Karl Veitschegger (2004)

 

Welche Art Messias? Predigtgedanken zu Lukas 9,18-24


 

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Auf diese Frage Jesu an seine Jünger antwortet Petrus: „Für den Messias Gottes“. Eine Antwort, die Christen und Christinnen vertraut ist. So vertraut, dass die Brisanz dieser Antwort kaum auffällt.

 

Gefährlicher Titel

Mit großer Selbstverständlichkeit nennen wir in unseren Gottesdiensten Jesus „Messias“ oder noch häufiger „Christus“, womit wir nur das lateinisch-griechische Wort für „Messias“ verwenden. Dass „Messias“ mehr als ein würdevoller Titel ist und die Antwort des Petrus alles andere als eine harmlose Behauptung beinhaltet, wird uns erst durch die scharfe Reaktion Jesu wieder bewusst: „Er verbot ihnen streng, es jemand weiterzusagen.“ Worin bestand denn die Gefahr, Jesus „Messias“ zu nennen?

 

Messias-Glaube

„Messias“ – darunter verstanden viele jüdische Zeitgenossen Jesu eine triumphale Herrscherpersönlichkeit, die Israel vom Joch der Fremdherrschaft befreien und dann aus der Erde eine Art Paradies machen würde. Auch die Jünger scheinen einen solchen Messias ersehnt und ihn in Jesus erhofft zu haben. Aber diese Wünsche entsprachen ganz und gar nicht dem Weg der Erlösung, wie er Jesus aufgetragen war. „Der Menschensohn“, erklärt Jesus im heutigen Evangelium, geht nicht den Weg des irdischen Triumphes, sondern er „muss vieles erleiden“, ja „er wird getötet werden“. Solange die Jünger diesen Weg durch die Niedrigkeit nicht verstehen konnten, sollten sie ihn auch nicht öffentlich als Messias proklamieren. Ihr Messias-Glaube bedurfte noch einer gründlichen Läuterung.

 

Schalom Ben Chorin

Der schmachvolle Tod Jesu am Kreuz und eine Welt, die auch nach dem Kommen Jesu von Ungerechtigkeit und Gewalt geprägt bleibt, lassen bestimmte messianische Wunschträume zerbrechen, machen es bis heute vielen schwer, in Jesus den „Messias Gottes“, den Erlöser der Welt zu erkennen. Schalom Ben Chorin, ein im Jahre 1999 verstorbener jüdischer Theologe, der sich intensiv mit Jesus und dem Christentum auseinandersetzte, schrieb einmal: „Jesus ist für mich der ewige Bruder ... Ich spüre seine brüderliche Hand, die mich fasst, damit ich ihm nachfolge.“ Aber er fügt hinzu: „Es ist nicht die Hand des Messias, diese mit den Wundmalen gezeichnete Hand. Es ist bestimmt keine göttliche, sondern eine menschliche Hand, in deren Linien das tiefste Leid eingegraben ist." (Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht, München, 41981, S.11) Schalom Ben Chorin war tief beeindruckt von der Menschlichkeit Jesu und seinem Schicksal, aber Gottes erlösendes Handeln vermochte er darin nicht zu erkennen.

 

Paulus von Tarsus

Einem anderen jüdischen Theologen, der 19 Jahrhunderte früher lebte, wurde durch ein besonderes Erlebnis vor Damaskus (vgl. Apostelgeschichte 9,1-22) geoffenbart, im Weg des erniedrigten Jesus den Weg Gottes mit den Menschen zu erkennen: Paulus von Tarsus. „Wir verkündigen einen gekreuzigten Messias“, schrieb der zum Apostel Berufene später an die Christen in Korinth, „für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, einen Messias, der Gottes Kraft und Gottes Weisheit ist.“ (1 Kor 1,23; Eigenübersetzung)

 

Die Hand des Messias

An Jesus glauben, ihn als Messias anerkennen, heißt, in seiner menschlichen Hand die erlösende Hand Gottes am Werk sehen. Diese Hand schwingt kein Zepter und kein Schwert. Sie befehligt keine Armeen. Sie ballt sich nicht zur Faust und schlägt nicht zu. Sie zaubert auch kein Paradies herbei. Vielmehr führt sie mit Geduld und Liebe die Ungerechten zur Gerechtigkeit, die Unbarmherzigen zur Barmherzigkeit, die Gewalttätigen zur Gewaltlosigkeit. Sie berührt Aussätzige, heilt Kranke, isst mit den Sündern, wäscht den Jüngern die Füße und verzeiht den Feinden. Sie wird gebunden und ans Kreuz geschlagen, offenbart aber gerade darin eine Liebe, die stärker ist als Sünde und Tod. Indem sie das Leben loslässt und hingibt, gewinnt sie es für die Vielen. Zu Ostern und bei jeder heiligen Messe dürfen wir feiern, dass diese durchbohrte Hand mehr für uns zu tun vermag als alle Fäuste der Welt. „Ich gebe den Menschen ewiges Leben“, sagt Jesus im Johannesevangelium, „und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“ (Joh 10,28)

 

Unaufdringlich, aber kraftvoll

An diesen Weg der Erlösung glauben, sich in dieser Hand geborgen wissen, heißt Christ, Christin sein. Der „Messias Gottes“ ist auch heute – unaufdringlich, aber kraftvoll – auf der Suche nach Menschen, die ihm nachfolgen. Im letzten Buch des Neuen Testamentes spricht er: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir.“ (Offb 3,20) Wer auf sein Wort hört und sich an seinem Mahl stärkt, kann selbst zur helfenden Hand für andere werden, auch dann, wenn kein Vorteil winkt und Opfer von ihm gefordert werden. Wer sein Leben für andere verliert, wird es gewinnen.

 

Das „Gesetz des Messias"

„Einer trage des anderen Last“, mahnt der Apostel Paulus, „so werdet ihr das Gesetz Christi – das Gesetz des Messias – erfüllen.“ (Gal 6,2) Gott schenke uns seinen Heiligen Geist, damit dieses messianische Gesetz zum Gesetz unseres Lebens werde. Dann kann die Welt auch durch uns ein Stück gerechter, friedlicher und menschlicher werden. – „Dein Reich komme!" (Mt 6,10)

 

Karl Veitschegger (Mai 2004)

 

Zurück zur Startseite von Karl Veitschegger

Zurück zum Menü „Artikel, Referate, Skizzen ..."


Karl Veitschegger © 2004