Karl
Veitschegger (2008) Hexenwahn und Kirche „Der Hexenwahn, von der katholischen Kirche unterstützt,
forderte 9 Millionen Opfer. Was sagen Sie dazu?“ – Diese Frage einer Frau war
Anstoß, mich mit der Frage des Hexenwahns näher zu befassen. 300 Jahre Teil der
Rechtsordnung! Dass der Hexenwahn in Europa 9 Millionen
Opfer gefordert habe, ist eine Behauptung, die vor 200 Jahren aufgekommen und
seither (z.B. von den Nazis) eifrig verbreitet worden ist. Vereinzelt
übernehmen noch heute Bücher und Internetseiten unkritisch diese
Opferzahl. Die neue Hexenforschung rechnet mit 40.000 bis 60.000
Hingerichteten (vgl. Katalog zur Ausstellung „Hexenwahn - Ängste der
Neuzeit", Berlin 2002). Das ist schrecklich genug! Der
Hexenwahn gehört zu den dunkelsten Kapiteln europäischer Geschichte. Über 300
Jahre (1430-1780) waren Hexenprozesse Bestandteil regulärer staatlicher
Rechtsprechung! Am üppigsten blühte der Hexenwahn in der Neuzeit, zwischen
1560 und 1680, im konfessionell zerstrittenen Deutschland. Seine Ursachen
sind vielfältig. Die überwiegende Mehrheit der Hexenprozesse führten übrigens
weltliche Juristen und weltliche Richter und nicht die katholische Kirche
oder die päpstliche Inquisition, wie man landläufig annimmt. Selbst in den
Gebieten mit geistlichen Landesherren lag die Justiz in den Händen weltlicher
Amtleute. Katholische Kirche war lange
dagegen In altchristlicher Zeit verurteilte die
Kirche ausdrücklich die Auffassung, Menschen könnten Schadenzauber verüben.
Karl der Große († 814), der sich als Schirmherr der Kirche verstand, verbot
den neu christianisierten Sachsen das Verbrennen von „Hexen“. Noch bis weit
ins Mittelalter hinein wurde der Glaube an Hexerei von Kirchenversammlungen
und Predigern als Hirngespinst verworfen. Dennoch konnte sich der unter
Germanen verbreitete heidnische Aberglaube später in vielen christlichen
(katholischen und evangelischen) Gebieten durchsetzen. Nach und nach
vertraten auch berühmte Universitäten, Wissenschaftler, Fürsten und Päpste
die Ansicht, dass Menschen mit Hilfe des Teufels Schadenzauber ausüben
können. Das Volk glaubte ohnedies gerne daran. Auch Martin Luther
„bestätigte“ die Existenz von Hexen und riet: „Man töte sie nur!“ (WA 16, S.
551). Der Reformator Calvin lehrte nicht anders. Nicht nur Frauen, auch
Männer und Kinder – übrigens auch katholische Priester und Prälaten! – wurden
wegen Hexerei angezeigt und hingerichtet. Fanatiker schürten diesen Wahn,
manchmal holten sie sich für ihr Treiben prominente kirchliche Unterstützung
(z. B. 1484 die „Hexenbulle" von Papst Innozenz VIII.; vom Töten der
Zauberer und Hexen ist in der Papstbulle allerdings noch nicht die Rede!).
Gar nicht so selten „berichteten" (vermutlich psychisch kranke) Menschen
von sich aus recht detailliert über ihre
„Teufelsbündnisse" und die Schäden, die sie an Mensch
und Tier angerichtet zu haben glaubten.1 Nicht überall wütete der
Hexenwahn Im päpstlich regierten Teil Italiens
allerdings konnte der Hexenwahn nie wirklich Fuß fassen, ebenso wenig im
Einflussbereich der Spanischen Inquisition (sie verhinderte sogar aktiv
Hexenverfolgungen!), auch nicht in Gebieten der orthodoxen Kirche, im
katholischen Irland, in der Diözese Brixen (Tirol) usw. Katholische
Geistliche zählten zu den frühesten Gegnern der Hexenverfolgung; der
bekannteste unter ihnen ist der Jesuit Friedrich Spee (1631: Cautio criminalis).
Der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Johann Philipp von Schönborn († 1673) –
übrigens ein Förderer der Frauenbildung – stoppte als einer der ersten
deutschen Fürsten auf seinem Hoheitsgebiet die Hexenprozesse. Der Hexenwahn
zeigt erschütternd, wie auch eine große Mehrheit der Gesellschaft mit vielen
Gelehrten und Experten verblendet einen Irrweg gehen kann. Karl Veitschegger (2008) PS:
Auf dem Gebiet des heutigen Österreich schätzt man die Zahl der in
Hexenprozessen zum Tode Verurteilten auf rund 1000. 1Übrigens
versicherte mir gegenüber erst vor ein paar Jahren ein Mann ernsthaft, er
habe durch das Aussprechen einer teuflischen Zahl Unheil über Menschen
gebracht. Dieses Erlebnis lässt mich die Selbstbezichtigungen von
„Hexen" und „Hexern" besser verstehen. Wahrheit und Märchen über Hexen und ihre Verfolgung
Hexenwahn heute: Burkina Faso - Das Hexenhaus als
letzte Zuflucht Katalog zur Ausstellung „Hexenwahn - Ängste der
Neuzeit", Berlin 2002 Zurück zur Homepage von Karl Veitschegger Zurück zum Menü „Artikel, Referate, Skizzen ..." Karl Veitschegger ©
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