Karl Veitschegger (2001) Weihnachten für Zweisame – Beitrag für „kirche:konkret“ 12/2001 Nur Kinderfest? „Weihnachten ist das Fest für Kinder“, meint
Sylvia, eine sonst quirlige Friseurin, wehmütig zu ihrer Kundschaft. „Was
soll ich viel feiern? Kind hab ich keines. Ich darf
nicht zu viel essen, mein Lebensgefährte nicht zu viel trinken, das
Fernsehprogramm ist auch nicht interessant. Also bin ich froh, wenn die
Feiertage vorbei sind“. Gar nicht so selten bekommen Paare, die keine
Kinder haben oder deren Sprösslinge schon aus dem Haus sind, Schwierigkeiten,
wenn Sie „unter vier Augen“ Weihnachten feiern sollen. Viele flüchten vor
dieser Zweisamkeit zu Verwandten und suchen Familienanschluss. Andere machen
Weihnachtsurlaub und verbringen den Heiligen Abend in der Gaststube eines
Hotels, wo Weihnachtsstimmung schon mitgebucht werden kann. Immer mehr
fliegen in die Karibik, wo Sonne und Meer alpenländische Weihnachtsgefühle
leichter vergessen lassen. Beim ersten Mal peinlich Anders Karin und Max. Sie sind seit zehn
Jahren verheiratet. Die Hoffnung auf eigenen Nachwuchs mussten sie nach einer
schweren Erkrankung Karins im dritten Ehejahr aufgeben. Die ersten drei
Weihnachten nach der Hochzeit erlebten Sie als Doppelfeier, zuerst bei seinen
und dann bei ihren Eltern. Irgendwann wollten sie das nicht mehr. „Es war
schon ein bisschen peinlich, als wir das erste Mal allein vor dem Christbaum
Stille Nacht gesungen haben“, meint Karin rückblickend. Aber der Abend wurde
dann doch recht schön. Mit der Zeit haben Max und Karin ihr Ritual gefunden.
Heute feiern sie den Heiligen Abend gerne zu zweit in ihrer 60 m²-Wohnung in
Graz; die Verwandten werden grundsätzlich erst an den folgenden Tagen besucht
oder eingeladen. „Es tut uns gut, zu zweit zu sein“, versichert Max
glaubwürdig. Und wie verläuft der Heilige Abend bei Karin
und Max? Was können sie Paaren in ähnlicher Situation raten? „Ich habe am
Heiligen Abend frei, weil unser Büro immer Weihnachtsferien macht. Deshalb
kaufe ich am Vormittag ein, was wir zum Essen brauchen und mache die Wohnung
etwas sauber. Den Einkaufszettel hat Max geschrieben, weil er der bessere
Koch von uns beiden ist. Er kocht das Weihnachtsessen, meist Fisch. Den
großen Weihnachtsputz haben wir schon gemeinsam ein paar Tage zuvor erledigt.
Ich hasse Hetzerei am Heiligen Abend.“ Ein eigener Ritus Haben die beiden auch einen Christbaum? „Ja,
einen kleinen. Den muss ich in der Woche vor Weihnachten besorgen, aber
geschmückt wird er von Karin. Sie hat einmal als Dekorateurin gearbeitet“,
verrät Max. Er kommt am Heiligen Abend gegen 15 Uhr vom Geschäft nach Hause.
Dann holt er mit einer Laterne das „Friedenslicht aus Betlehem“
vom Hauptbahnhof, auch für zwei Familien in der Nachbarschaft, die immer
schon darauf warten. Das „Friedenslicht“ wird im Wohnzimmer in einer Öllampe
aufbewahrt. Max befestigt den Christbaum im Halter, während Karin die
Weihnachtskrippe aufstellt: Keramikfiguren aus Peru, die sie in die Ehe
mitbrachte. Sie sorgt auch für schöne Musik: Weihnachtslieder aus aller Welt.
Besonders die afrikanischen und lateinamerikanischen Lieder tun es den beiden
immer wieder an. Karin schmückt den Baum. Max verschwindet für die nächsten
zwei Stunden in die Küche. Ihm liegt viel daran, für seine Frau und sich ein
köstliches Festessen zu bereiten. Er deckt auch den Tisch. „Es ist nicht gut,
wenn Paare sagen: Für uns zwei zahlt sich ein Festessen nicht aus; jausnen
wir halt etwas aus dem Wurstpapier“, warnt Max, und Karin gibt ihm recht. Altes neu entdeckt „Wenn der Christbaum fertig geschmückt und
das Essen vorbereitet ist, gehen wir rauchen", sagt Karin und lacht herzhaft.
Was meinen die beiden Nichtraucher damit? Tatsächlich, die beiden haben vor
vier Jahren den alten Brauch des „Rauchens“, den man eher auf Bauernhöfen als
in Großstadtwohnungen vermutet, für sich neu entdeckt! Freilich in
abgewandelter Form. Das moderne Rauchgefäß wird in die Mitte des Tisches
gestellt und guter Weihrauch darin verbrannt. Werden dabei auch Gebete
gesprochen? „Noch nicht, aber vielleicht kommt auch das noch“, meint Max
verlegen. „Wenn alles duftet, zünde ich mit dem Friedenslicht die Kerzen am
Christbaum an“, fährt Karin fort, „und lese aus dem Pfarrblatt das
Weihnachtsevangelium vor“. „Das hab ich ursprünglich
komisch gefunden, weil ich im Unterschied zu Karin von zu Hause her so etwas
nicht gewohnt war, aber jetzt finde ich es gut so“, ergänzt Max. „Stille
Nacht" gesungen haben beide schon in ihrem Elternhaus. Das Singen zu
zweit sorgte nur beim ersten zweisamen Heiligen Abend für Verlegenheit, dann
nie mehr. Drei Strophen schaffen Karin und Max problemlos. Karin begleitet
das Lied auf der Gitarre. Ob die beiden auch etwas beten? „Heuer wollen wir
es probieren, ein Vaterunser und vielleicht auch sonst etwas. Bücherl gibt´s
ja genug. Aber es braucht auch Mut“, sind beide einer Meinung. Die Andenkenbox Nach dem „Stille Nacht“ geben die beiden sich
ihre Weihnachtsgeschenke. Auch die Geschenke, die sie von anderen erhalten
haben, werden jetzt geöffnet. Dann wird das von Max zubereitete Essen in
vollen Zügen langsam genossen. „Nach dem Essen hole ich unsere Andenkenbox.
In dieser Schachtel werden Hochzeitseinladungen, Taufanzeigen,
Sterbebildchen, auch Zeitungsausschnitte und andere Erinnerungen aus unserem
Verwandten- und Bekanntenkreis aufbewahrt“, erzählt Karin. „Wir schauen die
Sachen durch und sind mit den betroffenen Menschen im Geiste verbunden. Das
ist auch eine Art Gebet. Die Idee zu dieser Box hatte Max.“ Und Max ist
sichtlich stolz auf seine Erfindung. Die Bildchen, Zettel und Billets führen
jeden Heiligen Abend zu einem anregenden, manchmal auch sehr tiefen Gespräch.
Der gute Wein aus Karins Heimat wirkt dabei unterstützend. Nur hin und wieder
wird das Gespräch durch Anrufe von den Eltern und Geschwistern unterbrochen,
oder besser: neu angeregt. Spät am Abend machen sich Karin und Max zu Fuß auf
den Weg zur Kirche, um dort in großer Gemeinschaft die Christmette zu feiern.
Sie wissen, dass Weihnachten mehr sein kann als leuchtende Kinderaugen und
leise rieselnder Schnee. Karl Veitschegger (2001) Zurück
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