Karl Veitschegger (2024)

 

Goldene Tage

Riten, Lieder und Bräuche des Advents als Zeichen der Hoffnung


 

„Sie ist in der Hoffnung“, sagte man früher, wenn eine Frau schwanger war. Eine schöne Redewendung. Denn Hoffnung und neues Leben gehören zusammen. Schwangerschaft als Warten und Sich-Vorbereiten darauf, dass neues Leben „das Licht der Welt erblickt“, ist ein Ursymbol für Hoffnung. Von dieser Hoffnung ist der Advent als Vorbereitung auf das Weihnachtsfest geprägt. Liturgie und Volksfrömmigkeit schauen in dieser Zeit gerne auf Maria. „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben …“ (Lk 1,31) „Jesus“ bedeutet „Gott rettet“. Das große Rettende beginnt ganz klein.

 

Auf Maria schauen

Diese Hoffnungsbotschaft greifen viele Adventlieder auf: „Maria, sei gegrüßet, du lichter Morgenstern …“ (GL 795) Und Marias Ja zu dieser Botschaft wird zum Vorbild, sich auf das Kommen Gottes in unsere Herzen und damit in unsere Welt vorzubereiten. Wie oft ist unsere kleine und große Welt dorniges Gelände! Da singend auf Maria zu schauen, die Jesus unter ihrem Herzen trägt, richtet auf: „Maria durch ein‘ Dornwald ging … Da haben die Dornen Rosen getragen.“ (GL 224) Dornen können zu blühen beginnen. Auch heute ist diese erlösende Begegnung mit Gott möglich. Sie geschieht meist leise und bedarf der Geduld

 

Geduld und Umkehr

Zur Geduld mahnt das Symbol des Adventkranzes mit seiner von Sonntag zu Sonntag wachsenden Lichterzahl. „Erfunden“ in Hamburg vom evangelischen Seelsorger Johann Hinrich Wichern (1808-1881), schmückt er inzwischen auch katholische Wohnungen und Kirchen. Sein Grün steht für Hoffnung, seine runde Form für Gemeinschaft und Miteinander, die Lichter für das Wachsen im Vertrauen und in der Liebe. Oft mahnt ein violettes Band zur Buße und Umkehr von allem „Abwegigen“, entsprechend der Predigt Johannes des Täufers: „Bereitet den Weg des Herrn. Was krumm ist, soll gerade werden! Bringt Früchte, die eure Umkehr zeigen!“ (vgl. Lk 3,1–18)

 

Achtsamkeit für Mitmenschen

Viele sozial-karitative Aktionen durch Privatpersonen, Vereine, Schulklassen, Institutionen etc. machen den Advent zur Trainingszeit für Nächstenliebe und erhöhen die Achtsamkeit für Mitmenschen und Mitgeschöpfe in Not. Der Brauch der Herbergsuche, bei dem ein Marienbild von Haus zu Haus getragen wird, erinnert daran, dass für die schwangere Maria und ihren Mann Josef in Betlehem einst „kein Platz in der Herberge war“ (Lk 2,7). Anders als die Türchen an den Adventkalendern, die heutzutage meist mit köstlichen Naschereien locken, blieben dem heiligen Paar — so die Legende — die Türen Betlehems verschlossen. Für Christinnen und Christen und viele Menschen guten Willens ist der Advent eine Zeit des „Türöffnens“

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Untrennbarkeit von Gottes- und Nächstenliebe

Der beliebte traditionelle Wechselgesang „Wer klopfet an? — oh, zwei gar arme Leut‘“ bringt zum Ausdruck, dass man das Kommen Gottes auch verpassen kann, weil er sich ohne Nächstenliebe nicht finden lässt, auch wenn man noch so fromm „Tauet Himmel den Gerechten, Wolken regnet ihn herab …“ (GL 791) singt.

Dieser liturgische Ruf nach dem „Gerechten“ beginnt übrigens lateinisch mit dem Wort „Rorate“ (=Tauet) und gibt den Frühmessen im Advent, die sich wegen ihrer besonderen Stimmung (Feier bloß im Kerzenschein) großer Beliebtheit erfreuen, den Namen. Ein mancherorts anschließendes gemeinsames Frühstück verdeutlicht die Untrennbarkeit von Gottes- und Nächstenliebe. Wo Menschen gut zueinander sind, wohnt Gott.

 

Das Leben teilen

Das beliebte adventliche „Keksebacken“ hat seinen Ursprung in mittelalterlichen Klöstern, wo man für die Weihnachtstage haltbares Süßgebäck, vor allem Lebkuchen, herstellte, das als „Christbrot“ Armen und Kranken gereicht wurde und wohl auch die klösterlichen Mahlzeiten versüßte. Christstollen und Kletzenbrot sind Varianten dieses Brauchs. Diese Köstlichkeiten schon vor Weihnachten zu verzehren, ist allerdings erst in den letzten Jahrzehnten üblich geworden, als der Sinn für das adventliche Fasten schwand. Auch Weihnachtsmärkte laden nicht nur zum Kauf von Weihnachtsgeschenken ein, sondern bieten heute Unterhaltung und Vergnügen. Hat der Duft von Glühwein den Weihrauch verdrängt? Man kann darüber die Nase rümpfen, aber man kann auch anerkennen, dass Menschen zusammenkommen, miteinander reden, ihr Leben teilen wollen.

 

Zwischen Genuss und Verzicht

Das ist durchaus im Sinne Jesu, der – so das Zeugnis der Evangelien – kein Kind von Traurigkeit war, kein finsterer Asket, sondern auch gerne feierte. Dass wir Menschen zu Exzessen neigen, steht auf einem anderen Blatt. Das rechte Maß, den goldenen Weg zwischen Genuss und Verzicht, zu finden, ist auch eine adventliche Aufgabe. Gottesdienste, Adventkonzerte, Besinnungstage, Beichtgespräche, das gemeinsame Beten und Singen in den Familien sind Angebote, der Weihnachtsfreude auch die besondere spirituelle Tiefe zu geben. Kein angefülltes, sondern ein „er-fülltes“ Leben für alle (vgl. Joh 10,10) war das Ziel Jesu, dessen Geburt zu Weihnachten gefeiert wird.

 

Sieg der Menschlichkeit

„Wäre Christus tausendmal in Betlehem geboren, doch nicht in dir, du gingest ewiglich verloren“, sagt der am Christtag 1624 geborene Dichter, Arzt und Priester Angelus Silesius. Je menschlicher wir werden, desto näher kommen wir dem, der sich selbst bewusst als „Menschensohn“ bezeichnet hat. Im Aramäischen, der Muttersprache Jesu, bedeudet „Menschensohn“ einfach „Mensch“. Und wenn die Bibel sagt, dass am Ende der Tage der „Menschensohn in Herrlichkeit kommen“ wird, dann verkündet sie damit, dass letztendlich die gottgewollte Menschlichkeit über alle Grausamkeiten der Geschichte „siegen“ wird. Das Gute, das Gott in Jesus vor 2000 Jahren begonnen hat, wird sich durchsetzen. Dieser Hoffnung das Herz zu öffnen, ist der Sinn des Advents: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit …“ (GL 218)

Karl Veitschegger

 

Dieser Text wurde im Jahrbuch 2025 der Diözese Gurk zum Thema „Quellen der Hoffnung“ erstmals publiziert. Die Kleine Zeitung hat ihn daraus am 1. Dezember 2024 für ihre Gesamtausgabe übernommen.

 

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