„Weil wir Gott brauchen“ Gedanken zum Motto des 350-Jahre-Jubiläums der Grazer
Grabenkirche. Beitrag für „Neues am Graben“ „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“
(Apostelgeschichte 17,28) Gottlosigkeit –
ein Flop Noch vor 25 Jahren behaupteten
Sozialwissenschaftler, die Religion verliere in der modernen Welt ihren
Platz. Sogar Theologen und Theologinnen sprachen voreilig vom „Tod Gottes“.
Heute wissen wir: Die These vom Verschwinden der Religion war ein Flop.
Religion boomt schon längst wieder – in Nord- und Südamerika genauso wie in
Asien oder Afrika. Kirchen und Moscheen schießen wie Pilze aus dem Boden,
Popstars und Sportgrößen sprechen offen von ihrer „Beziehung zu Gott“. Nur
Europa scheint ein Sonderfall zu sein. Aber auch hier, wo die traditionelle
Religion schmerzhafte Einbrüche erleidet, bezeichnen sich Menschen wieder
häufiger als „spirituell“, auch wenn sie abwehrend hinzufügen: „Aber ich gehe
nicht in die Kirche“. Urfragen des
Menschen Was macht Religion so unausrottbar? Es gehört wohl zur Würde des Menschen, dass er
sich eines Tages auch jenen entscheidenden Fragen stellt, die ihm die
Wissenschaft nie beantworten kann: Wozu bin ich auf der Welt? Welchen Sinn
hat mein Leben? Was bringt der Tod? Die Religionen suchen die Antwort auf diese
Fragen seit jeher in einer (göttlichen) Wirklichkeit, die unsere erforschbare
Welt unendlich übersteigt, sie aber zugleich umfängt und durchwirkt. Sinnvoll leben,
lieben, sterben Christinnen und Christen berufen sich auf
Erfahrungen, die Menschen seit 2000 Jahren mit Jesus von Nazaret machen: In
ihm – so bekennt christlicher Glaube – hat Gott den Menschen alles geschenkt,
was sie brauchen, um sinnvoll leben, sinnvoll lieben und sinnvoll sterben zu
können. Wer Jesus nachfolgt und sich Gott anvertraut, erfährt weise und
liebevolle Führung in seinem Leben, findet auch in schwierigen Situationen
Halt und Orientierung, kann lernen, sich selbst und andere in Liebe und
Geduld anzunehmen. Von einem weisen Mönch stammt das Wort: „Gott ist das, was
dir fehlt, wenn du alles hast. Und das, was du hast, wenn dir alles fehlt“.
Ein Wort, das Nachdenklichkeit verdient. Gott, wie ihn Jesus verkündet, ist
nicht nur eine Idee oder ein Gefühl in uns, sondern eine Wirklichkeit, die
wirklicher ist als wir selbst, wirklicher als Krebs, Atombombe, Depression
und Tod. Gott ist ein liebendes Du, das uns auch dann noch hält, wenn uns
unsere Sinne und Kräfte unwiederbringlich verlassen. Diese kühne Botschaft
der Hoffnung feiern Christinnen und Christen jedes Mal, wenn sie in ihren
Kirchen zusammenkommen. Gute Erfahrungen
mit Gott Diese Hoffnung war 1652 auch der Grund für den Bau
der Grabenkirche. Seither ist sie ein festlicher Raum, in dem Gläubige
gemeinsam auf Gott hören und seine Gegenwart feiern. Eine Lehrwerkstätte
Gottes, in der Menschen die Kunst der Geschwisterlichkeit lernen. Ein Ort der
Stille, an dem Betende sich Gott besonders nahe wissen. Eine geistliche
Mitte, von der Kranken und Sterbenden jenes Brot gebracht wird, das allein
den Hunger des Menschenherzens stillen kann. 350 Jahre Grabenkirche heißt:
350 Jahre Sehnsucht nach Gott. Heißt aber auch: 350 Jahre gute Erfahrungen
mit Gott! Das macht nachdenklich – und ermutigt, Gott auch in Zukunft auf der
Spur zu bleiben. Karl Veitschegger im August 2002 Zurück zur Startseite von
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