißt es:
Das
verkündet auch die ostkirchliche Osterikone (siehe oben rechts!): Christus
kommt nach seinem Kreuzestod in den Hades, zertritt die Tore der Unterwelt
und zieht Adam (der die gesamte unerlöste Menschheit symbolisiert) aus dem
Tod zum Leben. Jesu Tod besiegt den Tod und befreit die Toten aus ihrem
Schattendasein zum wahren, ewigen Leben. Scholastik: Jesus
leert die Vorhölle Die
Scholastik (mittelalterliche Schultheologie im Abendland) denkt beim Wort inferna
(Unterwelt) meist an Hölle im Sinn eines „Ortes" der Verdammnis
oder zumindest der Gottferne. An deren äußerstem „Rand" (limbus)
befindet sich nach dieser Theologie eine „Vorhölle“ (Limbus patrum
= Randbereich der verstorbenen Vorfahren). Dort mussten die Gerechten aus dem
Alten Testament auf den Erlöser warten. Diese „Vorhölle“ wurde von Christus
geleert und die Gerechten zu Gott geführt.
Reformationszeit:
Jesus ist für uns in die Hölle gegangen Die
zunehmende Sicht der inferna als „Ort" der Strafe und Verdammnis
regt Theologen der beginnenden Neuzeit zu neuen Interpretationen unseres
Glaubensartikels an. Sie können jetzt sagen: Jesus ist für uns in die Hölle
gegangen! Der, der „für uns zur Sünde gemacht“ worden ist (siehe 2 Korinther
5,21), ist für uns auch zum Verdammten geworden. Ihm, dem Guten, ist nichts
Böses, kein Fluch und keine Strafe, erspart geblieben. Er hat die
Gottverlassenheit freiwillig durchlitten und den „Kelch des Zornes“ für uns
ausgetrunken. Jedem, der an ihn glaubt, hat er die Strafe der Verdammnis
abgenommen. Vor allem Calvin und die Reformierten bewegen sich in
diesen theologischen Gedankengängen. (Auf die Problematik des strafenden
Gottes kann hier nicht eingegangen werden). Luther lehnt Spekulationen
über die „Höllenfahrt Christi“ ab und deutet sie schlicht als Siege über
Hölle, Tod und Teufel. Neuere Deutungen Viele
moderne Theologen „entmythologisieren“ diesen Satz aus dem
Glaubensbekenntnis, verzichten auf komplizierte Spekulationen und verstehen
ihn einfach so, wie oben schon geschrieben: Jesus ist wirklich gestorben. Joseph
Ratzinger (der spätere Benedikt
XVI.) versuchte 1968 in seiner „Einführung in das Christentum“ den
Zusammenhang von Totenreich und Hölle neu und tiefer zu bedenken: Was ist
Tod? – Tod ist Einsamkeit. In weiten Teilen des Alten Testament wird das
Sterben verstanden als Trennung vom Strom des wahren Lebens, als Verlust der
Mitmenschen, aber auch als Verlust Gottes und seiner Güte (vgl. Psalm 88; Psalm 6,6; Jesaja
38,18; Kohelet 9,10; Ijob 16,13 etc.) Jene
Einsamkeit, in die keine Liebe mehr vordringen kann, ist die Hölle. Daher, so
Ratzinger, kennt das Alte Testament nur ein Wort für Totenreich und
Hölle: Scheol. Erst durch Jesu Tod tritt eine neue Situation ein: „Wo
uns keine Stimme mehr erreichen kann, da ist er. Damit ist die Hölle
überwunden, oder genauer: der Tod, der vordem die Hölle war, ist nicht mehr.“
(S. 248f). Durch Christus sind Tod und Hölle nicht mehr identisch. Im Tod ist
jetzt nicht einsame Trostlosigkeit, sondern Christus zu finden – und mit ihm
das Leben und die Liebe in Fülle. Nur wenn jemand sich selbst freiwillig
dieser Liebe verschlösse, kann ihm der Tod wieder zur trostlosen Hölle
werden, zum „zweiten Tod“ (Offenbarung 20,14). Ähnlich
sieht es Hans Urs von Balthasar (1905–1988): Da Christus aus
reiner Liebe gestorben ist, „ist auch sein wirkliches Totsein – und das heißt
Verlust eines jeden Kontaktes mit Gott und mit den Mitmenschen (man lese noch
einmal die Psalmen) – ein Akt seiner lebendigsten Liebe. Hier, in der
äußersten Einsamkeit, wird sie den Toten gepredigt, ja mehr:
mitgeteilt". (Credo, Freiburg 1989, S. 46f) Der Tod als Chance
für alle? Interessant
finde ich auch ein Neu- und Weiterbedenken der ostkirchlichen Tradition:
Christus wird in seinem Tod zum Heilsangebot für die ganze vor- und
außerchristliche Menschheit (symbolisiert in Adam). Das hebräische Wort Scheol
ist übrigens verwandt mit dem Wort Scheola, welches „Frage“ bedeutet.
Der Tod ist das große Fragezeichen hinter jedem Menschenleben.
Dadurch dass Gott sich in Jesus auch den Tod zu eigen gemacht hat, bekommt
dieser für die gesamte Menschheit eine andere Qualität. Jeder Mensch, ob
christlich, andersgläubig oder atheistisch, kann „in der Scheol", also
in seinem Todesschicksal, auf den Schicksalsgefährten Jesus treffen. Wird
jeder Mensch ihn spätestens jetzt als die Antwort Gottes auf die große Frage
seines Lebens erkennen? Ladislaus
Boros (1927–1981) stellte sich vor
einigen Jahrzehnten mit großem Engagement der Frage: Erhält jeder Mensch im
Tod (noch einmal) die Möglichkeit, Christus und mit ihm das Angebot
ewigen Lebens anzunehmen? Wird der Tod so zur letzten großen Chance für alle?
– Ich will es hoffen. Karl Veitschegger (1985/2006)
Luther über die „Höllenfahrt Christi“ Artikel: Hölle - was ist das? Artikel: Leben nach dem Tod? Zurück zur Startseite von
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