Ablass – was ist das? Referat auf der
Wallfahrtsleiter/innen-Tagung am 1. April 2000 auf Schloss Seggau Ablass – was ist das? Priester und Theologen
reden heute kaum darüber. Ich auch nicht. Da ich aber nun einmal angefragt
worden bin, will ich versuchen, kurz und seriös zu erklären, was die
katholische Kirche heute unter Ablass versteht. Der Anlass, warum wir uns über den Ablass
Gedanken machen, ist das „Heilige Jahr“ oder „Jubiläumsjahr 2000“. Seit Papst
Bonifaz VIII. im Jahre 1300 erstmals solch ein „Jahr des großen
Verzeihens" ausgerufen hat, gehört es zur Tradition „Heiliger Jahre“,
dass alle Gläubigen eingeladen werden, den so genannten Jubiläumsablass zu
gewinnen. Der Ablass gehört zwar nicht zur Mitte des katholischen Glaubens –
kein katholischer Christ ist verpflichtet, einen Ablass zu gewinnen –,
aber er macht auf Dinge aufmerksam, die durchaus wichtig sind. 1. Sünde hinterlässt Spuren Wer sündigt, schadet den Mitmenschen und sich
selbst. Ein Beispiel: Herr Müller ist grundlos eifersüchtig. Er macht seiner
Frau ungerechte Vorwürfe und peinigt sie, aber er peinigt auch sich
selbst, indem er sich immer tiefer in seine schädlichen Gefühle verbohrt.
Wenn Herr Müller zur Einsicht kommt, dass er seiner Frau Unrecht tut und
seine Sünde ernsthaft bereut, wird er von Gott Vergebung erlangen.
Freilich ist mit der Vergebung der Sünde, selbst wenn Herr Müller das
Bußsakrament empfängt, der Fall nicht einfach erledigt. Herr Müller wird
Phantasie entwickeln müssen, wie er seiner Frau gegenüber Wiedergutmachung
leistet (er könnte sie z. B. zu einer Urlaubsreise einladen). Aber auch damit
ist der Fall nicht einfach erledigt. Die Gefühle der Eifersucht werden ja
nicht von einem Tag auf den anderen aus seiner Seele weggezaubert sein. Herr
Müller wird vermutlich noch länger daran arbeiten müssen, bis er wirklich
davon frei ist. Die katholische Lehre unterscheidet deshalb
zwischen der Sünde selbst, die sofort vergeben werden kann, und den Wirkungen
der Sünde, die auch nach der Vergebung anhalten und einer Bearbeitung
bedürfen. Da diese Nachwirkungen nicht angenehm sind, werden sie von
Theologen auch „Sündenstrafen“ genannt. Das lateinische Wort poena
bedeutet nicht nur Strafe im rechtlichen Sinn, sondern auch Beschwerlichkeit,
Pein, Qual. Man kann auch von Wunden und schmerzenden Narben der Sünde
sprechen, die (auch nach gelungener Operation) noch auf volle Ausheilung
warten. 2. Heilung ist ein Prozess Wenn in den ersten Jahrhunderten ein Christ
sich einer besonders schweren Sünde schuldig gemacht hat, konnte er nicht
einfach heimlich zur Beichte gehen, sondern musste öffentlich in der Kirche
um Vergebung bitten. Dort wurde er zum Büßer erklärt und zu einer
meist sehr langen Bußzeit verpflichtet. Büßer mussten auf den Empfang
der Eucharistie verzichten, eifrig beten, fasten und Taten der Nächstenliebe
setzen. So sollten sie zeigen, dass sie die Gnade Gottes neu in sich wirken
lassen und ernsthaft an ihrer Besserung arbeiten. Erst nach dieser
Bewährungszeit wurde ihnen vor versammelter Gemeinde feierlich die Lossprechung
gegeben. Jetzt galt der Sünder als geheilt. Diese strenge Bußordnung wurde in späterer
Zeit durch die mildere Praxis der geheimen Beichte ersetzt, die in
ihren Grundzügen bis heute gültig ist. Wenn heute der Sünder zur Beichte
kommt, erhält er vom Priester (meist) sofort die Lossprechung, allerdings
auch mit der Auflage, Wiedergutmachung zu leisten, soweit das möglich
ist, und Buße zu tun. Das Wort Buße hängt mit dem Wort bessern
zusammen. Ein inniges Gebet, ein Verzicht, konkrete Werke der Nächstenliebe
sollen dem, der die Vergebung empfangen hat, helfen, wieder als guter Christ
zu leben: Bußübungen als eine Art Therapieübung, damit die Wunden und Schäden
der Sünde verheilen können. 3. Auf dem Weg der Heilung bist
du nicht allein Die Kirche erkannte immer klarer: Wer sich
auf den Weg der Buße, also der inneren Genesung und Erneuerung macht, ist
nicht allein. Unser Herr Müller z.B., der seine Eifersucht bereut hat und
lernen möchte, seiner Frau mit Vertrauen zu begegnen, hat nicht nur Nachbarn,
Freunde und Lebensberater, die ihm vielleicht helfen können, sondern er
gehört darüber hinaus durch die Taufe zu einer großen geistlichen
Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern. Die Einladung der Kirche, „einen
Ablass zu gewinnen", ist die Einladung, die spirituelle Hilfe
dieser Gemeinschaft, deren Haupt Jesus Christus selbst ist und zu der
alle heiligen Menschen im Diesseits und Jenseits gehören, in Anspruch zu
nehmen. Es gibt nicht nur die Lawine des Bösen in der Welt, sondern auch eine
gewaltige Lawine des Guten und der Liebe. Nicht nur jede böse Tat, auch jede
gute Tat eines Menschen hat ihre Auswirkung für die anderen. Ja die Gnade ist
– wie Paulus einmal schreibt – sogar viel „mächtiger als die Sünde" (Röm
5,20). Im Ablass sagt die Kirche Herrn Müller zu: Alles Gute, das durch
Christus und in seiner Nachfolge von vielen, vielen heiligen Menschen in
überreichem Maß geschehen ist, kommt auch dir zugute, ist auch für
dich getan. (Den Gedanken, dass Taten der Liebe gleichsam himmlische
„Schätze“ sind, entnimmt die Kirche der Bergpredigt: Mt 6,20.) Du darfst
Christus und die Heiligen als großen Schatz verstehen, aus dem auch
du schöpfen kannst. Dieser Reichtum der Liebe „ergänzt“ – wenn du
wirklich offen dafür bist – das, was dir fehlt und was du vielleicht nie
zusammenbringst, und erleichtert dir den Weg zur vollen Gesundung vor Gott
(in der Sprache der Tradition: Du empfängst „Ablass“, also Nachlass
oder Tilgung der „Sündenstrafen“). Darauf darfst du fest vertrauen.
Dafür bürgt die von den Nachfolgern der Apostel geleitete Gemeinschaft der
Kirche, die Christus zum „Dienst der Versöhnung“ (2 Kor 5,18) bevollmächtigt
hat (vgl. auch Mt 18,18f). 4. Liebe über den Tod hinaus Ab dem Mittelalter fragten die Menschen:
Dürfen wir aus diesem Reichtum der Liebe nicht auch für die Verstorbenen
Hilfe erbitten? Ja, ermunterte sie die Kirche, ihr dürft! Verstorbene, die
noch der Läuterung bedürfen, erfahren durch diese „Zuwendung des Ablasses“
Hilfe auf ihrem Weg zum vollen Heil in Gott. Gott will, dass alle, die in
Christus miteinander verbunden sind – der leibliche Tod kann diese Verbindung
nicht zerstören – einander in Liebe zugetan bleiben, sich füreinander
einsetzen, einander die Lasten tragen helfen und füreinander beten – bis alle
ihr ewiges Ziel in Gott erreicht haben. 5. Missbrauch und rechter
Gebrauch liegen oft eng beieinander Menschen können alles missbrauchen: die
Heilige Schrift nicht weniger als die Sakramente, erst recht den Ablass, der
nicht zu den zentralen Dingen unseres Glaubens gehört. Besonders gefährlich
wurde es, als man im Spätmittelalter die Bußwerke zunehmend durch Geldspenden
(z.B. für den Bau prachtvoller Kirchen) ersetzte. Päpste und Bischöfe
bereicherten sich z. T. auch persönlich an dieser Ablasspraxis. Mit Recht
kritisierte Martin Luther diesen „Ablasshandel“, der den Anschein erweckte,
Reiche könnten sich (und ihre verstorbenen Angehörigen) bequem „von
Sündenstrafen freikaufen“ und sich durch Geld der Ernsthaftigkeit der Buße
entziehen. Bald verwarf Luther allerdings die Ablässe überhaupt. Als (späte)
Antwort darauf warnte das Konzil von Trient eindringlich vor Übertreibung und
Missbrauch (vgl. DS 1835) und definierte 1563 sehr allgemein, dass die Kirche
Ablässe gewähren darf und das diese „für das christliche Volk überaus heilsam
sind". 1967 hat Papst Paul VI. die Ablassordnung reformiert. 6. Es geht um Erneuerung des
Taufversprechens Viele katholische Gläubige tun sich heute mit
den äußeren Formen der Ablässe schwer: Warum soll ich eine bestimmte
Kirche aufsuchen, warum gerade ein Glaubensbekenntnis, ein Vaterunser und ein
Ave-Maria beten usw.? Was heißt vollkommener Ablass? Wenn man allerdings einmal ohne das moderne
Vorurteil gegen Reglementierungen die Ablassbedingungen ansieht, entdeckt
man, dass es eigentlich um eine Erneuerung des Taufversprechens und des
Glaubens geht. Das Glaubensbekenntnis soll – und zwar aus
ganzem Herzen! – gesprochen werden, weil es unser Taufbekenntnis ist, weil
wir uns neu unserem Gott zuwenden wollen. Und mit dem Vaterunser nehmen wir
die Worte Jesu in den Mund, weil wir seit der Taufe seine Geschwister und
damit Töchter und Söhne des „Vaters im Himmel“ sind. Im Ave-Maria schauen wir
auf die Mutter Jesu als Urbild des gläubigen Menschen und der ganzen Kirche.
Und weil der Glaube, auf den wir getauft sind, nicht unsere private religiöse
Phantasie ist, sondern ein Geschenk, das wir anderen verdanken, empfiehlt uns
die Kirche, eine Wallfahrt ins Heilige Land zu machen, wo der historische
Ursprung unseres Glaubens liegt, oder nach Rom, zu den Gräbern der Apostel,
der ersten Zeugen des christlichen Glaubens, oder zu einer Kirche, die als
religiöses Zentrum in unserer Heimat gilt. Das gemeinsame Unterwegssein und
das Gotteshaus, in dem schon unsere gläubigen Vorfahren gebetet haben, sind
sinnenfälliger Ausdruck für die große Gemeinschaft der Kirche. Das so
genannte Gebet „auf die Meinung des Heiligen Vaters“ weitet unseren Blick
ebenfalls über die persönlichen Sorgen und Wehwehchen hinaus auf die
Gemeinschaft der Weltkirche und die Anliegen der Menschheit. 7. Vollkommener Ablass? Es ist gar nicht so schwierig, alle äußeren
Bedingungen für einen vollkommenen Ablass zu erfüllen. Zur Vollgestalt des
Jubiläumsablasses gehören auf jeden Fall der Empfang des Bußsakramentes, die Mitfeier der Messe und Teilnahme am Tisch des Herrn. Aber
wie vollkommen der Ablass in seiner Wirkung ist, werden wir
nicht berechnen können, hängt aber wohl auch davon ab, wie vollkommen unsere
Offenheit für Gott ist. 8. Nachsicht, Güte, Zärtlichkeit Abschließend darf ich noch einen Hinweis
machen: Das kirchenamtliche Wort für Ablass, das lateinische „indulgentia“, bedeutet ursprünglich Nachsicht,
Güte und Zärtlichkeit. Es hat überhaupt nichts mit einem mysteriösen
Handel zu tun, sondern lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Gott und seinen
liebevollen Umgang mit uns fehlerhaften Menschen. Wenn wir die Einladung der
Kirche annehmen und die von ihr zur Erlangung eines Ablasses vorgeschlagenen
Zeichen (z.B. Wallfahrt, Gebet, Krankenbesuch usw.) gläubigen Herzens
vollziehen, dürfen wir gewiss sein, der Nachsicht und Güte Gottes zu begegnen
– und dadurch auch selbst nachsichtiger und gütiger zu werden.
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