Karl Veitschegger (1998)

 

Mein Beitrag zum „Dialog für Österreich“ 1998

Ideen zur Kirchenreform


 

Als Reaktion auf die „Causa Kardinal Groer" im Jahre 1995 initiierten einige Laien in Tirol das so genannte „Kirchen-Volksbegehren", das in kurzer Zeit rund 500.000 (!) Österreicher/innen unterzeichneten. Als Antwort darauf riefen die (unter sich uneinigen) Bischöfe zum „Dialog für Österreich" auf, um Wege aus der Kirchenkrise zu finden. Das Büro „Dialog für Österreich" sammelte Ideen. Am 29. März 1998 schickte ich folgenden Vorschlag für kurze, konkrete und konsensfähige Reformgrundsätze an das Büro. Bischof Johann Weber, damals Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz, ermutigte mich ausdrücklich dazu.

So dachte ich 1998 über Kirchenreform:

 

"Siehe, ich schaffe etwas Neues: schon sprosst es, merkt ihr es nicht?"
Jesaja 43,19

 

1. Die katholische Kirche stellt sich in Österreich als bunte und vielfältige Gemeinschaft dar, die auch heftige Auseinandersetzungen und Konflikte durchlebt. Bei aller Verschiedenheit wissen wir uns aber im Wesentlichen eins.

 

2. Wir sind eins im Bekenntnis zu unserem Herrn Jesus Christus, im Hören auf das Wort Gottes in der Hl. Schrift, in der gemeinsamen Verpflichtung zur Gottes- und Nächstenliebe und in der Überzeugung, dass der Hl. Geist die Kirche trotz menschlicher Schwächen begleitet, um sie „in die ganze Wahrheit zu führen" (Joh 16,13). Wir sind verbunden in der Feier derselben Sakramente und in der Anerkennung der Hirtenaufgabe unserer Bischöfe und des Einheitsamtes des Petrusnachfolgers.

 

3. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche wollen bis zum Jahre 2003 alle Haushalte in Österreich besuchen. Der begonnene „Dialog für Österreich" soll im Dialog mit möglichst vielen Menschen in Österreich seine Fortsetzung finden.

 

4. Zur leichteren Orientierung in Glaubens- und Lebensfragen bieten wir ab dem Jahre 2000 einen „katholischen Kurzkatechismus" an, in dem die wichtigsten Inhalte der christlichen Glaubensbotschaft und die Grundzüge christlicher Lebensordnung kurz und prägnant zusammengefasst sind.

 

5. Aus der Glaubens- und Kulturgeschichte Österreichs ist das Wirken von Priestern und Ordensleuten nicht wegzudenken. Wir regen deshalb für die nächsten drei Jahren einen österreichweiten „Dialog zu den geistlichen Berufen" an: Alle Priester und Ordensleute sollen gefragt werden, worin sie die besondere Aufgabe der geistlichen Berufe (bzw. ihrer Gemeinschaft) für unser Land und unsere Zeit sehen. Auch die Pfarrgemeinden, alle kirchlichen Gruppen und alle interessierten Menschen werden eingeladen, an diesem Dialog – betend, denkend, redend – teilzunehmen. Wir wollen besser verstehen lernen, wie heute dem Ruf Gottes zum geistlichen Amt und zum Ordensleben entsprochen werden soll.

 

6. Die ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeit der Laien in der Kirche entspricht dem Wesen der Kirche und ist nicht bloß als Notlösung für Zeiten des Priestermangels zu verstehen.

 

7. Wir betonen die gleiche Würde von Mann und Frau. Wir respektieren, dass sich unser Papst aus religiösen Gründen nicht bevollmächtigt sieht, Frauen zum Weihesakrament zuzulassen, glauben aber, dass die Teilhabe von Frauen an kirchlichen Entscheidungsprozessen nicht geringer sein soll als die von Männern. Es müssen daher auch neue geeignete Formen der Teilhabe gefunden werden. Die Studien zum Themenbereich „Frau in der Kirche“ sollen fortgesetzt werden. Der Hl. Geist inspiriert und bewegt unsere Kirche auch in diesen Fragen.

 

8. Die österreichischen Bischöfe verpflichten sich, in Entscheidungsprozessen auf diözesaner Ebene repräsentative Laienvertretungen, darunter ganz besonders Vertretungen von Frauen und Jugendlichen, stärker als bisher in transparenter Weise einzubeziehen.

 

9. Wir wollen alles tun, damit in allen Pfarrgemeinden möglichst jeden Sonntag Eucharistie gefeiert werden kann. Da wir nach menschlichem Ermessen auf längere Sicht zu wenig zölibatäre Priester haben werden (vgl. Statistiken des „Canisiuswerks"), bitten wir den Papst und alle, die auf weltkirchlicher Ebene Verantwortung tragen, zugunsten des sakramentalen Lebens unserer Gemeinden die kirchliche Zölibatsregelung zu modifizieren. Die ausnahmslose Sonntagseucharistie ist uns wichtiger als ein ausnahmsloses Zölibatsgesetz.

 

10. In allen Pfarrkirchen Österreichs soll täglich ein (Wort-) Gottesdienst gefeiert werden (z.B. zum traditionellen abendlichen „Gebetläuten"). In allen Pfarrgemeinden sollen mehrere Frauen und Männer befähigt werden, Wortgottesdienste ohne geweihten Priester zu halten

 

11. Im Sinne Jesu treten wir klar und deutlich für die eheliche Treue ein und wollen das Gelingen von Ehen fördern (Ehevorbereitung und -begleitung). Wir verurteilen aber niemanden, dessen Ehe zerbrochen ist, sondern laden alle geschiedenen Gläubigen, auch jene, die zivil wieder geheiratet haben, ein, am Gemeinschaftsleben der Kirche teilzunehmen. Die komplexe Frage des Sakramentenempfanges mögen die zivil Wiederverheirateten im Gespräch mit einem Seelsorger ihres Vertrauens klären. (Die Betroffenen sollen dabei z.B. auf die Annullierungspraxis der Kirche aufmerksam gemacht werden.)

 

12. Wir wollen die (oft missverstandenen) Grundintentionen der kirchlichen Sexualmoral wieder als Wegweisungen zu einem sinnerfüllten Leben verständlich machen, damit sie von den Menschen unserer Zeit in ihren Lebens- und Gewissensentscheidungen beachtet und ernst genommen werden können.

 

13. Wir wissen, dass sehr viele Fragen zur Homosexualität noch einer Klärung bedürfen. Wir wollen aber jetzt schon Menschen, die gleichgeschlechtlich orientiert sind, in allen Diözesen seelsorgliche Begleitung durch geeignete Seelsorger anbieten.

 

14. In Treue zum Papst und in Zusammenarbeit mit der Nuntiatur und den entsprechenden Stellen in Rom wollen wir nach Wegen suchen, wie Bischofskandidaten für unsere Diözesen gefunden werden können, die sowohl das Vertrauen des Papstes als auch das des Kirchenvolkes haben. Die in manchen österreichischen Diözesen erarbeiteten Modelle der Kandidatensuche sollen als Ausgangspunkt für weitere Studien dienen.

 

15. Die katholische Kirche in Österreich (Diözesen, Orden etc.) ist Arbeitgeberin für ca. xx xxx Frauen und xx xxxx Männer. Wir verpflichten uns, wenn sich unsere wirtschaftliche Kraft nicht verringert, in den nächsten fünf Jahren xxx neue Arbeitsplätze zu schaffen/ weiterhin xx xxx Menschen Erwerbsarbeit zu geben.

 

16. Wir legen Wert darauf, dass alle kirchlichen Betriebe umwelt- und schöpfungsfreundlich geführt werden. In den nächsten drei Jahren werden sich alle kirchlichen Betriebe unseres Landes freiwillig einer Prüfung unterziehen, wieweit sie christlicher Schöpfungsverantwortung gerecht werden.

 

17. Der Sonntag muss Sonntag bleiben. Wir treten dafür ein, dass sich auch im Wirtschaftsleben die Sonntage und Feiertage deutlich von Werktagen unterscheiden.

 

18. Wir sagen ein klares Ja zum Menschenleben, auch zum ungeborenen, behinderten, schuldig gewordenen, unerwünschten, kranken, alten und sterbenden. Wir bitten alle Kräfte unserer Gesellschaft, in Fragen der Lebensethik mit großer Sensibilität vorzugehen und in Konfliktsituationen die Chancen christlicher Lebensbewältigung ernst zu nehmen (z.B. Hilfe für Schwangere in Notsituationen, Hospizbewegung ...).

 

19. Wir wollen die Nächstenliebe nicht nur predigen, sondern alles tun, damit sie im Alltag unserer Gesellschaft lebendig bleibt. Wir wissen uns vorrangig jenen Mitmenschen verpflichtet, die nicht stark genug sind, ihre fundamentalen Lebensinteressen selbst wahrzunehmen, sondern auf unsere Mithilfe angewiesen sind.

 

20. Wir wissen uns in vielen religiösen und humanitären Anliegen mit Menschen anderer Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen verbunden und wollen den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen allen „Menschen guten Willens“ in unserem Land fördern. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt den Juden und der jüdischen Glaubensgemeinde in Österreich, denen im Lauf der Geschichte im Namen des Christentums ungeheures Unrecht zugefügt worden ist und denen wir – vom Geist aufrichtiger Umkehr bewegt – in Zukunft immer mit Liebe und Respekt begegnen wollen.

 

21. Wir sind dankbar, in Österreich leben zu dürfen, respektieren die Verfassung unseres Staates und stehen zur bewährten Kooperation zwischen Staat und Kirche.

 

22. Wir wünschen ein korrektes Verhältnis zu allen demokratischen politischen Parteien, suchen regelmäßig das Gespräch mit Ihnen und wollen in der öffentlichen politischen Diskussion unseren speziellen Beitrag leisten. Die politischen Parteien bestimmen selbst durch ihre Programme und ihre Praxis, wie nahe sie der katholischen Kirche sind. Keine Partei hat das Recht, im Namen der Kirche zu sprechen.

 

23. Kirchliche Amtsträger verzichten darauf, sich parteipolitisch zu betätigen und ein politisches Amt anzunehmen. Das gilt für geistliche Amtsträger generell, für kirchliche Laienberufe auf jener politischen Ebene, die ihrer kirchlichen Funktionsebene entspricht (Bund/Land – Diözese, Bezirk – Dekanat, politische Gemeinde – Pfarrgemeinde). Gläubige Laien, die nicht beruflich in der Kirche tätig sind, können und sollen sich je nach Fähigkeiten auch innerhalb der Parteien politisch betätigen.

 

Graz, am 29. März 1998, Karl Veitschegger

 

 

Zurück zur Startseite von Karl Veitschegger

Zurück zum Menü „Artikel, Referate, Skizzen ...“

 


Karl Veitschegger © 1998