Karl Veitschegger (1999/2022)

Jesus – Kind einer Jungfrau?

Skizze einer theologischen Positionierung aus katholischer Sicht


Altes Marienbild  (Katakomben in Rom um 210 n. Chr.)

Verschiedene Meinungen

Die Meinungen religiöser und nicht religiöser Menschen zur Credo-Aussage „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“ gehen weit auseinander. Sie reichen vom wortwörtlichen Verständnis der biblischen Erzählungen bis zu einer strikten Ablehnung solcher Aussagen als „fantastische Behauptung“:

 

Es gibt Menschen, die, obwohl sie nicht an Gott im biblischen Sinne glauben, eine biologische „Parthenogenese" (die wir aus dem Tierreich kennen) auch beim Menschen prinzipiell für möglich halten: Die Eizelle wird dabei nicht durch eine Samenzelle, sondern durch andere Einflüsse zur Entfaltung gebracht. Auf die Frage, wie Jesus ohne Vater zu seinem männlichen Y-Chromosom gekommen sei, antworten sie: Auch dazu bedurfte es nicht unbedingt eines übernatürlichen Eingriffs; eine männliche Y-Anlage kann auch entstehen, wenn vom weiblichen X-Erbfaktor ein Stück abbricht.

 

Andere halten die jungfräuliche Empfängnis Jesu für ein göttliches Wunder, sehen aber in Jesus nur einen Menschen und lehnen seine Gottessohnschaft kategorisch ab. So glauben das viele Muslime auf Grund des Korans (vgl. Sure 3,42-51 und Sure 19,16-33).

 

Wieder andere sehen in der „Geist-Empfängnis" Jesu eine Variante jener vielen mythischen Erzählungen von der „Zeugung durch eine Gottheit“, die in der Antike mehreren wichtigen Persönlichkeiten nachgesagt wird (z.B. dem Buddha und Alexander dem Großen). Die „göttliche Herkunft" sei – so die Vertreter dieser Ansicht – mythologischer Ausdruck für die große Bedeutung eines Menschen.

 

Und es gibt Menschen, die halten die biologische (!) Jungfräulichkeit Marias für unwahrscheinlich, sind aber gläubige Christen und Christinnen und sehen in Jesus von Nazaret den zentralen Heilsbringer (sehr offen bekunden das viele protestantische Theologen und Theologinnen).

 

Das Zeugnis des Neuen Testamentes

Die Passage im Apostolischen Glaubensbekenntnis „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria" stützt sich auf zwei Evangelisten: Matthäus (1,18–25) und Lukas (2,26–38). Die übrigen 25 Schriften des Neuen Testamentes erwähnen nirgends eine wunderbare Empfängnis Jesu.

Lukas und Matthäus (beide verfassen ihr Evangelium vermutlich um 80 n. Chr.) haben die Kindheit Jesu offensichtlich unabhängig voneinander „recherchiert" – sie haben keine gemeinsamen „Storys"! – stimmen aber in einigen wenigen Daten überein. Diese verdanken sie wohl einer älteren Tradition. Dazu gehört neben den Namen der Eltern Jesu (Maria und Josef) und dem Geburtsort Betlehem auch die „geist-gewirkte“ Empfängnis Jesu.

 

Gänzlich unmöglich?

Es heißt: Bei Gott ist kein Ding unmöglich! – „Biologische Vorurteile" allein sollten nicht zur Verneinung einer jungfräulichen Empfängnis Jesu führen. Wer kann mit Sicherheit sagen: So etwas ist nie passiert!? Gott, der mit, durch und in seiner Schöpfung wirkt, kann „Wunder" tun, wobei man „Wunder“ nicht unbedingt als Verstoß gegen Naturgesetze interpretieren muss, sondern auch als überraschende Realisierung einer besonderen Möglichkeit, die in der Natur liegt.

 

Erzählungen in den Evangelien – historische Berichte oder Poesie?

Kein Zweifel: Gott kann auch einen Menschen ohne irdischen Vater entstehen lassen. Aber hat er es auch tatsächlich so getan? – Ein Blick auf den Schöpfungsbericht der Bibel kann das Problem verdeutlichen: Gott hätte die Welt in sechs Tagen erschaffen und den ersten Menschen aus Lehm formen können, aber er hat es offensichtlich doch nicht so gemacht. Man muss also in der Heiligen Schrift mit Poesie und bildhafter Rede rechnen. Dabei darf man nicht übersehen, dass die Kirche oft erst später entdeckt hat, was bildhaft ist ... (vgl. das durch den Galilei-Konflikt berühmte Wort in Josua 10,12: „Sonne, bleib stehen über Gibeon!"). Auch in den biblischen Erzählungen über die Herkunft Jesu muss mit Poesie gerechnet werden. So sind z.B. die von Matthäus und Lukas aufgezeichneten Stammbäume Jesu historisch sicher nicht haltbar (zwischen den ersten Menschen und Jesus muss es mehr als 76 Generationen gegeben haben); sie haben aber einen tiefen theologischen Sinn: Jesus ist die „Pointe" einer Geschichte, die mit Abraham, ja schon mit Adam begonnen hat.

Ist nun die Erzählung von der „geist-gewirkten“ Empfängnis als bildhafte Rede oder als historischer Bericht zu verstehen?

 

Symbol – so oder so

Auf jeden Fall ist die Empfängnis Jesu aus der Kraft des Heiligen Geistes ein Symbol. Aber ist sie ein Symbol, das Gott leibhaftig so gewirkt hat, oder ein Symbol, das der vom Heiligen Geist inspirierte Erzähler literarisch verwendet, um das letztlich nicht verstehbare Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes in einem paradoxen Bild darzustellen? Handelt es sich um eine Symbol-Handlung oder um eine Symbol-Erzählung?

Beweise im strengen Sinn können weder für das eine noch für das andere erbracht werden. Es ist immer „Glaube" gefragt. Die Tiefenpsychologie kann der Theologie vielleicht helfen, den Sinn dieses Symbols besser zu verstehen. Nach C. G. Jung weist der Archetyp „göttliches Kind – geboren von einer Jungfrau" auf das Nichterzeugte, das Überraschende, das spontan Geschenkte hin.

 

Traditionelle Interpretation

Alle orthodoxen Kirchen, viele protestantische und freikirchliche Gemeinschaften und das Lehramt der katholischen Kirche halten (bisher) daran fest: Jesus ist auch im biologischen Sinn ohne Zutun eines menschlichen Vaters empfangen worden.

Die katholische Kirche „verketzert" allerdings niemanden, der persönlich mit diesem Verständnis Schwierigkeiten hat. Wer kritische Fragen stellt, ist noch lange kein Häretiker! „Häresie nennt man (erst) die [...] beharrliche Leugnung einer mit göttlichem und katholischem Glauben zu glaubenden Wahrheit oder einen beharrlichen Zweifel an einer solchen Glaubenswahrheit." (CIC can. 751).

 

Mein Glaube

Meinen persönlichen Standpunkt will ich so zusammenfassen:

 

Ich glaube, dass Gott mir durch die literarisch schönen Erzählungen von Matthäus und Lukas (die wohl auch Historisches enthalten) eine Wahrheit sagen will, die ich im Laufe meines Lebens immer tiefer verstehen kann.

 

Ich glaube, dass es kein Zufall ist, wenn die Evangelien Jesu menschlichen Lebensbeginn gerade so und nicht anders erzählen. Ich will diese Erzählungen nicht gegen andere, „leichter verständliche" austauschen, sondern sie als wertvolle „Provokation" meines Glaubens ernstnehmen.

 

Ich glaube, dass das Kommen Jesu in unsere Welt viel wunderbarer ist, als die alten Wunder-Erzählung der Bibel vermitteln können. Das Wirken Gottes in Jesus kann weder durch historische Berichte noch durch legendenhafte Erzählungen angemessen dargerstellt werden.

 

► Mein Resümee: Ich glaube, dass Jesus ein einzigartiges Geschenk Gottes ist. Gott setzt durch ihn einen wirklichen Neuanfang in der Heilsgeschichte – nicht gegen Israel, sondern in Israel – durch eine Frau – zum Heil aller Völker). Gott eröffnet in Jesus neue Lebensmöglichkeiten, die wir nicht selber er-„zeugen" können.

 

(Bild oben: das früheste bekannte Bild von Maria mit Jesuskind, Priscilla-Katakombe um 200)

 

Karl Veitschegger (1999/2022)

 

 

Zitate zum Weiterdenken

 

„Die Jungfräulichkeit Marias zeigt, dass Gott bei der Menschwerdung die absolute Initiative hat.“

Katechismus der katholischen Kirche 503

 

„Solange eine Gesellschaft auf einer geistigen Entwicklungsstufe steht, auf der Mythos und Berichterstattung noch nicht unterschieden werden, besteht bei einem Satz wie GEBOREN VON DER JUNGFRAU MARIA kein Problem. Auf der nächsten Stufe der Bewusstseinsentwicklung wird zwar zwischen Mythen und Tatsachen unterschieden, aber jetzt gilt nur das als wahr, was sich buchstäblich so ereignet hat. Von da müssen wir noch einen weiteren Schritt machen und zur Einsicht gelangen, dass mythisch-dichterische Aussagen doch wahr sind, aber erst dann ihren tieferen Sinn hergeben, wenn wir sie nicht wörtlich nehmen.“

David Steindl-Rast (Credo. Ein Glaube, der alle verbindet. Mit einem Vorwort vom Dalai Lama, Wien 2010, S.93)

 

„Nur, wenn wir jungfräulich rein werden von Ideologien und Vorurteilen gegen uns Frauen, werden wir empfänglich für den Heiligen Geist. Jungfräulichkeit ist keine biologische, sondern eine seelisch-geistige und dann auch politische Haltung.“

Hildegunde Wöller, evangelische Pastorin, Lektorin, Journalistin

 

„Für den Glauben, der aus der Bibel kommt, ist gerade der Realismus des Geschehenseins von innen her konstitutiv. Ein Gott, der nicht in die Geschichte eingreifen und sich nicht in ihr zeigen kann, ist nicht der Gott der Bibel. [...] Aber dass dabei vieles im Einzelnen offen bleiben und dem Ringen verantwortungsbewusster Auslegung überlassen werden muss, das haben wir inzwischen gelernt."

Joseph Kardinal Ratzinger (Vortrag anlässlich 100 Jahre Päpstliche Bibelkommission, Mai 2003)

 

„Christus wird immer wieder ex Spiritu Sancto [= aus dem Hl. Geist] empfangen. Der heilige Lukas selber hat ja bewusst Kindheitsgeschichte und Apostelgeschichte 2 (Geburt der Kirche) parallelisiert. Im Kreis der um Maria versammelten zwölf Apostel geschieht die conceptio ex Spiritu Sancto [= Empfängnis aus dem Hl. Geist], die sich in der Kirchenwerdung neu vollzieht."

Joseph Kardinal Ratzinger ( 30giorni 1/1999)

 

„Urknall ganz leise

Gott hat sich auf den Punkt gebracht.

In einer Eizelle in Nazareth."

Walter Mosner (Christsein heute 6/2006, S. 13)

 

Ein gänzlich anderer Zugang wird in dieser protestantischen Predigt angedacht:

„Jungfräulichkeit: Das Wiederherstellen der Würde eines geschändeten Kindes, einer vergewaltigten Frau“
http://www.bernermuenster.ch/wAssets/docs/gd-predigten/CHRISTNACHTFEIER-Leserfassung-II.pdf

 

 

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