Karl Veitschegger 2013

 

Kirchen – Orte der Mitte

 

Betrachtungen eines katholischen Theologen

in: steirische berichte. Zeitschrift für Erwachsenenbildung und Kulturarbeit 5-6/213


 

„In dieser hellen lieblichen Kirche der dunklen Waldheimat ist es gewesen, wo zwischen Vater und Mutter mich die Gottesnähe so glückselig gemacht hat, wie nirgends seither in der weiten Welt.“

 

Kirchen sind bei weitem nicht immer die geographischen Mittelpunkte der Dörfer und Städte unseres Landes, aber sie sind dennoch sehr oft, wie diese Erinnerung des steirischen Dichters Peter Rosegger erahnen lässt, Orte der Mitte – in einem tieferen, nicht landvermesserischem Sinn: Orte, wo Menschen „das Heilige“ erfahren, also der Mitte ihres Seins begegnen und vielleicht auch der Einsicht, dass Mensch-Sein nur im Miteinander und Füreinander gelingen kann.

 

Nicht erst das Christentum hat uns solche Orte geschenkt. An manchen Stellen, wo heute eine Kirche in den heimatlichen Himmel ragt, befand sich schon, ehe die Botschaft Jesu in unserem Land verkündet und von vielen ernsthaft gelebt wurde, ein sakraler Ort, an dem Menschen sich dem Göttlichen nahe wussten und wo sie Kraft für die Bewältigung ihres Alltags suchten. Dies abfällig als „heidnisch“ zu bezeichnen, wäre zu einfach und aus heutiger katholisch-theologischer Sicht nicht nur lieblos, sondern auch falsch. „Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen“, erklärt das Zweite Vatikanische Konzil (1962 -1965),  „findet sich bei den verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist…Diese Wahrnehmung und Anerkenntnis durchtränkt ihr Leben mit einem tiefen religiösen Sinn …So sind die in der ganzen Welt verbreiteten Religionen bemüht, der Unruhe des menschlichen Herzens auf verschiedene Weise zu begegnen, indem sie Wege weisen: Lehren und Lebensregeln sowie auch heilige Riten. Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.“ Wir dürfen ergänzen: Alle Religionen kennen auch heilige Orte, oft großzügig und kunstvoll gestaltet: Tempel, Synagogen, Moscheen, Pagoden usw. Warum wohl? – Weil Menschen offensichtlich Orte brauchen, die nicht von der Welt des Alltags überschwemmt werden, die zur Ruhe kommen lassen, die auf das Heilige einstimmen und zum Heiligen hinführen. Und das ist gut so.

 

Die Bibel erzählt, dass auch Jesus selbst, auf den sich das Christentum beruft, gerne heilige Orte aufsucht: Sabbat für Sabbat geht er in die Synagoge (Lukas 4,16) und an den großen jüdischen Festtagen zieht er als Pilger zum Tempel in Jerusalem (z. B. Johannes 2,13f). Er entrichtet die damals übliche Steuer zur Erhaltung dieses großen Heiligtums (Matthäus 17,24-27) und tritt leidenschaftlich dafür ein, dass der Tempel nicht zu einem profanen Marktplatz verkommt, sondern als „Haus des Gebetes“ ernst genommen wird (Markus 11,17). Auffällig ist auch, dass Jesus, der sonst ein bescheidenes Leben führt, als Ort für sein „Letztes Abendmahl“ bewusst einen großen und festlich gestalteten Raum wählt (Markus 14,15).

 

Christen und Christinnen wissen: Gott ist überall gegenwärtig und es gibt keinen Ort, wo man nicht zu ihm beten könnte. Zugleich bauen sie Kirchen, in denen sie sich (unabhängig von der Witterung) in größerer Zahl versammeln, miteinander auf die Heilige Schrift hören, die Sakramente feiern und ihrem Glauben durch die Schönheit der Kunst Ausdruck verleihen können. Auch der Kunstsinn ist für sie eine Gabe des Heiligen Geistes. Architektur, Bildende Kunst und Kirchenmusik erzählen von der Größe und Schönheit des Ewigen. Sie können das menschliche Herz weit und offen machen. Theologisch gesagt: Nicht Gott braucht unsere Kirchen, aber wir brauchen sie. Sie sind Gottes Häuser – für uns!

 

Im Lauf der Jahrhunderte wurden in unseren Dörfern und Städten viele Kirchen in unterschiedlichen Stilen errichtet und ausgeschmückt. Ihre Atmosphäre hilft bis heute vielen, Gottes Nähe zu spüren. Gerade auch die vielen kleinen Dorfkirchen haben ihren je eigenen spirituellen Charme. Lassen wir noch einmal Peter Rosegger zu Wort kommen: „Ich habe den Kölner und den Mailänder Dom gesehen und die Peterskirche in Rom, aber die süße Himmelsstimmung wie in dem weißen, lichten Kirchlein zu Kathrein am Hauenstein habe ich sonst nirgends gefunden."

 

Nicht nur überzeugte Christen und Christinnen, sondern auch Menschen, die einer anderen oder keiner Religion angehören, schätzen in der Hektik unserer Tage solche Oasen der Stille. Ja, sie helfen sogar tatkräftig mit, Kirchen zu erhalten, nicht nur als Museen vergangener Epochen, sondern als spirituelle Räume, die auch heute und in Zukunft belebt sind und suchenden Menschen offenstehen. Und übrigens: Ich kenne niemanden, der sich ernsthaft wünscht, Kirchen und Kapellen mögen aus dem Bild unserer Städte und Dörfer verschwinden.

 

Karl Veitschegger 2013

 

(Dieser Artikel erschien in: steirische berichte. Zeitschrift für Erwachsenenbildung und Kulturarbeit 5-6/213, S.29f)

 

 

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