Karl Veitschegger

 

Eucharistie ohne Priester?

 

Eucharistie und geistliches Amt – Theologische Notizen zum Weiterdenken (1999/2007)


 

Muss immer ein geweihter Priester (ordinierter Amtsträger) da sein, damit Eucharistie gefeiert werden kann? Die katholische Kirche und mit ihr alle Kirchen, die es schon vor der Reformation gab, bejahen diese Frage. Die protestantischen Kirchen sagen ziemlich einhellig nein dazu. Das Neue Testament selbst enthält keine Anweisungen, wer das „Herrenmahl“ zu leiten hat. Allerdings lässt sich schon früh ein Zusammenhang zwischen Gemeindeleitung und Eucharistie nachweisen, der später dogmatisch entfaltet wurde:

 

In der Apostelgeschichte (um 85 n. Chr.) lesen wir: „Von Milet aus schickte er (Paulus) jemand nach Ephesus und ließ die Presbyter der Gemeinde zu sich rufen. Als sie bei ihm eingetroffen waren, sagte er: [...] Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen (episkopoi) bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen [Sohnes] erworben hat.“ (Apg 20,17f;28) Dieser Text der Apostelgeschichte nennt bereits in einem Atemzug „Presbyter, „Bischöfe“, „Hirten“,Gemeinde" und das „Blut seines Sohnes (= Lebenshingabe Christi; hier als Ursprung der Kirche vorgestellt). Freilich wird das Mahl des Herrn hier nicht direkt genannt, aber es war zur Zeit der Apostelgeschichte zweifellos schon die regelmäßige Feier des Todes Jesu, also der Hingabe seines Leibes und Blutes. „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1 Kor 11,26. Vgl. auch Mt 26,29; Mk 14,25; Lk 22,16-18.) Der Dienst der Hirten, der für die Leitung der Gemeinde wesentlich ist, wird auch für die zentrale Feier der Gemeinde nicht unwesentlich sein.

 

In der frühchristlichen Schrift Didache (um 100 n. Chr., manche setzen sie noch früher an) wird der christliche Gottesdienst ausdrücklich als „Opfer“ (thysia) und werden Dienste an der Gemeinde als „priesterlich“ bezeichnet. Da es zur Lebenshingabe Jesu keine zusätzlichen Opfer (mehr) gibt, kann theologisch nur eine Vergegenwärtigung des einmaligen „Opfers“ Jesu und seines einzigartigen „Priestertums“ angenommen werden (vgl. auch Hebräerbrief). Die Didache erwähnt den Dienst der Lehrer, der Apostel, der Propheten, der Bischöfe (episkopoi) und Diakone. Für die Propheten, die in die Gemeinde kommen, gilt: „Den Propheten aber gestattet, das Eucharistie-Gebet zu sprechen (eucharistein), soviel sie wollen." (10,7) Gemeint ist wohl, sie brauchen sich nicht an vorgegebene Gebete halten. „Gib die Erstlingsgabe den Propheten; sie sind nämlich eure Hohenpriester (archiereis)“ (13,3) Und weiter heißt es: „Wenn ihr am Herrentag zusammenkommt, brecht das Brot und sprecht das Eucharistie-Gebet (eucharistesate), nachdem ihr zuvor eure Übertretungen bekannt habt, damit euer Opfer (thysia) rein sei. Keiner, der einen Streit mit seinem Nächsten hat, komme mit euch zusammen, bis sie sich wieder ausgesöhnt haben, damit euer Opfer nicht unrein wird. Über dieses ist vom Herrn gesagt worden: ,An jedem Ort und zu jeder Zeit (ist) mir ein reines Opfer darzubringen, denn ich bin ein großer König, spricht der Herr, und mein Name wird bei den Heiden bewundert' (Mal 1,11.14). Bestimmt nun durch Handauflegung (cheirotonesate) Bichöfe (episkopoi) und Diakone, die des Herrn würdig sind [...]; denn sie machen euch die Liturgie (leiturgusi), auch die Liturgie der Propheten und Lehrer. Achtet sie also nicht gering; denn sie sind eure Geehrten zusammen mit den Propheten und Lehrern." (14,1 - 15,2) Propheten, Lehrer, Bischöfe (episkopoi) und Diakone sind im Bereich der Didache (Gemeinden in Syrien?) besonders verantwortlich für den christlichen Gottesdienst, der als „Liturgie“, also als priesterlicher Dienst verstandenen wird.

 

Im Ersten Klemensbrief, einem um 96 n. Chr. verfassten Schreiben der Gemeinde von Rom an die Gemeinde von Korinth, lesen wir: „Unsere Apostel haben durch unseren Herrn Jesus Christus gewusst, dass es Streit geben würde über das Bischofsamt. Aus diesem Grunde nun [...] setzten sie die eben Genannten ein und gaben danach Anweisungen, dass, wenn sie entschliefen, andere bewährte Männer ihren Dienst übernehmen sollten. Dass nun die, die eingesetzt worden waren [...] aus dem Dienst entfernt werden, halten wir nicht für recht. Denn keine kleine Sünde wird es für uns sein, wenn wir die, die untadelig und fromm die Opfer dargebracht haben, vom Bischofsamt entfernen." (44,1-4) Der christliche Gottesdienst wird in einer gewissen Analogie zur alten jüdischen Tempelliturgie gesehen (der Jerusalemer Tempel war damals bereits zerstört) und christliche Vorsteher als „Liturgen“ verstanden.

 

Unter den frühchristlichen Diensten kristallisiert sich ziemlich rasch der Dienst des „Bischofs“ (episkopos) als der maßgebliche Hirtendienst heraus. Ignatius von Antiochien (+ um 117 n. Chr.) schreibt: „Nur die Eucharistie gilt als rechtmäßig, die unter dem Vorsitz des Bischofs oder dessen gefeiert wird, den dieser dazu beauftragt.“ (IgnSmyr 8,1) Hirtendienst und Leitung der Eucharistie gehen Hand in Hand.

 

Eine aus heutiger Sicht ausgereifte eucharistische Liturgie beschreibt Justin der Märtyrer (2. Jh.). Die Rolle seines „Vorstehers“ ist die des Bischofs und Priesters heute (apol. 1,65 und 1,67).

 

Die deutschsprachigen Bischöfe schreiben im Jahre 1969: „Erst die unmittelbar nachneutestamentliche Zeit zeigt, dass die Leitung der Eucharistie und der Sündenvergebung priesterliche Vollmachten sind, die nur dem Amtsträger zukommen. Diese Entfaltung und Klärung [...] ist nur ein Beispiel dafür [...], wie die frühe Kirche [...] eine tiefere Einsicht in die ihr anvertraute Wahrheit der Offenbarung gewinnt." (Schreiben der Bischöfe des deutschsprachigen Raumes über das priesterliche Amt, Trier 1969)

 

Alle Ostkirchen, ob sie vorephesinisch, vorchalzedonensisch oder chalzedonensisch sind, halten daran fest, dass nur ein auf Lebenszeit ordinierter Bischof oder Presbyter (Priester) der Eucharistie vorstehen kann. Dieser gewaltige Konsens ist theologisch nicht gering zu achten.

Nach dem ersten reformiert/römisch-katholischen Dialog auf internationaler Ebene (Die Gegenwart Christi in Kirche und Welt: Gespräche zwischen dem Reformierten Weltbund und dem Sekretariat für die Einheit der Christen der Römisch-Katholischen Kirche; 1970–1977) ist 1977 festgehalten worden „Der Vorsitz des beauftragten kirchlichen Amtsträgers bei der Feier des Mahles bringt diese einzigartige Rolle Christi als des Herrn und Gastgebers zur Geltung. Der beauftragte Amtsträger soll der versammelten Gemeinde zeigen, dass sie selbst nicht über die Eucharistie zu verfügen hat, sondern nur im Gehorsam das nachvollzieht, was Christus der Kirche aufgetragen hat.“ (Nr. 75) Und: Die Handauflegung ist ein wirksames Zeichen, wodurch der Glaubende in das übertragene Amt eingeführt und darin bestätigt wird. Nicht die Gemeinde bringt das Amt hervor und autorisiertes, sondern der lebendige Christus schenkt es ihr und fügt es in ihr Leben ein.“ (Nr. 98)

Eine wichtige Stimme aus der Ökumene ist das Dokument „Taufe, Eucharistie und Amt. Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchen-verfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen“ (1982). Hier steht: „Besonders in der eucharistischen Feier ist das ordinierte Amt der sichtbare Bezugspunkt der tiefen und allumfassenden Gemeinschaft zwischen Christus und den Gliedern seines Leibes.“ (Amt 14) „Der Diener (minister) der Eucharistie ist der Botschafter, der die göttliche Initiative repräsentiert und die Verbindung der Ortsgemeinde zu den anderen lokalen Gemeinschaften in der universalen Kirche zum Ausdruck bringt.“ (Eucharistie 29)

 

Gisbert Greshake erklärte 1982 in einem Vortrag vor den österreichischen Bischöfen (und mit deren Zustimmung): „Bereits im Judentum konnte nicht jeder Pesach feiern, sondern eben nur der Hausvater. In Analogie dazu darf man annehmen – und dafür gibt es Hinweise –, dass sich auch die Feier der Eucharistie von Anfang an im Kontext einer apostolischen Ordnung vollzog, ohne dass wir deren Einzelheiten wissen [...] Dennoch: Dass es in extremer Notsituation, etwa in einer priesterlosen verfolgten Kirche, sinnvoll sein könnte, auch ohne geweihte Amtsträger die Zeichen der eucharistischen Feier zu setzen und die Memoria des Herrn zu feiern, kann wohl kaum absolut ausgeschlossen werden. Diese Sachlage ist aber sehr zu unterscheiden von einer Praxis, in der ein einzelner oder eine Gemeinschaft sich über die kirchliche Ordnung hinwegsetzt und eigenmächtig ohne Priester Eucharistie feiert.“ (Priester – Mitarbeiter Christi. Studientagung der Österreichischen Bischofskonferenz 1982, S. 32).

 

Johannes Paul II erklärt 2003 in seiner Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (29):  „Die Gemeinde, die zur Feier der Eucharistie zusammenkommt, benötigt unbedingt einen geweihten Priester, der ihr vorsteht, um wirklich eucharistische Versammlung sein zu können. Auf der anderen Seite ist die Gemeinde nicht in der Lage, sich selbst den geweihten Amtsträger zu geben. Dieser ist eine Gabe, die sie durch die auf die Apostel zurückgehende Sukzession der Bischöfe empfängt. Es ist nämlich der Bischof, der durch das Sakrament der Weihe einen neuen Priester bestellt und ihm die Vollmacht überträgt, die Eucharistie zu feiern.“

 

Benedikt XVI. 2007 erklärt in Sacramentum caritatis (53): „Wie die Tradition der Kirche bestätigt, ist er [der Ordinierte] in unersetzlicher Weise derjenige, welcher der gesamten Eucharistiefeier vorsteht, vom Eröffnungsgruß bis zum Schlusssegen. Kraft der heiligen Weihe, die er empfangen hat, vertritt er Jesus Christus, das Haupt der Kirche, und in der ihm eigenen Weise auch die Kirche selbst. Jede Feier der Eucharistie wird vom Bischof geleitet, entweder von ihm selbst oder durch die Priester als seine Helfer.“

 

Gegen das klassische katholische/orthodoxe Amtsverständnis wird immer wieder eingewendet, das Bischofsamt habe doch erst im zweiten Jahrhundert jene Gestalt erhalten, die katholische und orthodoxe Theologie für unverzichtbar hält. Den gleichen Einwand könnte man dann freilich auch gegen des Neue Testament vorbringen. Auch dieses erhielt seine verbindliche Gestalt erst in dieser Zeit (und später). Und wie keine Kirche daran denkt, die Kanon-Entwicklung wieder rückgängig zu machen, halten katholische und orthodoxe Kirchen die Entwicklung des apostolischen Amtes für irreversibel, für sinnvoll und gottgewollt. Ob damit aber theologisch allen anderen Formen des geistlichen und liturgischen Dienstes, wie sie im evangelischen Bereich inzwischen Tradition geworden sind, die „Vergegenwärtigung Christi“ abgesprochen werden darf, muss katholischerseits im Blick auf den Willen Christi, der sich allen, die an ihn glauben, schenken will, neu bedacht werden.

 

Karl Veitschegger (1999/2003/2007)

 

 

Geistliches Amt als Stellvertretung Christi in der lutherischen Theologie:

 

„Es nimmt den Sakramenten nicht ihre Wirksamkeit, dass sie durch Unwürdige gehandelt werden, denn diese repräsentieren die Person Christi wegen ihrer Berufung durch die Kirche. Sie repräsentieren nicht ihre eigenen Personen, wie Christus bezeugt: Wer euch hört, hört mich. Wenn sie das Wort Christi, wenn sie die Sakramente darreichen, reichen sie sie in Stellvertretung Christi dar." (Apologie der Augsburgischen Konfession,1531)

Lateinischer Text: „Nec adimit sacramentis efficaciam, quod per indignos tractantur, quia repraesentant Christi personam propter vocationem ecclesiae, non repraesentant proprias personas, ut testatur Christus, Qui vos audit, me audit. Cum verbum Christi, cum sacramenta porrigunt, Christi vice et loco porrigunt."

(Apologia Confessionis Augustanae, 1531)

 

 

„Gemeinsam am Tisch des Herrn“ (Votum des ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen, 2019) 

 

 

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