Karl Veitschegger

 

Pfarrcaritastag der Katholischen Kirche Steiermark 20.02.2016

 

Barmherzigkeit – Wie Gott mir, so ich dir

 

Impulse von Papst Franziskus, besonders aus der Bulle „Misericordiae vultus“(MV)


 

Guten Morgen, liebe Menschen mit Herz!

 

Ich darf Sie so nennen und begrüßen. Denn Sie haben ein Herz für Ihre Mitmenschen, sonst wären Sie nicht da. Das Wort „Herz“ bildet die Mitte des deutschen Wortes Barmherzigkeit. Und das gilt nicht nur für seine Schreibweise. Ich freue mich, wenn ich Ihnen heute ein paar Gedanken unseres Papstes Franziskus weitergeben darf, der dieses Kirchenjahr zum „Heiligen Jahr“, zum „Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen hat. In seiner Ankündigungsbulle Misericordiae vultus findet sich das Wort „barmherzig“/„Barmherzigkeit“ nicht weniger als 150-mal. Aber was bedeutet das: Barmherzigkeit?

 

 

1.     Barmherzigkeit – „das pulsierende Herz des Evangeliums“

 

Mit dem traditionellen Wort „Barmherzigkeit“ tun sich heute viele schwer. Man denkt zu rasch an Almosen und milde Gaben, die schlimmstenfalls auch noch herablassend gewährt werden. Aber das ist nicht die Barmherzigkeit, um die es hier geht, sondern deren Karikatur. Unter Barmherzigkeit versteht die Heilige Schrift und mit ihr Papst Franziskus etwas anderes, etwas für unser Leben ganz Fundamentales: Barmherzigkeit ist jene Liebe, die sich niemand verdienen kann, die aber jeder und jede von uns braucht. Eine Liebe, die nicht berechnet und nicht auf Gegenleistung aus ist. Eine Liebe, die aus der Mitte eines großzügigen Herzens kommt. Eine Liebe, die dem erwiesen wird, der nichts zurückgeben kann. Eine Liebe, die die Gerechtigkeit überbietet und auch dem, der sich verfehlt hat, ja vielleicht sogar oftmals schwer verfehlt hat, nicht entzogen wird, sondern ihm eine Tür der Hoffnung öffnet. Das meint Barmherzigkeit.

 

Das bibel-hebräische Wort für „barmherzig sein“ – darauf machte Papst  Franziskus erst kürzlich in einer Predigt aufmerksam – lautet richam und kommt von rächäm. Das bedeutet ursprünglich auch Mutterleib, bezeichnet also den Ort, wo das menschliche Leben beginnt.  Barmherzigkeit ist demnach der „Mutterleib“, der lebendige Ursprung, aus dem wir alle leben. Religiös gesagt: Wir haben uns nicht selber gemacht, wir sind auch nicht bloß Kinder des Zufalls, sondern letztlich Kinder der Barmherzigkeit, der Mütterlichkeit Gottes. Das – so der Papst – hat Jesus uns vorgelebt. Dafür ist er auch gestorben:

 

„In Jesus von Nazaret ist die Barmherzigkeit des Vaters lebendig und sichtbar geworden und hat ihren Höhepunkt gefunden. [...]  Jesus von Nazaret ist es, der durch seine Worte und Werke und durch sein ganzes Dasein die Barmherzigkeit Gottes offenbart.“ (MV 1)

 

Die Barmherzigkeit Gottes ist nicht bloß eine göttliche Eigenschaft unter anderen, nicht bloß ein Element unserer Religion neben anderen, vielleicht wichtigeren. Nein, sie ist  so der Papst wörtlich – „das pulsierende Herz des Evangeliums“ (MV 12) und die „Mitte der Offenbarung Jesu Christi“ (MV 25) Wichtigeres, Wahreres, Besseres kann Gott uns nicht geben.

 

 

2.     Die Barmherzigkeit Gottes betrachten

 

Das erste, worum der Papst uns für das Heilige Jahr bittet, ist nicht, eine Aktion zu starten, sondern „dieses Geheimnis der Barmherzigkeit […] neu zu betrachten. Es ist Quelle der Freude, der Gelassenheit und des Friedens.“ (MV 2)

 

Wir Älteren müssten es eigentlich wissen. Wir haben im Lauf unseres Lebens schon viel Barmherzigkeit gebraucht: Barmherzigkeit von Gott, aber auch viel Barmherzigkeit von unseren Mitmenschen, die uns bisher getragen haben - und ertragen haben. Aber auch die Jüngeren wissen um dieses Geschenk der unverdienten Liebe. Das, meint der Papst, sollten wir betrachten: Wer wäre ich ohne die Barmherzigkeit, die mir immer wieder erwiesen worden ist und mir immer wieder erwiesen wird?

 

Der Papst regt an, die Stille zu suchen, die Heilige Schrift zur Hand zu nehmen, dem Leben Jesu nachzuspüren und uns von ihm anschauen und berühren zu lassen. „Auf diese Weise ist es möglich, die Barmherzigkeit Gottes zu betrachten und sie uns anzueignen und zum eigenen Lebensstil werden zu lassen.“ (MV 13)

 

Wenn wir diese Erfahrung der Barmherzigkeit in uns zulassen, wenn wir wissen, dass wir letztlich aus der Barmherzigkeit leben, werden wir demütiger werden. Dann werden wir auch leiser werden, wenn es um das Versagen, die Fehler und die Sünden anderer geht…

 

Als Motto des Heiligen Jahres hat der Papst ein Wort gewählt, das Jesus an seine Jünger und Jüngerinnen gerichtet hat: „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist!“ (Lk 6,36) Wenn wir das ein wenig verstanden haben, werden wir auch jenes Wort verstehen, das auf den „Barmherzigkeitsfahnen“ unserer Diözese steht: „Wie Gott mir, so ich dir!“

 

 

3.     Heilige Pforten – provokante Symbole

 

Zu den äußeren Zeichen Heiliger Jahre gehören auch die Heiligen Pforten, die am Petersdom und vielen anderen Kirchen feierlich geöffnet werden. In unserer Diözese haben sich 39 Pfarren und kirchliche Einrichtungen freiwillig gemeldet und mit Zustimmung des Bischofs eine Heilige Pforte geöffnet. Weltweit ein Rekord!

Möge es nicht bei einer Äußerlichkeit bleiben, sondern mögen diese Zeichen mit Leben gefüllt werden!

In der Generalaudienz am 18. November 2015 hat der Papst gesagt, dass diese Pforten unserer Kirchen Türen der Barmherzigkeit Gottes sein sollen. Einerseits soll durch diese Pforten die Barmherzigkeit Gottes in unsere Kirche einziehen (denn es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sie für alle Menschen in der Kirche zu finden ist). Andererseits soll durch diese Pforten, der Herr zu den Menschen hinausgehen, denn wir Kirchenleute haben ihn zu oft „in unseren Strukturen und in unserem Egoismus gefangen“ halten.

 

„Wo […] die Kirche gegenwärtig ist, dort muss auch die Barmherzigkeit des Vaters sichtbar werden. In unseren Pfarreien, Gemeinschaften, Vereinigungen und Bewegungen, d.h. überall wo Christen sind, muss ein jeder Oasen der Barmherzigkeit vorfinden können.“ (MV 12)

 

 

4.     Barmherzigkeit – Programm nicht nur für ein Jahr

 

Dass wir heuer das „Jahr der Barmherzigkeit“ haben, heißt nicht, dass das im nächsten Jahr vorbei ist. Franziskus denkt an ein Programm für längere Zeit, wenn er schreibt:

„Wie sehr wünsche ich mir, dass die kommenden Jahre durchtränkt sein mögen von der Barmherzigkeit und dass wir auf alle Menschen zugehen und ihnen die Güte und Zärtlichkeit Gottes bringen! Alle, Glaubende und Fernstehende, mögen das Salböl der Barmherzigkeit erfahren, als Zeichen des Reiches Gottes, das schon unter uns gegenwärtig ist.“ (MV 5)

 

„Salböl“ ist hier nicht Ausdruck für salbungsvolles religiöses Gerede, sondern meint das Öl des barmherzigen Samariters, das menschliche Wunden lindern und heilen kann. Das ist unser Job!

 

 

5.     Der Primat der Barmherzigkeit

 

Oft und viel war in der Kirche früher vom Primat die Rede, meist vom Primat des Papstes. Dieser Papst spricht von einem anderen, wichtigeren Primat, wenn er schreibt:

„Jesus betont, dass […] der Primat der Barmherzigkeit die Lebensregel seiner Jünger ist, so wie er es selbst bezeugt hat, als er mit den Sündern zu Tisch saß. […] Dass er Gemeinschaft hat mit denen, die nach dem Gesetz Sünder waren, lässt verstehen, wie weit Barmherzigkeit geht.“ (MV 20)

 

„Die Versuchung, stets und allein die Gerechtigkeit zu fordern, [hat] uns vergessen lassen, dass diese nur der erste Schritt ist. Dieser Schritt ist zwar notwendig und unerlässlich, aber die Kirche muss darüber hinausgehen um eines höheren und bedeutungsvolleren Zieles willen.“ (MV 10).

Gesetz und Gerechtigkeit sind nicht unwichtig, aber sie haben nicht das letzte, alles entscheidende Wort. Gott überbietet und vollendet sie in der Barmherzigkeit.

 

 

6.     Der Schrei Gottes in den Armen

 

Barmherzigkeit ist nichts Harmloses, Billiges und Blutleeres. Mystiker wissen es: Einerseits berührt Gott unser Herz in großer Zartheit, andererseits will er uns aber auch heilsam aufrütteln. Hören wir zum Schluss noch einmal den Papst im O-Ton in einem längeren Zitat aus seiner Bulle:

 

„In diesem Heiligen Jahr können wir die Erfahrung machen, wie es ist, wenn wir unsere Herzen öffnen für alle, die an den unterschiedlichsten existenziellen Peripherien leben […]. Wie viele prekäre Situationen und wie viel Leid gibt es in unserer Welt! Wie viele Wunden sind in das Fleisch so vieler Menschen gerissen, die keine Stimme mehr haben, weil ihr Schrei […] schwach geworden oder gar ganz verstummt ist. In diesem Jubiläum ist die Kirche noch mehr aufgerufen, diese Wunden zu behandeln, sie mit dem Öl des Trostes zu lindern, sie mit der Barmherzigkeit zu verbinden und sie mit der geschuldeten Solidarität und Achtung zu heilen. Verfallen wir nicht in die Gleichgültigkeit, die erniedrigt, in die Gewohnheit, die das Gemüt betäubt und die verhindert, etwas Neues zu entdecken, in den Zynismus, der zerstört. Öffnen wir unsere Augen, um das Elend dieser Welt zu sehen, die Wunden so vieler Brüder und Schwestern, die ihrer Würde beraubt sind. Fühlen wir uns herausgefordert, ihren Hilfeschrei zu hören. Unsere Hände mögen ihre Hände erfassen und sie an uns heranziehen, damit sie die Wärme unserer Gegenwart, unserer Freundschaft und unserer Brüderlichkeit verspüren. Möge ihr Schrei zu dem unsrigen werden […]. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass die Christen während des Jubiläums über die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit nachdenken. Das wird eine Form sein, unser Gewissen […] wachzurütteln und immer mehr in die Herzmitte des Evangeliums vorzustoßen, in dem die Armen die Bevorzugten der göttlichen Barmherzigkeit sind. Die Verkündigung Jesu nennt uns diese Werke der Barmherzigkeit, damit wir prüfen können, ob wir als seine Jünger leben oder eben nicht. […] In einem jeden dieser »Geringsten« ist Christus gegenwärtig. Sein Fleisch wird erneut sichtbar in jedem gemarterten, verwundeten, gepeitschten, unterernährten, zur Flucht gezwungenen Leib …, damit wir Ihn erkennen, Ihn berühren, Ihm sorgsam beistehen. Vergessen wir nicht die Worte des heiligen Johannes vom Kreuz: »Am Abend unseres Lebens werden wir nach der Liebe gerichtet werden«.“ (MV 15)

 

Soweit der Papst. Nun sind wir dran. – Danke für Ihr Engagement und Ihre Aufmerksamkeit.

 

Karl Veitschegger, Februar 2015

 

 

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