Karl Veitschegger (März 2014) Wovon der Papst träumt – Franziskus und die
Freude des Glaubens Impulse für den Diözesanrat der Diözese
Graz-Seckau aus dem programmatischen Schreiben von Papst Franziskus Evangelii
Gaudium, Schloss Seggau, 7. März 2014 „Ich
bin fest überzeugt: Wir stehen in der Kirche am Beginn einer neuen Ära.
Ähnlich wie vor 50 Jahren, als Papst Johannes XXIII. die Kirchenfenster
öffnen ließ, um frische Luft hereinzulassen. Heute will Franziskus die Kirche
in die Richtung führen, in die er selbst vom Heiligen Geist getrieben wird:
näher bei den Menschen, nicht über ihnen thronend, sondern in ihnen
lebendig“. So kommentiert
der honduranische Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga (Kölner
Stadtanzeiger, 20.1.2014) das Neue, das mit Papst Franziskus allgemein
spürbar geworden ist: ein beginnender kirchlicher Klimawandel, den die
meisten katholischen Christen und Christinnen hoffnungsvoll begrüßen, manche
aber auch skeptisch abwartend oder nur sehr irritiert zur Kenntnis nehmen. „Was
will dieser Papst? Was hat er vor?“, fragen viele. Mit seinem Apostolischen
Schreiben Evangelii Gaudium [EG]
hat er uns offensichtlich eine Art Regierungserklärung
gegeben. Hören wir ihn dazu selbst: „Ich
weiß sehr wohl, dass heute die [kirchlichen] Dokumente nicht dasselbe
Interesse wecken wie zu anderen Zeiten und schnell vergessen werden. Trotzdem
betone ich, dass das, was ich hier zu sagen beabsichtige, eine programmatische Bedeutung hat und
wichtige Konsequenzen beinhaltet. Ich hoffe, dass alle Gemeinschaften [in der
Kirche] dafür sorgen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf dem Weg
einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung voranzuschreiten, der die
Dinge nicht so belassen darf wie sie sind. Jetzt dient uns nicht eine reine
Verwaltungsarbeit. Versetzen wir uns in allen Regionen der Erde in einen
Zustand permanenter Mission.“ (EG 25) Ich
entnehme daraus: Die Dinge dürfen nicht so bleiben, wie sie sind, sondern es
muss Reformen geben! Diese sollen von allen Gemeinschaften in der Kirche
mitgetragen werden. Und zwar geht es um Reformen, die der Mission der Kirche dienen: Mission
hier ganz im ursprünglichen Sinn von Sendung. Kirche ist nicht für sich selbst
da, sondern hat von Christus die Sendung und den Auftrag, für die Menschen der jeweiligen Zeit
hilfreich da zu sein. Daher ist – so der Papst wörtlich – „das missionarische
Handeln das Paradigma für alles Wirken der Kirche“ (15). Wir müssen „alles unter
einen missionarischen Gesichtspunkt stellen“(34).
Kurz: Wir müssen wissen, für wen wir da sind, und dann schauen, wie wir
dieses Dasein für andere am besten hinbekommen. Es
ist also wichtig, wenn Sie als Mitglieder des DR sich mit diesem Papstschreiben
ernsthaft auseinandersetzen. Mein Referat will sie zur Lektüre des Dokumentes
anregen, Ihnen diese aber nicht ersparen. Ich biete Ihnen keine
Zusammenfassung oder Rezension des Schreibens, sondern habe für Sie bewusst
fünf Anliegen aus dem Dokument ausgewählt: 1. Die Freude des Christseins drängt zur Evangelisierung 2. Evangelisierung verlangt Mut zu Reformen 3. Besondere Versuchungen der in der Seelsorge Tätigen 4. Jede/r Getaufte ist Subjekt der Evangelisierung 5. An der Seite der Armen für Liebe und Gerechtigkeit 1. Die Freude des Christseins drängt zur
Evangelisierung „Die
Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die
Jesus begegnen.“(EG 1) Mit diesen Worten beginnt
Franziskus sein Schreiben. Und er spricht eine Einladung aus: „Ich lade jeden
Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu
erneuern oder zumindest den Entschluss zu fassen, sich von ihm finden zu
lassen, ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen.“ (EG 3) In Jesus Christus schenkt Gott den
Menschen seine unendliche und unerschütterliche Liebe. Diese ist größer als
jede Not, größer als jede menschliche Schuld, ja stärker als der Tod. Sie ist
barmherzig und verzeiht. Sie kann von jener bitteren Einsamkeit und
Traurigkeit befreien, in die Selbstbezogenheit und übertriebener
Individualismus uns einschließen. Sie stiftet Gemeinschaft und schenkt tiefe
Freude. Diese Erfahrung der Liebe Gottes ist der Kern des Evangeliums. Der
Papst wörtlich: „Dort liegt die Quelle der Evangelisierung. Wenn nämlich
jemand diese Liebe angenommen hat, die ihm den Sinn des Lebens zurückgibt,
wie kann er dann den Wunsch zurückhalten, sie den anderen mitzuteilen?“ (EG
8) Wer die tiefe Freude des
Christseins erfahren hat, will diese Erfahrung weitergeben, wie Paulus
sagt: „Die Liebe Christi drängt uns.“ (2 Kor 5,14) Und der Papst zieht daraus
den Schluss: „Alle haben das Recht, das Evangelium zu empfangen. Die Christen
haben die Pflicht, es ausnahmslos allen zu verkünden, […] wie jemand, der
eine Freude teilt, einen schönen Horizont aufzeigt, ein erstrebenswertes
Festmahl anbietet.“ (EG 14) Aber
erscheint uns und unseren Zeitgenossen diese Botschaft nicht oft zu alt und
verbraucht? – Nein, sagt der Papst und ermutigt die ganze Kirche, sich auf
eine „neue Etappe der Evangelisierung“ (EG 1) einzulassen und sich dabei neu
zur Quelle zu begeben: „Jesus Christus kann auch die langweiligen Schablonen
durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn gefangen zu halten, und überrascht
uns mit seiner beständigen göttlichen Kreativität. Jedes Mal, wenn wir
versuchen, zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen
neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen, aussagekräftigere Zeichen
und Worte reich an neuer Bedeutung für die Welt von heute auf.“ (EG 11) ·
Die Freude am Glauben zu erneuern, ist auch der erste Zielsatz unseres Diözesanen Weges.
Wo erfahren wir die Freude des Christseins? Wo erfahren sie Menschen, die
Christus noch nicht oder nicht mehr kennen? Wie gelingt es, diese Freude
weiterzugeben? Was behindert oder fördert uns in der Evangelisierung? Wo
stehen wir selbst, unsere Gemeinden und Einrichtungen der Frische des
Evangeliums im Weg? 2. Evangelisierung verlangt Mut zu
Reformen Auf
die Frage, wovon der Papst träumt, gibt er selbst die Antwort: „Ich träume
von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die
Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden,
der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient.
Die Reform der Strukturen, die für
die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn
verstanden werden: dafür zu sorgen, dass
sie alle missionarischer werden, dass […] sie die in der Seelsorge
Tätigen in eine ständige Haltung des
‚Aufbruchs‘ versetzt und so die positive Antwort all derer begünstigt,
denen Jesus seine Freundschaft anbietet.“ (EG 27) Der
Papst träumt also von der Fähigkeit, alles Wandelbare in der Kirche zu
verwandeln und zu reformieren, wenn dadurch das Evangelium besser zu den
Menschen kommen kann. Reformen sind notwendig, ja unaufschiebbar, aber ihr
Ziel ist nicht ein Facelifting der Kirche, sondern eine möglichst unbelastete
Evangelisierung. Das gilt für Pfarren (EG 28), die Franziskus
besonders wichtig sind, für kirchliche Einrichtungen, Bewegungen und
Gemeinschaften (EG 29), für
die Diözesen (EG 30) und den Regierungsstil der Bischöfe (EG
31) und auch für den Papst. „Auch das Papsttum und die zentralen Strukturen
der Universalkirche haben es nötig, dem Aufruf zu einer pastoralen
Neuausrichtung zu folgen […]. Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert
das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen.“
(EG 32) Alle sind aufgefordert, „das bequeme
pastorale Kriterium des ‚Es wurde immer so gemacht‘ aufzugeben“ und
„großherzig und mutig die Anregungen dieses Dokuments aufzugreifen, ohne
Beschränkungen und Ängste.“ (EG 33). Alleingänge ohne Rücksicht auf die
Gemeinschaft der Kirche sind freilich zu vermeiden. Da für viele Menschen die Menge kirchlicher
Lehren, Bräuche und Vorschriften nicht mehr zu durchblicken ist, verlangt die
Evangelisierung eine Konzentration auf
das Wesentliche. Der Kern der christlichen Botschaft ist die Schönheit
der Liebe Gottes, „die sich im gestorbenen und auferstandenen Jesus Christus
offenbart hat“ (EG 36). Alles andere leitet sich davon ab. Nicht alle
Glaubensaussagen sind gleich wichtig, sondern im Sinne des Konzils ist eine „Hierarchie der Wahrheiten“ zu
beachten. Das gilt auch für die Morallehre. Nach Thomas von Aquin ist „in
Bezug auf das äußere Handeln die Barmherzigkeit die größte aller Tugenden“
(EG 37), Das wiederum muss – so der Papst – pastorale Konsequenzen haben! Die Kirche kann auch zur Erkenntnis gelangen,
dass manche ihrer ehrwürdigen Bräuche,
die zwar schön, aber nicht direkt mit dem Kern des Evangeliums verbunden
sind, heute nicht mehr der Evangelisierung dienen. Das trifft auch auf manche kirchliche Normen
und Vorschriften zu. „Haben wir
keine Angst, sie zu revidieren!“ (EG 43) Der Papst erinnert an Thomas von Aquin, nach
dessen Lehre nur „ganz wenige“
Vorschriften von Christus und den Apostel stammen und die später
hinzugefügten nur „mit Maß einzufordern“ sind, weil sich Religion sonst in
„Sklaverei“ verwandeln könnte. „Diese Warnung besitzt erschreckende
Aktualität“ (EG 43), meint der Papst und erklärt sie zu einem wichtigen
Kriterium im kommenden Reformprozess. Und er fordert Nachsicht: Wenn einem Menschen
das moralisch Vollkommene nicht möglich ist, soll man aus lauter Rigorismus
das ihm mögliche Gute, das er tut,
nicht geringachten. „Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher
Begrenzungen kann Gott wohlgefälliger sein" als das äußerlich korrekte
Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten
zu stoßen.“ (EG 44) Auch was den Zugang zu den Sakramenten betrifft, soll die Kirche eine großzügige Mutter sein. „Die
Eucharistie ist […] nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein
großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen. Diese
Überzeugungen haben auch pastorale Konsequenzen, und wir sind berufen, sie
mit Besonnenheit und Wagemut in Betracht zu ziehen. Häufig verhalten wir uns
wie Kontrolleure der Gnade und nicht wie ihre Förderer. Doch die Kirche ist
keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem
mühevollen Leben.“ (EG 47) Besonders gilt das für die Armen, die die „ersten
Adressaten des Evangeliums“ (EG 48) sind. „Brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen
das Leben Jesu Christi anzubieten! […] Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf
die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer
Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit […] krank ist. Ich will keine
Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein […]. Wenn uns etwas in
heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die
Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das
Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine
Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und
Leben.“ (EG 49) Die Furcht, Fehler zu
machen, muss geringer sein als die Furcht, „uns einzuschließen in die Strukturen, die uns einen falschen
Schutz geben, in die Normen, die
uns in unnachsichtige Richter verwandeln, in die Gewohnheiten, in denen wir uns ruhig fühlen, während draußen eine
hungrige Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos wiederholt: ‚Gebt ihr
ihnen zu essen!‘“ (EG 49). ·
Was bedeutet das für unseren „Diözesanen Weg“, dessen
zweiter Zielsatz lautet: Die Seelsorge in der Diözese
neu ausrichten? Wie muss eine Seelsorge aussehen, die das Anliegen des
Papstes beherzigt? 3.
Besondere Versuchungen der in der Seelsorge Tätigen Sehr deutlich wird Franziskus, wenn er auf
die „Versuchungen der in der Seelsorge Tätigen“ zu sprechen kommt. Ich sehe
in diesen Passagen von EG (vor allem 76 - 101) einen guten Gewissensspiegel
für uns alle, die wir in der Kirche mitarbeiten, für Priester und Laien. „Heute kann man bei vielen in der Seelsorge
Tätigen […] eine übertriebene Sorge um die persönlichen Räume der
Selbständigkeit und der Entspannung feststellen […].“ (EG 79) Sie beten zwar
und finden in religiösen Dingen einen gewissen Trost, aber beziehen daraus
nicht mehr die Kraft für „die Begegnung mit den anderen, den Einsatz in der
Welt und die Leidenschaft für die Evangelisierung“(EG78). Manche sind nicht
glücklich über das, was sie sind und was sie tun, und das schwächt ihren
Einsatz. Statt das Leben gerne für die anderen einzusetzen, verfallen sie
einem „praktischen Relativismus“, der darin besteht, im Alltag „so zu
handeln, als gäbe es Gott nicht, so zu entscheiden, als gäbe es die Armen
nicht, so zu träumen, als gäbe es die anderen nicht, so zu arbeiten, als gäbe
es die nicht, die die Verkündigung noch nicht empfangen haben“ (EG 80). Auch
Leute von anscheinend solider religiöser Überzeugung klammern sich an
wirtschaftliche Sicherheiten und Machtbereiche. Besonders schlimm ist der
„graue Pragmatismus des kirchlichen Alltags“, wo nach außen hin alles
funktioniert, aber der Glaube verbraucht und schäbig wird. Der Papst nennt mehrere Ursachen für Trägheit, Müdigkeit und Pessimismus
in der Seelsorge. Ihre Überwindung sieht er darin, wieder offen zu werden für
die Freude des Evangeliums. Und
diese Freude wird in uns immer dann neu entfacht und gestärkt, wenn wir uns
wieder konkret Mitmenschen zuwenden,
vor allem den Armen. Franziskus ist spürbar in seinem Element,
wenn er zu einer Mystik des
Miteinanders ermutigt, „die darin liegt, zusammen zu leben, uns unter die
anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten, uns
anzulehnen, teilzuhaben an dieser etwas chaotischen Menge, die sich in eine
wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische
Karawane, in eine heilige Wallfahrt […]. Aus sich selbst herausgehen, um sich
mit den anderen zusammenzuschließen, tut gut.“ (EG 87) Wer sich hingegen von den anderen abkapselt,
verzichtet auf den „Realismus der sozialen
Dimension des Evangeliums“. Er sucht einen „Christus ohne Leib“ (EG 88)! Viele streben heute nach einer
Spiritualität, der die ganz reale Zuwendung zum Nächsten fehlt. „Unterdessen lädt das Evangelium uns immer
ein, das Risiko der Begegnung mit dem Angesicht des anderen einzugehen, mit
seiner physischen Gegenwart, die uns anfragt, mit seinem Schmerz und seinen
Bitten, mit seiner ansteckenden Freude in einem ständigen unmittelbar
physischen Kontakt. Der echte Glaube an den Mensch
gewordenen Sohn Gottes ist untrennbar von der Selbsthingabe, von der Zugehörigkeit
zur Gemeinschaft, vom Dienst,
von der Versöhnung mit dem Leib der
anderen. Der Sohn Gottes hat uns in seiner Inkarnation zur Revolution der zärtlichen Liebe
eingeladen.“ (EG 88) Dann warnt der Papst vor dem, was er „spirituelle Weltlichkeit“ nennt.
Manches, was sich in der Kirche breitmacht, sieht religiös und wichtig aus,
ist aber im Innern doch nur weltlich und gottlos: „Bei einigen ist eine
ostentative Pflege der Liturgie, der Lehre und des Ansehens der Kirche
festzustellen, doch ohne dass ihnen […] die
konkreten Erfordernisse der Geschichte Sorgen bereiten. Auf diese Weise
verwandelt sich das Leben der Kirche in ein Museumsstück oder in ein Eigentum
einiger weniger. Bei anderen verbirgt sich dieselbe spirituelle Weltlichkeit
hinter dem Reiz, gesellschaftliche oder politische Errungenschaften vorweisen
zu können, oder in einer Ruhmsucht, die mit dem Management praktischer
Angelegenheiten verbunden ist […]. Sie kann auch ihren Ausdruck in verschiedenen
Weisen finden, sich selbst davon zu überzeugen, dass man in ein intensives
Gesellschaftsleben eingespannt ist, angefüllt mit Reisen, Versammlungen,
Abendessen und Empfängen. Oder sie entfaltet sich in einem
Manager-Funktionalismus, [...] wo der hauptsächliche Nutznießer nicht das
Volk Gottes ist, sondern eher die Kirche als Organisation. In allen Fällen
fehlt dieser Mentalität das Siegel des Mensch
gewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus, sie schließt sich in
Elitegruppen ein und macht sich nicht wirklich auf die Suche nach den
Fernstehenden, noch nach den unermesslichen, nach Christus dürstenden
Menschenmassen. Da ist kein Eifer mehr für das Evangelium, sondern der
unechte Genuss einer egozentrischen Selbstgefälligkeit.“ (EG 95) „Die spirituelle Weltlichkeit führt einige
Christen dazu, im Krieg mit anderen Christen zu sein, die sich ihrem Streben
nach Macht, Ansehen, Vergnügen oder wirtschaftlicher Sicherheit in den Weg
stellen […]. Mehr als zur gesamten Kirche mit ihrer reichen Vielfalt, gehören
sie zu dieser oder jener Gruppe, die sich als etwas Anderes oder etwas
Besonderes empfindet.“ (EG 98) 4. Jede/r
Getaufte ist Subjekt der Evangelisierung Franziskus zeichnet ein sehr warmherziges
Bild von Kirche: „Kirche sein bedeutet Volk Gottes sein, in Übereinstimmung
mit dem großen Plan der Liebe des Vaters. Das schließt ein, das Ferment
Gottes inmitten der Menschheit zu sein. Es bedeutet, das Heil Gottes […]
hineinzutragen in diese unsere Welt […]. Die Kirche muss der Ort der ungeschuldeten
Barmherzigkeit sein, wo alle sich aufgenommen und geliebt fühlen können, wo
sie Verzeihung erfahren und sich ermutigt fühlen können, gemäß dem guten
Leben des Evangeliums zu leben.“ (EG 114) Der Papst betont, dass die Mehrheit dieses
Gottesvolkes Laien sind: „Die Laien sind schlicht die riesige Mehrheit des Gottesvolkes. In ihrem Dienst steht eine Minderheit:
die geweihten Amtsträger.“ (EG 102) „Das Amtspriestertum ist eines der
Mittel, das Jesus zum Dienst an seinem Volk einsetzt, doch die große Würde
kommt von der Taufe, die allen zugänglich ist.“ (104) Das sagt der Papst
gerade auch im Hinblick auf die Frauen,
denen das Amtspriestertum nicht offensteht: „Ich sehe mit Freude, wie viele
Frauen pastorale Verantwortungen gemeinsam mit den Priestern ausüben, ihren
Beitrag zur Begleitung von Einzelnen, von Familien oder Gruppen leisten und
neue Anstöße zur theologischen Reflexion geben. Doch müssen die Räume für
eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche noch erweitert werden.“
Auch dort, „wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden“ (EG 103) Die Laien, Männer und Frauen, sind sich ihrer
Verantwortung, die aus Taufe und Firmung
hervorgeht, nicht immer genügend bewusst. „In einigen Fällen, weil sie nicht
ausgebildet sind, um wichtige Verantwortungen zu übernehmen, in anderen
Fällen, weil sie in ihren Teilkirchen aufgrund eines übertriebenen
Klerikalismus, der sie nicht in die Entscheidungen einbezieht, keinen Raum
gefunden haben, um sich ausdrücken und handeln zu können.“ (EG 102) Franziskus ruft jede Getaufte und jeden
Getauften auf, sich an der Evangelisierung zu beteiligen. Er tut dies mit
Worten, die schon irritieren und sogar Widerstand auslösen können. Aber
lassen wir uns zuerst einmal von ihnen betreffen: „Jeder
Getaufte ist, unabhängig von seiner Funktion in der Kirche und dem
Bildungsniveau seines Glaubens, aktiver
Träger der Evangelisierung, und es wäre unangemessen, an einen
Evangelisierungsplan zu denken, der von qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt
würde, wobei der Rest des gläubigen Volkes nur Empfänger ihres Handelns wäre.
Die neue Evangelisierung muss ein neues Verständnis der tragenden Rolle eines
jeden Getauften einschließen. Diese Überzeugung wird zu einem unmittelbaren
Aufruf an jeden Christen, dass niemand von seinem Einsatz in der
Evangelisierung ablasse; wenn einer nämlich wirklich die […] Liebe Gottes
erfahren hat, braucht er nicht viel Vorbereitungszeit, um sich aufzumachen
und sie zu verkündigen; er kann nicht darauf warten, dass ihm viele Lektionen
erteilt oder lange Anweisungen gegeben werden. Jeder Christ ist in dem Maß Missionar, in dem er der Liebe Gottes in
Jesus Christus begegnet ist […]. Wenn wir nicht überzeugt sind, schauen
wir auf die ersten Jünger, die sich unmittelbar, nachdem sie den Blick Jesu
kennen gelernt hatten, aufmachten, um ihn voll Freude zu verkünden […] Und
wir, worauf warten wir? (EG 120) Als Angehörige einer Bildungsgesellschaft
macht uns das stutzig. Vielleicht mit Recht. Aber hören wir dem Papst, der
durchaus weiß, dass es auch religiöse Aus- und Weiterbildung geben muss, noch
weiter zu: „Gewiss sind wir alle gerufen, als Verkünder
des Evangeliums zu wachsen“ und
„bemühen uns um eine bessere
Ausbildung“, das „bedeutet jedoch nicht, dass wir unterdessen von unserer
Aufgabe zu evangelisieren absehen müssen, sondern wir sollen die Weise
finden, die der Situation angemessen ist, in der wir uns befinden. In jedem
Fall sind wir alle gerufen, den anderen ein klares Zeugnis der heilbringenden
Liebe des Herrn zu geben, der uns […] seine Nähe, sein Wort und seine Kraft
schenkt und unserem Leben Sinn verleiht.“ Und jetzt kommt ein entscheidender
Satz: „Dein Herz weiß, dass das Leben
ohne ihn nicht dasselbe ist. Was du entdeckt hast, was dir zu leben hilft und
dir Hoffnung gibt, das sollst du den anderen mitteilen. Unsere
Unvollkommenheit darf keine Entschuldigung sein […].“ (EG 121) Der Papst gibt auch einige praktische Tipps
für diese „informelle Verkündigung“ von Mensch zu Mensch (siehe EG 127). ·
Wie können wir diesen wichtigen Impuls zur
„Evangelisierung von Mensch zu Mensch“ in geeigneter Weise aufgreifen und
fördern? 5. An
der Seite der Armen für Liebe und Gerechtigkeit Dass die christliche Botschaft unverkürzt
verkündet wird, war schon immer Sorge der Päpste. Bei Papst Franziskus konzentriert
sich diese Sorge auf die soziale
Dimension des Evangeliums. Sie darf nicht zu kurz kommen. Sonst wird die
Evangelisierung entstellt. „Aus einer Lektüre der Schrift geht […] klar
hervor, dass das Angebot des Evangeliums nicht nur in einer persönlichen
Beziehung zu Gott besteht. Und unsere Antwort der Liebe dürfte auch nicht als
eine bloße Summe kleiner persönlicher Gesten gegenüber irgendeinem
Notleidenden verstanden werden; das könnte eine Art ‚Nächstenliebe à la
carte‘ sein [...] Das Angebot [des
Evangeliums] ist das Reich Gottes
[…]. In dem Maß, in dem er [Gott] unter uns herrschen kann, wird das
Gesellschaftsleben für alle ein
Raum der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Würde sein.“
(EG 180). Die Soziallehre der Kirche muss daher die gesamte Gesellschaft im
Auge haben und so konkret und konstruktiv sein, dass man sich von ihr
betroffen fühlt. (EG 182) Gott will das Glück
seiner Kinder nicht nur im Jenseits, sondern auch auf dieser Erde. Er „hat alles erschaffen, ‚damit sie sich
daran freuen können‘ (1 Tim 6,17), damit alle sich daran freuen können“(EG 182). „Ein authentischer Glaube […] schließt immer
den tiefen Wunsch ein, die Welt zu verändern, Werte zu übermitteln, nach
unserer Erdenwanderung etwas Besseres zu hinterlassen. Wir lieben diesen
herrlichen Planeten, auf den Gott uns gesetzt hat, und wir lieben die
Menschheit, die ihn bewohnt, mit all ihren Dramen und ihren Mühen, mit ihrem
Streben und ihren Hoffnungen, mit ihren Werten und ihren Schwächen. Die Erde
ist unser gemeinsames Haus, und wir sind alle Brüder.“ (EG183) Unsere besondere Liebe muss dabei den Armen
gelten: „Jeder Christ und jede Gemeinschaft ist berufen, Werkzeug Gottes für
die Befreiung und die Förderung der Armen
zu sein, so dass sie sich vollkommen in
die Gesellschaft einfügen können; das setzt voraus, dass wir gefügig sind
und aufmerksam, um den Schrei des Armen zu hören und ihm zu Hilfe zu kommen.“
(EG 187) Das Wort Jesu an seine Jünger: „Gebt ihr
ihnen zu essen!“ (Mk 6,37) „beinhaltet sowohl die Mitarbeit, um die
strukturellen Ursachen der Armut zu beheben und die ganzheitliche Entwicklung
der Armen zu fördern, als auch die einfachsten und täglichen Gesten der
Solidarität angesichts des ganz konkreten Elends, dem wir begegnen.“ (EG 188)
„Solidarität“, meint der Papst, muss
mehr sein, als gelegentlich eine großherzige Tat zu setzen. Sie erfordert
eine „neue Mentalität“, die weiß, dass Eigentum
immer mit einer sozialen Verpflichtung verbunden ist und dass die Güter dieser Welt wirklich
für alle bestimmt
sind. Solidarität muss „als die Entscheidung gelebt werden, dem Armen das
zurückzugeben, was ihm zusteht“ (EG 189). Das gilt lokal und auch global. „An
jedem Ort und bei jeder Gelegenheit sind die Christen, ermutigt von ihren
Hirten, aufgerufen, den Schrei der Armen zu hören.“ (EG190) „Im Herzen Gottes gibt es einen so
bevorzugten Platz für die Armen, dass er selbst ‚arm wurde‘ (2 Kor 8,9).“ (EG
197) Und so muss auch die Kirche ihre „Option für die Armen“ treffen, ja eine
„arme Kirche für die Armen“ (EG 198) werden. Die Armen sind ein bevorzugter Ort der Christusbegegnung: „Sie haben
uns vieles zu lehren. Sie […] kennen […] dank ihrer eigenen Leiden den
leidenden Christus. Es ist nötig, dass wir alle uns von ihnen evangelisieren
lassen. Die neue Evangelisierung ist eine Einladung, die heilbringende Kraft
ihrer Leben zu erkennen und sie in den Mittelpunkt
des Weges der Kirche zu stellen. Wir sind aufgerufen, Christus in ihnen
zu entdecken, uns zu Wortführern ihrer Interessen zu machen, aber auch ihre
Freunde zu sein, sie anzuhören, sie zu verstehen und die geheimnisvolle
Weisheit anzunehmen, die Gott uns durch sie mitteilen will.“ (EG 198) Eine solche Theologie der Armen hat für
jede/n von uns Konsequenzen: „Niemand dürfte sagen, dass er sich von den
Armen fern hält, weil seine Lebensentscheidungen es
mit sich bringen, anderen Aufgaben mehr Achtung zu schenken. Das ist eine in
akademischen, unternehmerischen oder beruflichen und sogar kirchlichen
Kreisen häufige Entschuldigung. […]. [Aber es] darf sich niemand von der Sorge um die Armen und um die soziale
Gerechtigkeit freigestellt fühlen […].“ (EG 202) ·
Als Kirche die
Gesellschaft mitgestalten, heißt der dritte Zielsatz des „Diözesanen Weges“.
Wie reagieren wir als katholische Kirche in der Steiermark und als Einzelne
auf den dringlichen sozialen Appell des Papstes? „Ich
fürchte“, sagt der Papst, „dass auch diese Worte nur Gegenstand von
Kommentaren ohne praktische Auswirkungen sein werden. Trotzdem vertraue ich
auf die Offenheit und die gute Grundeinstellung der Christen, und ich bitte
euch, gemeinschaftlich neue Wege zu suchen, um diesen erneuten Vorschlag
anzunehmen.“ (EG 202) Karl Veitschegger © 2014 |